International ist der Legal-Tech-Markt längst milliardenschwer und reizvoll für Investierende. Hierzulande fristen Legal-Tech- und Legal-Operations-Lösungen hingegen nach wie vor ein Nischendasein. Aber diese Nische wird Jahr für Jahr größer. In 25 Jahren wird auch in Deutschland der Rechtsberatungsmarkt nicht wiederzuerkennen sein.
Weltweit explodiert der Markt für Legal-Tech. Schon im Herbst 2021 hatten Wagniskapitalgebende laut der Datenbank Crunchbase mehr als eine Milliarde US-Dollar in Legal-Tech-Unternehmen gesteckt, andere Datenbanken kommen für das ganze Jahr auf mehr als zwei Milliarden. Law360 spricht von mehr als neun Milliarden Dollar, rechnet aber Investments und M&A-Aktivitäten zusammen. Klar ist: Der Löwenanteil der Deals spielt in den Vereinigten Staaten.
Das Nasdaq-Unternehmen DocuSign – auch in Deutschland verbreitet – legte einen eigenen Venture-Capital-Fonds auf und die US-Kanzlei
In Deutschland investierte unter anderem der KI-Fund Gradient Ventures von Google Geld in die Vertragssoftware Legal OS. Das deutsche Start-up BusyLamp wiederum ist seit einem Jahr eine Tochter des US-Techunternehmens Onit, das zu den aktiven Beteiligten bei der Konsolidierung des Markts gehört. Daneben kauften unter anderem Mitratech, Litera und LexisNexis fleißig zu.
Gespaltener Anwendermarkt
Die Seite der Investierenden verbreitet also jede Menge Optimismus. Die Seite der Anwendenden hingegen ist nach wie vor zwiegespalten, jedenfalls hierzulande. Während große Unternehmen und Kanzleien ihre Aktivitäten intensivieren, findet die Digitalisierung weitgehend ohne mittelständische Beteiligung statt. Kanzleien sehen mit Blick auf ihre Klientel oft die Notwendigkeit nicht, Unternehmen bewegen sich häufig in einem Teufelskreis: Um eine gründliche Analyse zu machen, fehlt es an Zeit und Kapazitäten, aber beides lässt sich nicht gewinnen, solange eine sinnvolle IT die Teams nicht entlastet. Sie bräuchten Unterstützung von ihren Rechtsberatenden, doch dort ist bislang wenig zu holen.
Tatsächlich täten Kanzleien und Unternehmen gut daran, ihre Kräfte zu bündeln, um die Digitalisierung im Sinne aller Marktteilnehmenden zu gestalten. Ansätze dazu gibt es. So öffnete die Cloc, die US-Vereinigung der Legal-Operations-Experten, schon vor einiger Zeit ihre Türen auch für Kanzleien. Umgekehrt ging Reynen Court vor: Die Tech-Plattform startete mit rund 20 US- und internationalen Unterstützerkanzleien und hat nun eine Reihe von Großunternehmen, darunter UBS, Cisco und Intel sowie Expedia und Booking.com gewonnen. Auch Lupl, unter anderem mit Beteiligung von
Plattformtechnologien, so die herrschende Meinung, werden den Markt in der Zukunft maßgeblich beeinflussen. Das ist schon am Engagement von Microsoft erkennbar, die mit ihrer enormen Marktdurchdringung alle Voraussetzungen mitbringt, die Richtung künftig vorzugeben.
Internationale Beobachtende gehen davon aus, dass sich der Markt insgesamt eher von kleinen Spezialanbietenden wegbewegen wird. Vielmehr werden IT-gestützte Lösungen zunehmend in der Hand großer Anbietender von Management-Lösungen und einiger weniger großer Spezialanbietender wie Mitratech, Litera, Wolters Kluwer, LexisNexis oder Onit liegen. Selbst die Service-Arme der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften können dabei nur bedingt mithalten – sind allerdings derzeit in einer deutlich komfortableren Ausgangsposition als die meisten Anwaltskanzleien. Dass
Doch auch abseits solcher Leuchtturm-Initiativen zieht in Deutschland das Tempo der Entwicklung gerade bei Anwaltskanzleien deutlich an. Dass Legal Tech in der Fläche angekommen ist, zeigt sich schon daran, dass der DAV erstmals einen Award auslobte (bei Drucklegung noch nicht entschieden). Der vor gut zwei Jahren entstandene Legal-Tech-Verband wiederum hat inzwischen eine Reife, dass er eine Geschäftsführung eingerichtet hat.
Die im August in Kraft getretene Liberalisierung des Berufsrechts könnte sich als kleiner Turbo für Legal-Tech- und Legal-Operations-Leistungen erweisen, erleichtert sie doch die interdisziplinäre Zusammenarbeit und damit die Möglichkeit für Kanzleien, sich über die reine Rechtsberatung hinaus zu entwickeln. Dass der BGH einer Anwendung wie Smartlaw im vergangenen Herbst seinen Segen erteilte, schuf zudem mehr Rechtssicherheit in der Frage, was (Nicht-)Kanzleien dürfen sollen.
Evolution der Kanzlei-Töchter
Die Taktiken der Kanzleien sind dabei unterschiedlich beziehungsweise komplementär. Viele setzen auf Kooperationen mit Tech-Anbietenden, Kooperationen die, über das Anbieter-Nutzer-Verhältnis weit hinausgehen. Neben Reynen Court mit ihrer breiten Kooperationsriege hat sich etwa Linklaters, die bereits ihre eigene Contract-Lifecycle-Management-Software an eine breite Kundschaft verkauft hat, mit dem No-code Plattform-Anbieter Bryter für künftige Projekte zusammengetan.
Die Slaughter-Initiative ,Collaborate‘, die jüngst in die dritte Runde ging und inzwischen mit 17 Start-ups zusammengearbeitet hat, zeigt einen anderen Weg auf, wie Kanzleien ihr Technik- und Operations-Engagement intensivieren: Tochtergesellschaften. Hier spielen nicht nur die Großen mit, sondern auch mittelständische Einheiten wie
Die noch vor wenigen Jahren etwas naserümpfend als ,Billig-Läden‘ gemiedene Form der Leistungserbringung bekommt mit der Zunahme von Massenklagen unterschiedlicher Couleur in den Augen etlicher Kanzlei-Führungskräfte einen ganz neuen Charme – durchaus mit Vorteilen für potenzielle Mandanten, die mit deutlich niedrigeren Kosten rechnen dürfen. Und dass Massenklagen auch nach dem Dieselskandal ein wachsendes Phänomen sein werden, ist längst klar. Nicht nur technisch hochgerüstete Klägerkanzleien und auf Privatkundschaft zielende Tech-Unternehmen wie Flightright werden dafür sorgen. Gerade auch die zu erwartenden Klagen rund um Klimaschäden und soziale Missstände, neudeutsch ESG, bieten ein riesiges Feld. Rückversicherungs-Gesellschaften wie Swiss Re haben Litigation-Risiken aufgrund des Technologieeinsatzes auf Klägerseite längst auch jenseits der USA unter die steigenden Risiken eingeordnet.
Doch die Verteidiger-Kanzleien schlagen inzwischen zurück, allen voran
Und es geht weiter: als sie im Sommer die Gründung von ClearyX verkündete. Mit Technologie, kreativer Personalbesetzung und innovativen Honorarmodellen will die Kanzlei Transaktionsarbeit künftig kundenorientierter angehen. Auch in Deutschland ist der Einsatz von Tech in Deals längst mehrheitsfähig, doch brauchen Service-Einheiten meist eine Weile, um die erforderliche Besetzung für kontinentaleuropäische Bedürfnisse zu finden.
Eine derartige Initiative aus einem Haus wie Cleary wäre allerdings noch vor zwei Jahren genauso undenkbar gewesen wie
Halb zog es sie….
All dies kommt nicht von ungefähr. Globale Konzerne üben weiterhin einen beachtlichen Druck aus, um ihre Rechtsberatenden zu mehr Kostensensibilität und Effizienz zu bewegen. Das geht bereits los mit umfangreichen Panel-Ausschreibungen wie jüngst bei EnBW. Vor allem aber sind es Legal-Operations-Wegbereitende wie viele US-Konzerne, aber auch British Telecom, die jüngst einen langfristigen Vertrag mit dem alternativen Anbieter Factor geschlossen hat, oder UBS. Sie erwarten längst, dass ihre Rechtsberatenden genauso viel Energie in Operations-Maßnahmen stecken wie sie selbst. Legal Tech ist dabei nur ein Element von vielen. Es droht die Auslagerung an alternative Anbieter.
Das Darmstädter Unternehmen Merck macht hierzulande schon seit einigen Jahren vor, wie sich spezifisches Legal-Tech- und -Operations-Engagement mausern kann: Nach ersten klassischen Operations-Initiativen brachte das Rechtsteam durch eine Kooperation eine eigene Vertragssoftware auf den Markt. Nun will der Konzern die Prozesse der Gruppenfunktionen, also unter anderem Tech, Finanzen, Personal und Einkauf, effizienter gestalten. Statt dieses Thema externen Beratenden zu überlassen, ist der frisch berufene ,Head of Lean Governance‘ dem Rechtsbereich zugeordnet. Ein Grund ist inhaltlich: Die Governance-Strukturen sollen und müssen sich an den regulatorischen Vorgaben und Risiken orientieren. Der andere Grund ist eben die wegbereitende Rolle der Rechtsabteilung durch Legal Operations-Initiativen. Genau dort finden sich bereits praktische Erfahrungen mit dem Lean Management.
Inzwischen setzen immer mehr deutsche Unternehmen auf Legal-Operations-Kompetenz, zuletzt kam unter anderem ZF Friedrichshafen hinzu. Das Bild, das Kanzleien in Deutschland derzeit abliefern, dürften gerade diese Konzerne als eher desolat empfinden. Kaum ein Angebot für sie, zu wenig Verantwortung in wirklich qualifizierter Hand und eine inhaltliche Verengung auf Legal Tech statt innovativer Service-Lösungen.
Unternehmensberatungen wie Gartner gehen davon aus, dass Rechtsabteilungen ihre Investitionen in Legal Tech in den kommenden drei Jahren verdreifachen werden. Zugleich werden sie einen nicht unerheblichen Teil ihrer eher generalistisch arbeitenden Anwälte durch Nicht-Anwälte ersetzen. Diese werden dank ihrer operativen Erfahrungen Schlüsselrollen besetzen, wenn es um Mandatierungsstrategien und Digitalisierung geht. Letzteres wird –
Den Kanzleien bleibt also kaum eine Wahl: Entweder sie gestalten die Umbauprozesse des Markts aktiv mit oder sie werden von ihren wichtigsten Mandanten gestaltet. Man muss ja nicht so weit gehen wie