Kanzleien, die den Anspruch haben, zu den bundesweiten Top-Adressen zu gehören, müssen sich ständig wandeln. Es gilt, den sich verändernden Bedürfnissen der Mandanten Rechnung zu tragen. Wo lange Zeit die hochkarätige Beratung im Gesellschaftsrecht und von Transaktionen das Nonplusultra waren, haben Konfliktlösungs- und Regulierungskompetenz praktisch gleichgezogen – das schlägt sich in den JUVE Top 50 deutlich nieder.
Dass sich Mandantenbedürfnisse ändern, klingt wie eine Binsenweisheit. Doch im Kontext von Digitalisierung, Compliance- und Litigation-Risiken und ganz besonders im Umfeld von Pandemie, Klimawandel und Ukraine-Krieg ist sie wahrer denn je. Die sogenannten Bet-the-Company-Mandate, bei denen der Preis kaum eine Rolle spielt, liegen heute nicht mehr wie früher primär im Transaktionsgeschäft. Sie finden dort natürlich unter Umständen auch statt, aber eben längst nicht mehr ausschließlich. Deshalb verändert sich auch die Rolle derjenigen, die Rechtsberatung für Unternehmen leisten.
Kontinuierlicher Wandel
Derartige Entwicklungen und Akzentverschiebungen hat die JUVE-Redaktion in den vergangenen 25 Jahren eng verfolgt. Und natürlich haben sie immer wieder gerade auch beim JUVE-Top-50-Ranking ihren Niederschlag gefunden. Grenzüberschreitende Kompetenz oder Know-how im Finanzierungssektor etwa spielten Ende der 1990er Jahre als die Internationalisierungswelle bei den Kanzleien gerade begann, eine viel geringere Rolle als heute.
Im Lauf der Zeit haben sich aber auch die Anforderungen an das Kanzleimanagement gewandelt – sei es hinsichtlich der internationalen Strategie, einem Fokus auf mehr Teamwork und fachübergreifend vernetztem Arbeiten oder der Stimmigkeit der Personalentwicklung.
Bei letzterem etwa wirken sich veränderte Ansprüche des anwaltlichen Nachwuchses aus. So belegen die vom JUVE Verlag durchgeführten Umfragen des Karrieremagazins azur, dass eine Partnerschaft nicht mehr unbedingt das alleinige Lebensziel des heutigen Anwaltsnachwuchses ist. Auch eine hohe Bezahlung allein genügt als Lockmittel nicht. Förderung und Work-Life-Balance stehen hoch im Kurs, Teilzeitmodelle sind bis in die Vollpartnerschaft hinein gewünscht. Kanzleien müssen auch darauf adäquate Antworten finden, schließlich sind es die heutigen Associates, die mittelfristig die Ansprüche der Mandanten erfüllen sollen.
Seit einigen Jahren haben sich zudem die Ansprüche an Services und Technologieeinsatz verändert und sind stärker in die Bewertung der Spitzenkanzleien einbezogen worden. Der Grund: Immer mehr Mandanten erwarten, dass beides auf höchstem Niveau und für sie maßgeschneidert angeboten wird. Die Art und Weise, wie Kanzleien ihre Dienstleistung erbringen, genießt heute nicht nur bei Routinefragen wesentlich größere Aufmerksamkeit. In der jüngsten JUVE-Inhouse-Umfrage gab etwa ein Drittel der Antwortenden an, Legal-Tech-Angebote von Kanzleien bereits genutzt zu haben oder sie für sehr relevant zu halten. Und schon 2020 stand ein besseres Projektmanagement der Kanzleien weit oben auf der Wunschliste der Mandanten.
Zunehmende Komplexität
Weil die Herausforderungen für Unternehmen komplexer werden und Schwerpunkte sich verändern, müssen die führenden Kanzleien sich und ihr Angebot laufend überdenken. Ein Nebeneinander von herausragenden Spezialisierungen genügt dabei immer weniger. Vielmehr rückt vernetztes Arbeiten in den Vordergrund wie es sich schon am Beispiel von Compliance zeigte, sei es bei der Untersuchung von Rechtsverstößen oder bei der Überprüfung von Lieferketten. Zur Exzellenz in verschiedenen juristischen Feldern und einer nahtlosen Steuerung über diese Felder hinweg muss ein hohes Verständnis für Unternehmenskulturen und -strukturen treten.
Inzwischen stehen ESG-Themen wie eine robuste Unternehmens-Governance, Verantwortung für Klimawandel-Effekte und soziale Folgen auf der Agenda von Unternehmen und Kanzleien. Auch hier spielen verschiedene juristische Kompetenzen ineinander.
Diese Entwicklungen haben schrittweise das (internationale) M&A, lange Zeit das unbestrittene Hochreck in der Rechtsberatung, aus seiner Stellung in den Kanzleien verdrängt. Selbstverständlich gibt es nach wie vor die internationalen, strategisch und rechtlich hoch komplexen Deals und die Beteiligung daran spielt weiter eine zentrale Rolle bei der Bewertung der Marktbedeutung einzelner Kanzleien. Doch haben auch viele Mandatsstrukturen im Lauf der Jahre einen Standardisierungsprozess durchlaufen.
Risiken im Fokus
Unveränderter Dreh- und Angelpunkt wirtschaftsberatender Kanzleien ist und bleibt jedoch das Gesellschaftsrecht in ganzer Breite – und das sogar mehr denn je. Denn ohne ausgeprägte Kompetenz in diesem Bereich, ist es schlechterdings kaum möglich, Unternehmen als solche strategisch und rechtlich sinnvoll zu beraten. Wer die Klaviatur gesellschaftsrechtlicher Strukturierungsmöglichkeiten nicht beherrscht, läuft Gefahr, zum Beispiel mit Blick auf Regulierungs-, Prozess-, Haftungs- und Compliance-Risiken bei nötigen Restrukturierungen, Joint Ventures, Carve-Outs oder strategischen Zukäufen nicht die optimale Lösung vorzuschlagen.
Und das wäre fatal, denn gerade das rechtliche Krisen- und Risikomanagement genießt heute größte Aufmerksamkeit in Vorständen und Rechtsabteilungen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Da wäre zunächst die national wie international immer engmaschiger und komplexer werdende Regulierung. Fragt man Unternehmensjuristen, so stehen diese staatlichen Vorgaben ganz oben auf ihrer Sorgenliste, denn Verstöße werden teuer, sei es durch Bußgelder, Börsenkursverluste oder Reputationsschäden.
Gleiches gilt für Compliance-Fehler, die nicht nur persönliche Konsequenzen und staatliche Sanktionen nach sich ziehen, sondern auch schnell in streitige Auseinandersetzungen führen. Letztere wiederum nehmen nicht nur zu, sondern werden auch in Europa für Unternehmen immer heikler. Die Zeiten, wo US-Massenklagen das Menetekel schlechthin waren, sind vorbei. Längst sind derartige Phänomene in Europa und auch in Deutschland angekommen. Mit entsprechenden monetären aber auch Reputationsrisiken.
Beratung im Umfeld dieser Risiken ist heute entsprechend von immenser Bedeutung. Deshalb sind diese und andere Kompetenzfelder noch stärker in unsere Analyse der JUVE-Top-50-Kanzleien eingeflossen. Indizien für die Stärken einer Kanzlei sind dabei dieselben wie schon seit Jahren: Das erkennbare Vertrauen von Mandanten, einer Kanzlei ihre wichtigsten Rechtsprobleme anzuvertrauen, die Reputation im Markt und ein Kanzleimanagement, das in sich stimmig agiert und sich (auch) an diesen Bedürfnissen der Mandanten orientiert.
Das Ergebnis ist bei noch so breit angelegter Recherche stets subjektiv, denn sowohl unsere zahlreichen Quellen als auch unsere auf deren Aussagen basierende Analyse reflektieren die Art und Weise, wie im Markt über Kanzleien gesprochen wird.