JUVE: Nach Ansicht der Kommission versprachen die Finanzbehörden Starbucks und Fiat duch Steuervorabscheidev unzulässige Vorteile. Was halten Sie von dieser beihilferechtlichen Argumentation?
Gottfried Breuninger: Auf Grundlage der öffentlich bekannten Informationen erscheinen die Entscheidungen nicht unproblematisch. Auch wenn die Kommission ausdrücklich feststellt, dass Steuervorbescheide – oder bei uns sogenannte verbindliche Auskünfte oder Rulings – als solche absolut legal sind, erstaunt zunächst das Ergebnis, einzelne Steuerfälle als selektive Steuervergünstigung im Sinne einer unzulässigen Beihilfe zu qualifizieren. Unterstellt, dass in beiden Fällen die OECD-Verrechnungspreisregeln angewandt worden sind, stellt sich schon die Frage, wann hier von „künstlichen und komplexen Methoden“ auszugehen ist, die die „wirtschaftliche Realität außer Acht lassen“. Zudem: Kann die Kommission ihre Auslegung der Verrechnungspreisregeln an die Stelle der Mitgliedsstaaten stellen, obwohl es noch gar kein harmonisiertes Steuerrecht in Europa gibt? Und was ist, wenn das Steueraufkommen eines Mitgliedsstaates im Einzelfall verringert wird, aber ein anderer Mitgliedstaat profitiert?
Müssen damit jegliche Instrumente steuerlicher Übereinkünfte, neben Verrechnungspreisstrukturen in Europa etwa auch solche mit den USA, unter beihilferechtlichen Aspekten geprüft werden?
An sich erkennt die Kommission im Regelfall Rulings der Mitgliedstaaten an. Aber natürlich könnte jetzt auch die Einigung der Mitgliedstaaten auf automatischen Informationsaustausch über Steuervorbescheide dazu führen, dass die Kommission zukünftig jedes Ruling genauer im Hinblick auf Gewinnverlagerungen überprüft, auch wenn im betreffenden Mitgliedstaat ein langes Verfahren vorausgegangen ist. Das würde natürlich den Wert von Rulings stark relativieren.
Wäre es unter diesen Umständen wünschenswert, eine Art Vorabentscheidungsverfahren mit der EU zu installieren?
Dies wäre meines Erachtens nicht zielführend und würde oftmals notwendige Umstrukturierungsmaßnahmen vor zeitlich kaum planbare Hürden stellen. Stellen Sie sich vor, Sie bekommen nach langer, behördeninterner Prüfung (mit entsprechenden Gebühren) die verbindliche Auskunft und müssen dann dieses Ruling noch einer langwierigen Kommissionsüberprüfung unterziehen. Ein Art umgekehrtes Notifizierungsverfahren sollte es daher nicht geben. Es sollte dabei bleiben: Rulings sind zulässige Instrumente umsichtiger Steuerplanung eines Unternehmens, welche im Regelfall nicht als Beihilfe zu qualifizieren sind und dem Steuerzahler Rechtssicherheit bringen soll. Nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sollte grundsätzlich auch kein Anlass für eine selektive Steuervergünstigung bestehen.
Eine Umfrage Ihrer Kanzlei zeigt, dass Steuerabteilungsleiter zunehmend unter Druck geraten zwischen Unternehmensstrategie, Ansprüchen der Investoren und den absehbaren Gestaltungsverboten der OECD. Sind die widersprüchlichen Ansprüche überhaupt auflösbar?
Ich meine schon: Wenn die Steuerstrukturfragen auf der Grundlagen der BEPS-Vorgaben schon proaktiv innerhalb der Unternehmensstrategie im Vorstand diskutiert werden („Tax in the Boardroom“) stellt das keinen unauflösbaren Widerspruch dar. Auch muss der Erwartungshorizont der Investoren in realistischer Weise gemanagt werden. Sicher erfordert dies eine Menge Erläuterungs- und Überzeugungsarbeit. Dies ist letztendlich eine Frage der Einschätzung von Steuerrisiken im Rahmen der Unternehmensstrategie.
Ihre Partnerin Lydia Challen fordert, dass die Regierungen überlegen sollen, wie man Investoren von den Vorteilen einer „steuerlichen Fairness“ überzeugen kann. Welche Argumente könnten Regierungen denn anführen?
Zunächst ist Steuerrecht Eingriffsrecht und eine Steuerzahlung ist betriebswirtschaftlich ein normaler Kostenfaktor, der bei der angemessenen Kapitalverzinsung der Investoren zu berücksichtigen ist. Andererseits geht es hier um Aspekte von Corporate Social Responsibility (CSR). Das Unternehmen möchte ein guter „Corporate Citizen“ sein und die Steuerrisiken prokativ „im Griff“ haben. Letztendlich sind dies Fragen, die bei der Reputation des Unternehmens zu berücksichtigen sind. Die Unternehmen müssen hier eine entsprechende Balance finden. Gleichzeitig sollte dann aber auch die Steuerverwaltungen und die EU-Kommission ihrem Handeln den Aspekt der Fairness ausdrücklich zugrunde legen. Das Instrument der steuerlichen Beihilfe sollte gerade nicht als indirektes Mittel zur Steuerharmonisierung genutzt werden.
Das Gespräch führte Jörn Poppelbaum.