Interview zum Fremdbesitzverbot

„Der EuGH könnte den deutschen Anwaltsmarkt für Investoren öffnen“

Der Europäische Gerichtshof muss entscheiden, ob das deutsche Fremdbesitzverbot im Kanzleimarkt rechtswidrig ist. Für durchaus möglich hält das Berufsrechtler Matthias Kilian von der Universität Köln.

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JUVE: Kanzleien gehören berufsrechtlich Anwälten. So soll die Unabhängigkeit der Rechtsberatung gewährleistet sein. Doch diese Frage hat der Bayerische Anwaltsgerichtshof nun dem EuGH vorgelegt. Wie stehen die Chancen, dass der das Fremdbesitzverbot kassiert?

Matthias Kilian

Prof. Dr. Matthias Kilian: Das ist schwer zu sagen. Klar ist aber, dass nicht zuletzt die BRAO-Reform es den Richtern schwerer gemacht hat, das Verbot als angemessenen und verhältnismäßigen Schutzmechanismus für die Unabhängigkeit der Anwälte zu verteidigen. Durch die Reform sind viele der klassischen Gegenargumente entwertet worden.

Welche zum Beispiel?

Stark relativiert wurde das Thema insbesondere durch die deutliche Erweiterung des Kreises der Berufe, mit denen Anwälte praktizieren können. Faktisch können diese in ihren Kanzleien bereits heute in der Minderheit sein und die anwaltliche Unabhängigkeit ist „nur“ noch gesellschaftsvertraglich abgesichert. Der EuGH muss sich also fragen, ob das Fremdbesitzverbot in Bezug auf die Frage noch schlüssig ist, ob auch ein privater Investor die Mehrheit an einer Kanzlei übernimmt.

In Ländern wie Großbritannien ist das schon Praxis. Hat der EuGH das im Blick?

Es ist nicht die Arbeitsweise des EuGH rechtsvergleichend die etwaigen Folgen einer bereits praktizierten Deregulierung für die Unabhängigkeit der Anwaltschaft zu analysieren. Die Argumentation wird abstrakt bleiben und sich wohl vor allem auch mit dem Grundsatz auseinandersetzen, wonach nur aktive Anwälte Gesellschafter einer Kanzlei sein dürfen.

Aber auch dieser Grundsatz ist nicht mehr in Reinform gewährleistet …

Das ist richtig. Rechtsanwälte können seit der Aufgabe des Verbots sogenannter Sternsozietäten in zahlreichen Berufsausübungsgesellschaften parallel tätig sein. Es dürfte also auch heute schon eine minimale Mitarbeit ausreichen. Das ist bereits deutlich mehr Inaktivität, als der EuGH den Apothekern zugesteht, die maximal drei Apotheken betreiben dürfen.

Welche Rolle spielt das Apothekerurteil darüber hinaus?

Ich denke, dass der Gesundheitsschutz, den die Apotheker zur Verteidigung ihres Fremdbesitzverbots geltend machen konnten, nicht mit dem Schutz der Rechtspflege zu vergleichen ist.

Sie würden also annehmen, dass eine satzungsgemäße Absicherung der Unabhängigkeit der Rechtsanwälte in einer mehrheitlich von einem Investor geführten Kanzlei, künftig erlaubt wird?

Das könnte durchaus passieren. Ich glaube nicht, dass wir bald an den deutschen Börsen Aktien von Anwaltsgesellschaften handeln werden, aber dass der EuGH den deutschen Markt für Investoren öffnet, halte ich durchaus für möglich. Aber es geht hier nicht nur um große Kanzleiorganisationen. Vor allem in kleinen Sozietäten stellt sich die Frage ebenso, wenn es etwa darum geht, dass ein Familienmitglied inaktiver Gesellschafter werden will.

Aber spannender sind doch die Fälle, an denen Geschäftsmodelle hängen?

Das kann man so sehen. Sorge bereitet Vielen etwa, dass Rechtsschutzversicherungen sich Anwaltskonzerne aufbauen könnten, um Geschäft inhouse zu halten. Oder, dass Prozessfinanzierer die neuen Möglichkeiten nutzen, um ihr kapitalintensives Geschäft zu finanzieren. Dass die künftige Welt aber dazu führen wird, dass Finanzinvestoren sich an Kanzleien direkt beteiligen, halte ich für weniger wahrscheinlich. Anwälte neigen dazu, sich und ihr Geschäft für spannender zu halten, als es für Dritte dann doch ist. Das konnte man auch bei den interprofessionellen Berufsausübungsgesellschaften beobachten. Die Öffnung des Marktes führte hier nicht zu einer Flut neuer Modelle.

Das Interview stammt aus der aktuellen Ausgabe 06/2023 des JUVE Rechtsmarkt.

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