Hintergrund Bundesjustizministerin zu Legal Tech und KI

„Auch die Justiz muss mit strukturierten Datensätzen arbeiten, nicht mit PDF-Dokumenten“

Die Digitalisierung der Justiz drängt. Im Pakt für den Rechtsstaat werden insgesamt eine knappe halbe Milliarde Euro bereitgestellt. JUVE sprach mit der Bundesjustizministerin Dr. Stefanie Hubig über aktuelle Entwicklungen und Zukunftspläne.

von Helena Hauser

JUVE: Frau Dr. Hubig, mittlerweile scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass die Digitalisierung unser Rechtssystem verbessern kann. Wie würden Sie die Vorteile beschreiben?
Dr. Stefanie Hubig: Die Digitalisierung hilft uns, unser Rechtssystem effizienter, transparenter und moderner zu machen. In einer Welt, in der wir vieles in unserem Alltag sekundenschnell per App erledigen und das Internet für fast alle Lebensbereiche nutzen, darf der Rechtsstaat nicht stehenbleiben. Wir müssen neue Möglichkeiten nutzen, um Verfahren zu beschleunigen, Bürokratie abzubauen und die Justiz zu modernisieren.

Es muss möglich sein, eine Klage online einzureichen

Wie sieht Ihre Vision eines digitalisierten Rechtsstaats konkret aus?
Meine Vision ist ein digitaler Rechtsstaat, der transparent, verständlich und nah an den Menschen ist. Es muss möglich sein, eine Klage online einzureichen – und nach Möglichkeit auch das weitere Verfahren bis zum Urteil online durchzuführen, unter Nutzung effizienter Tools und Eingabesysteme, ohne Papierkram.

Wenn wir auf die letzten Jahre zurückblicken – was hat sich bereits verändert? Einiges: In den letzten Jahren ist insbesondere viel im Bereich der Digitalisierung des Rechtsmarktes geschehen. Digitale Rechtsdienstleistungsanbieter ermöglichen es heute, Schriftsätze automatisiert zu erstellen. Bei Massenverfahren, zum Beispiel im VW-Dieselskandal, lesen KI-Systeme Fahrgestellnummern und Kaufverträge aus. Tausende gleichgelagerte Fälle werden erkannt, gebündelt und effizient bearbeitet. Was früher Wochen und Monate gedauert hat, kann heute nur noch wenige Stunden in Anspruch nehmen.

Auch die Justiz muss mit strukturierten Datensätzen arbeiten, nicht mit PDF-Dokumenten.

Diese Entwicklung erhöht sicherlich auch die Erwartungen an die Justiz. Welche konkreten Ziele verfolgen Sie?
Wir verfolgen drei konkrete Ziele: Erstens wollen wir den Zugang zu Gericht weiter vereinfachen. Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte niedrigschwellig, einfach und digital wahrnehmen können. Zweitens brauchen alle Verfahrensbeteiligten – Gerichte, Anwaltschaft, Verwaltung, Bürgerinnen und Bürger – sichere und kompatible digitale Kommunikationswege. Wir brauchen gemeinsame technische Standards für systemübergreifendes Arbeiten. Und drittens wollen wir vom dokumentenbasierten zum datenbasierten Arbeiten übergehen. Auch die Justiz muss mit strukturierten Datensätzen arbeiten, nicht mit PDF-Dokumenten. Sie muss digitale Werkzeuge und künstliche Intelligenz zur Unterstützung nutzen, etwa bei der Analyse großer Akten und dem Erkennen von Mustern.

Wie wollen Sie diese Ziele in unserem föderalen System umsetzen?
Am besten nach dem Prinzip „Einmal-für-Alle“, damit alle gleichermaßen profitieren und wir mehr Einheitlichkeit schaffen und dadurch mehr Effizienz erreichen. Im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz verstehen wir uns als Partner der Länder. Wir wollen gemeinsam mit den Ländern umsetzen, was wir in unseren Gremien besprechen, und nicht den Ländern einfach etwas vorsetzen, das sie gar nicht brauchen.

Ein zentraler Baustein wird die bundeseinheitliche Justizcloud

Deshalb werden wir mit den Ländern einen Pakt für den Rechtsstaat schließen, der auf drei Säulen basiert: verbesserte Digitalisierung, beschleunigte Verfahren und personelle Stärkung. Für die Digitalisierung der Justiz werden wir in diesem Zuge zusätzlich 210 Millionen Euro bereitstellen. Das knüpft an unser Engagement aus der letzten Legislaturperiode an, in der wir beschlossen haben, für die Jahre 2023 bis 2026 200 Millionen Euro bereitzustellen. Insgesamt kommen fast eine halbe Milliarde Euro für die Digitalisierung in den Ländern zusammen.

Welche konkreten Projekte stehen dabei im Vordergrund?
Ein zentraler Baustein wird die bundeseinheitliche Justizcloud sein, das ist eines unserer Kernvorhaben in dieser Legislaturperiode. Wir wollen eine gemeinsame Cloud-Infrastruktur für die Justiz in Bund und Ländern schaffen. Cloud-Lösungen bieten bei der Entwicklung von Software, beim Ausbringen von Updates und beim Skalieren von Betriebs- Und Speicherlösungen erhebliche Vorteile. Unser gemeinsames Ziel ist es, innerhalb der nächsten zwei Jahre eine erste Version aufzubauen.

Ein weiteres wichtiges Projekt ist die Erprobung des Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit. Den Gesetzentwurf dazu haben wir bereits auf den Weg gebracht. Wir ändern die Regeln für Zahlungsklagen, etwa bei mietrechtlichen Streitigkeiten oder bei Streit über einen Kaufvertrag. Das Online-Verfahren soll als neue Verfahrensart in der Zivilprozessordnung verankert werden. Wir erproben es zunächst in Pilotprojekten an voraussichtlich 13 Amtsgerichten. Wenn es gut funktioniert, wollen wir es auf andere Verfahren ausweiten.

Sie sprachen über digitale Kommunikationswege und planen eine Kommunikationsplattform. Was hat es damit auf sich?
Unser Ansatz ist, dass die Kommunikation im Zivilprozess künftig über eine zentrale Plattform erfolgt. Dokumente und Urteile sollen nicht mehr aufwändig hin- und hergeschickt werden, sondern zentral auf einer Plattform abrufbar sein. Die gesetzliche Grundlage für die Erprobung dieser Kommunikationsplattform haben wir auf den Weg gebracht. Aktuell konzipieren wir die technische Umsetzung in enger Zusammenarbeit mit den Ländern. In einem ersten Schritt ist geplant, die Plattform für die Kommunikation zwischen Amtsgerichten und Anwaltschaft zur Verfügung zu stellen. Das Ziel besteht darin, für die Kommunikation im Verfahren strukturierte Datensätze in einem einheitlichen Format zu verwenden und damit weitergehende Automatisierungen zu ermöglichen.

Wir sehen gerade bei der Einführung der E-Akte in den Ländern ab dem 1.1.2026, dass Schnittstellenprobleme und unterschiedliche Formate immer wieder Schwierigkeiten bereiten. Wenn wir das im Zivilprozess der Zukunft gemeinsam mit den Ländern, Gerichten und der Anwaltschaft lösen können, sind wir einen großen Schritt weiter.

Wir müssen wissen, wie die KI zu ihren Ergebnissen kommt.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz in Ihren Plänen?
Natürlich wird künstliche Intelligenz auch in der Justiz eine Rolle spielen. KI kann vor allem die Geschäftsprozesse optimieren. In verschiedenen Bundesländern laufen bereits Projekte, etwa zur automatischen Dokumentenanalyse oder zur Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen, um möglichst viele Entscheidungen allen Rechtssuchenden zugänglich zu machen. Das kann zu einer einheitlicheren Rechtsprechung beitragen und ist ein wichtiger Schritt für mehr Transparenz und Wissenstransfer.

KI schafft Freiraum, indem sie Justizbeschäftigte bei zeitraubenden Tätigkeiten unterstützt, etwa beim Auffinden von Vergleichsfällen. Damit wird Zeit frei, in der sich die Beschäftigten auf ihre eigentlichen Kernaufgaben konzentrieren können. Gerade mit Blick auf den demografischen Wandel und den zunehmenden Fachkräftemangel kann KI bei der Entlastung helfen.

Klar ist aber auch: Die Risiken der künstlichen Intelligenz müssen wir im Blick behalten: Am Ende entscheidet ein Mensch – ein Richter, eine Richterin. Und wir müssen wissen, wie die KI zu ihren Ergebnissen kommt. Gerade in einem sensiblen Bereich wie der Justiz müssen wir sicherstellen, dass KI-Systeme gerecht, transparent und nachvollziehbar arbeiten. Neben der KI-Verordnung als regulatorischem Rahmen bildet die kürzlich von Bund und Ländern verabschiedete Strategie zum Einsatz von KI in der Justiz die hierfür nötige Grundlage.

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