Für das größte ,Schisma‘ des Rechtberatungsmarkts der vergangenen Jahre steht der Berufsstand der Syndizi, eine von den Kammern über Jahrzehnte weitgehend ignorierte, aber als zahlungsfähige Klientel durchaus willkommene Berufsgruppe. Dass sie seit 2015zur Anwaltschaft gehören, ist auch Ausdruck ihrer gewandelten Rolle und eines geänderten Verständnisses von Risiken.
Schon 2011 entstand als eine Art Gegenbewegung der Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ). Ein Ziel: Ihre Anerkennung als Rechtsanwälte – verbunden mit entsprechenden Rechten und Altersversorgungen. Rasch stieg die Mitgliederzahl. Erstmals hatten die bis dato eher lose in diversen kleineren Zirkeln organisierten Inhouse-Juristen eine Anlaufstelle, die sich ausschließlich ihrer Berufsgruppe widmete. Die Arbeitsgemeinschaft der Syndikusanwälte im Deutschen Anwaltverein (DAV) etwa hatte nie derart reüssiert, einfach weil das kleine Grüppchen im großen Gesamtgefüge DAV keine signifikante Rolle spielte.
2014 kam es zum Schwur: Das Bundessozialgericht schob der bis dato geduldeten semi-legalen Zulassungspolitik und der Befreiung der Unternehmensjuristen von der Rentenversicherungspflicht einen Riegel vor. Was folgte war ein nie gesehener Lobbying-Angriff auf die Kammern und erneut teils erbitterter Widerstand manch konservativer Kammer. Vor allem die Postulationsfähigkeit und das sogenannte Anwaltsprivileg wurden bekämpft. Beides, so die Sorge, würde viele niedergelassene Anwälte Geschäft kosten. Unerwünschter Wettbewerb drohte.
Erstmals zeigte sich, welchen Einfluss die großen Wirtschaftskanzleien und die Syndizi in den berufsständischen Vereinigungen haben könnten, wenn sie nur wollten. Sie überrannten die Kammerversammlungen, um deren Positionierung im Sinne der Syndizi durchzusetzen. Hinter vorgehaltener Hand räumten Kanzleivertretungen ein, dass sie sich dem Druck ihrer Mandantschaft beugten, die von ,ihren‘ Kanzleien Unterstützung erwarteten. Auch die großen Wirtschaftsverbände sprangen den Unternehmensjuristen bei – auch dies eine völlig neue Allianz. Anfang 2016 kam die Reform, die in beachtlichem Tempo den Gesetzgebungsprozess durchlief. Der Syndikusrechtsanwalt war aus der Taufe gehoben – sehr eingeschränkt postulationsfähig und ohne Zeugnisverweigerungsrecht zwar, aber immerhin eingegliedert in die Riege der Anwaltschaft.
Knapp 23.000 Syndikusanwälte, der Großteil zugleich als Rechtsanwalt zugelassen, gab es Anfang 2022. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Zahl der Anwälte in Deutschland in den vergangenen Jahren stabil erscheint. 2021 waren dennoch weniger Anwälte zugelassen als im Vorjahr und auch 2022 ging es ins Minus. Es ist das erste Mal seit Bestehen der Bundesrepublik, dass die Zunft schrumpft. Dafür ist der Frauenanteil von gut 22 Prozent 1998 auf jetzt 36 Prozent gestiegen – ebenfalls teilweise den Syndizi geschuldet.
Zankapfel Syndizi
Der Berufsstand der Syndikusanwälte war 2014 nicht zum ersten Mal ein Konfliktfall. Er war in den vergangenen Jahrzehnten ein steter Zankapfel zwischen Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht und zwischen Bundesrechtsanwaltskammer und DAV – kurz, überall, wo er auftauchte. Selbst die europäische Justiz beschäftigte er. Ein Vortrag von Prof. Hans-Jürgen Hellwig, langjähriger Partner bei Hengeler Mueller, machte 2014 die ganze Absurdität der Debatten deutlich: Er erinnerte daran, dass es die Nationalsozialisten waren, die die Unternehmensjuristen einst aus der Anwaltschaft drängten. Und er erinnerte daran, dass in den 1970ern ein junger und unbekannter Assistent der Hamburger Universität den Zustand öffentlich anprangerte: Es war der Grieche Vassilios Skouris, von 2003 bis 2015 Präsident des Europäischen Gerichtshofs. Genau 40 Jahre nach seinem Aufsatz kam die gesetzgeberische Teil-Korrektur.
Doch auch abseits der Politik war die Geschichte der Syndizi nicht weniger wechselvoll als die der Kanzleien. Einst gab es kaum einen Vorstand, in dem nicht mindestens ein Jurist saß, es folgte eine weitgehend juristenfreie Phase, der nach dem Siemens-Korruptionsskandal 2008 eine kleine Gegenbewegung folgte. Das Muster von Siemens hat sich seitdem mehrfach wiederholt: Zu abgeschottete oder einflusslose Rechtsabteilungen sind nicht in der Lage, aus ihrem Elfenbeinturm heraus die Rechtsrisiken zu überblicken, es folgt der teure und reputationsschädigende Skandal und die Berufung eines wahlweise Rechts-/Compliance-/Integritäts-/Ethikvorstands und eine grundlegende Reform der Rechtsabteilung. So oder so ähnlich geschah es unter anderem bei der Deutschen Telekom, bei Thyssenkrupp, Daimler, der Deutschen Bank und schließlich bei Volkswagen. Dass zumindest in der Frühphase von Compliance in der Regel auch Inhouse-Juristen die Leitung dieser neu geschaffenen Risiko-Abteilungen übernahmen, war da schon fast ein Selbstläufer.
Erstarktes Selbstbewusstsein
Gerade in den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Rolle der Syndizi nicht nur wegen der Compliance-Debatte ebenso dramatisch verändert wie die der Kanzleien. Schon der Streit um die Syndikuszulassung machte deutlich: Unternehmensanwälte haben Macht. Sie haben die Macht, Kanzleien in den berufspolitischen Ring zu schicken, und sie haben genug Rückendeckung in ihren Unternehmen, um sich die Unterstützung der großen Unternehmensverbände zu sichern. Wenig überraschend zog es der Inhouseverband BUJ auch vor, mit diesen Verbänden 2021 gegen das Unternehmensstrafrecht zu Felde zu ziehen und nicht mit dem Anwaltskollegium, dessen Perspektive ihm zu intrinsisch war. Ein derartiges rechtspolitisches Engagement wäre noch in den 2000er-Jahren undenkbar gewesen.
Folgerichtig hat sich auch die tägliche Arbeit und die Zusammenarbeit mit Kanzleien dramatisch verändert. Aus der Stabsstelle Recht ist das Legal Team geworden, wahlweise inklusive Compliance. Es ist – nicht flächendeckend, aber jedenfalls in den meisten Großunternehmen – der General Counsel, der die Zügel in der Hand hält, der eine oder die maßgebliche Stimme hat, wenn es um die Rechtsberatenden des Unternehmens geht und der auch die Gremien bei der Wahl ihrer individuellen Berater unterstützt.
Angetrieben wird dieser Imagegewinn nicht nur durch den Generationswechsel in den Führungsetagen und eine zunehmende Professionalisierung und Ökonomisierung des Managements von Rechtsabteilungen. Angetrieben wird er vor allem dadurch, dass weltweit die Regulierung engmaschiger wird, die Rechtsrisiken stetig steigen und der gesellschaftliche Wandel jedenfalls in der westlichen Welt unangemessenes Verhalten von Unternehmen stärker abstraft, auch finanziell. Denkt man nicht 25, aber 24 Jahre zurück: Erst seit 1999 sind Schmiergelder nicht mehr steuerlich absetzbar. Heute kostet ein Unternehmen systematische Korruption schnell Milliarden. Von steigenden rechtlichen Risiken profitieren Unternehmensjuristen ebenso wie Kanzleien.
Parallel zu der wachsenden Bedeutung von Rechtsrisiken für Unternehmen mausern sich Rechtsabteilungen zu effizient geführten und dem allgemeinen Kostendruck gehorchenden Zentralabteilungen, meist mit unmittelbarem Zugang zum obersten Management. Es ist die zunehmende Professionalisierung dieser Mandantschaft, die derzeit auch die Kanzlei-Anwälte ein Stück weit vor sich her treibt. So hat BASF – nach beachtlichem Erfolg in den USA – ihre deutsche Rechtsberatungsriege schon einmal mit klaren Diversity-Forderungen ins Schwitzen gebracht. ESG gilt eben für alle. Mit dem in den USA begonnenen und inzwischen in Deutschland angekommenen Einzug juristischer IT-Tools, alternativer Dienstleistungen und Legal-Operations-Spezialisierungen geht der Markt zudem in eine völlig neue Phase.