Interview

„Wenn Kanzleien nur reden statt zu handeln, entsteht New-Work-Bullshit“

Unter dem Stichwort „New Work“ wird derzeit viel über Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und digitale Arbeitsweisen diskutiert. Aber wie „new“ ist das eigentlich? Kaum. Und vieles davon ist sogar Bullshit. Sagt Autor und Personalexperte Carlos Frischmuth. Was Kanzleien in puncto Arbeitsorganisation wirklich weiterbringt, berichtet er im JUVE-Interview.

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JUVE: Was ist wichtiger für Arbeitnehmer? Purpose oder Penunzen?
Carlos Frischmuth: Es wird gerne behauptet, dass der sogenannte Purpose heutzutage die Hauptrolle bei der Jobsuche spielt. Abgesehen davon, dass ich mich mit diesem Begriff ohnehin etwas schwertue, ist das ein falsches Narrativ. Nahezu jede Studie besagt, dass sich der Arbeitnehmer, wenn die Bezahlung nicht stimmt, im Zweifel gegen den potenziellen Arbeitgeber entscheidet. Das Gehalt liegt so gut wie immer unter den Top-3-Kriterien bei der Jobsuche. Auch die Generation Z arbeitet nicht für Luft und Liebe. Dass die Bezahlung auch eine Form der Wertschätzung ist, kann man für Kanzleien auch auf den einschlägigen Job-Bewertungsportalen nachlesen, in denen sich vor allem nichtjuristische Mitarbeitende über schlechte Bezahlung und mangelnde Wertschätzung für ihre Arbeit beklagen.

Carlos Frischmuth

Die vielbeschworene Sinnsuche als Kriterium bei der Jobwahl ist eigentlich Nonsens?
Nicht zwingend. Das Problem ist aber, dass Organisationen – und dazu zählen auch Kanzleien – den Begriff als Füllmasse nutzen, um etwas zu beschreiben, das schwer greifbar ist. Dann entstehen schnell hohle Phrasen und Sinnstiftungsillusionen, die zu nichts führen.

Welche Konsequenzen hat das?
Halbherzige Initiativen, einer Kanzlei einen bestimmten Purpose oder Wertekodex zu verleihen, können ihr und ihrer Brand im schlimmsten Fall sogar schaden. Denn allein durch knackige Slogans, hinter denen aber keine Substanz steckt, macht sie sich unglaubwürdig.

Was können sie besser machen?
Wichtig ist, dass Werte und Visionen einer Kanzlei mit Inhalten gefüllt und konkret definiert werden, beispielsweise durch genau beschriebene Verhaltensweisen.

Also Kanzleikultur statt Kickertisch?
Nicht unbedingt. Schön wäre aber, wenn Kultur und Kickertisch zusammenpassen. Moderne Büroräume sind nett. Viele, vor allem große, internationale Kanzleien sind schon bemerkenswert modern. Gemeinschaftsküchen und Sozialräume sind aber nicht wirklich neu und reine Äußerlichkeiten. Auch ein Kickertisch ist per se kein New-Work-Bullshit. Wenn aber die Kultur, die hinter dieser schicken Optik steckt, eigentlich eine völlig andere ist, wird es problematisch.

Warum?
Man deutet an, dass man eine moderne, menschenorientierte Kanzlei ist, aber die Führungskultur ist schlimmstenfalls noch immer mittelalterlich. Das passt nicht zusammen und wird auf Dauer nicht funktionieren. Wer seinen Mitarbeitenden einen Kickertisch ins Büro stellt, sollte auch erlauben, dass dieser benutzt wird. Denn wenn sich der Eindruck verfestigt, dass diejenigen, die den Kickertisch tatsächlich nutzen, eher zur Fraktion ‚freizeitorientiert und ambitionslos‘ gezählt werden, während die anderen vermeintlich an ihren Schreibtischen malochen, dann hat man eine Art Gegenkultur geschaffen.

Brauchen solche Kanzleien ein Kultur-Update?
Ja, denn das ist wichtiger, als die Büroräume möglichst modern zu gestalten. 

Können Sie ein solches Update näher beschreiben?
Jede Kanzlei muss ihren eigenen Weg finden und beschreiten. Im Englischen spricht man von ,Readyness‘, also der Bereitschaft zur Veränderung und dem Reifegrad der Organisationen. Gerade die Reifegrade sind oft sehr unterschiedlich. Kleinere Kanzleien mit wenigen Akteuren können Veränderungen relativ schnell umsetzen. In einer größeren Struktur ist das nicht ohne Weiteres möglich. Ganz entscheidend ist, dass eine Kanzlei, egal welcher Größe, ihre Vorsätze nicht nur umsetzt, sondern auch durchhält. Wenn das nicht der Fall ist, dann entsteht New-Work-Bullshit.

Und was richtet dieser Bullshit an?
Kulturelle und strukturelle Veränderungen erzeugen bei Mitarbeitenden eine gewisse Erwartungshaltung. Wenn Kanzleien Maßnahmen umsetzen, die auf den ersten Blick großartig klingen, auf den zweiten aber weder mit dem Führungsstil noch mit der bisherigen Kultur kompatibel sind, werden diese Erwartungen enttäuscht. In manchen Fällen führt das sogar zu Verbitterung. Und das ist häufig der größte Motivations- und Produktivitätskiller. Kultur muss sich durch alle Ebenen der Kanzlei ziehen. Sonst verstärkt sich bei Mitarbeitenden der Eindruck, dass sich die Führungsebene vermeintlich tolle Konzepte zu agilem Arbeiten ausgedacht hat, die aber nichts mit der Arbeitsrealität zu tun haben.

Kanzleien sind sehr unterschiedlich in Größe, Struktur und Mindset. Gibt es trotzdem ein paar goldenen Regeln, die für alle gelten?
Ein Kultur-Update in einer neu gegründeten Kanzlei ist vermutlich immer leichter, als in einer traditionellen Einheit, weil man schlicht bei Null anfängt. Wenn man ein modernes Kultur-Set-up installieren will, dann ist das Führungsaufgabe. Ein Kulturwandel muss mit voller Überzeugung über die Führungsebene eingespielt werden. Sonst entsteht nur oberflächliche Kulissenschieberei. Dann hängen vielleicht an der Wand irgendwelche neuen Werte. Hinter vorgehaltener Hand ist aber jedem klar, dass diese Werte nicht gelebt werden.

Welche Auswirkungen hat künstliche Intelligenz auf New Work? Kann KI der Aufhänger für einen kulturellen Veränderungsprozess sein?
Da wäre ich sehr vorsichtig. Sowohl Legal Tech als auch KI als nächste Zündstufe lösen zunächst eine Menge Fragen aus, eventuell auch Sorgen und Ängste. Allen voran die, ob man in seiner bisherigen Funktion im Unternehmen überhaupt noch gebraucht wird. Das gilt sowohl für Juristen als auch für nichtjuristische Mitarbeitende in einer Kanzlei. Deshalb ist es erstmal fraglich, ob sich diese Ausgangslage für ein Kultur-Update eignet.

Also mehr Risiko als Chance?
So würde ich es nicht sagen. Durch den Einzug von Digitalisierung und KI kommen ja auch neue Rollenbilder in eine Kanzlei, wie zum Beispiel Legal Engineers, die zuvor in einem anderen Umfeld gearbeitet haben. Häufig wird dann eine neue Struktur nötig. Es kann durchaus Sinn ergeben, ein Kultur-Update entlang der neuen Rollen zu formen. Mitarbeitende, die diese Rollen ausführen, kennen und akzeptieren hierarchisch geformte und historisch gewachsene Strukturen nicht. Also erwarten sie auch bei einer Kanzlei als neuem Arbeitgeber ein entsprechendes Umfeld. Da ist es fast schon zwingend, ein Kultur-Update anzustoßen, um passende, neue Jobheimaten – wie ich es nenne – zu schaffen.

Was meinen Sie genau damit?
Jobheimat klingt vielleicht etwas pathetisch, heißt am Ende aber nur, dass man ein Umfeld schafft, in dem Leute gerne und vor allem lange im Sinne der Zugehörigkeit arbeiten. Ein Mitarbeitender, der zuvor in einem Start-up gearbeitet hat und nun in eine traditionell hierarchisch strukturierte Kanzlei kommt, bleibt dort im Zweifel nicht lange. Denn für ihn kann es sich dort eventuell wie in einer Zweiklassengesellschaft anfühlen. Und so erhöht sich der Druck für die Kanzlei, einen Kulturwandel anzustoßen. Getrennte Welten oder eine Zweiklassengesellschaft innerhalb der Kanzlei können für den Fortschritt nur hinderlich sein, weil es die Interdisziplinarität und damit auch die Innovationskraft hemmt. Ich spreche in dem Kontext auch gerne von Ambidextrie oder ambidextrischen Organisationsformen.

Warum tun sich Kanzleien mit solchen Veränderungen und neuen Rollenbildern so schwer?
Das Selbstverständnis und die Identität einer Organisation manifestiert sich durch die handelnden Personen. Kanzleien stehen eher auf der konservativen Seite. Konservativ bedeutet in diesem Kontext traditionell und erhaltend. Ein Hinweis: Schauen Sie hierzu eventuell einmal auf die Kulturbewertung von Organisationen auf dem Unternehmensbewertungsportal Kununu. Juristinnen und Juristen gehen eher davon aus, dass sie ein bewährtes Prinzip in der Vergangenheit zum Erfolg geführt hat. Das wollen sie fortführen. Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen spielt ihnen dabei in die Karten und stützt diese eher zurückhaltende Herangehensweise. Im Fokus steht nicht das Streben, die Welt zu verändern. Ich glaube, dass es aus diesem Selbstverständnis heraus schwieriger ist, in eine Veränderungsbereitschaft zu kommen.

Also brauchen Kanzleien über so grundlegende Veränderungen wie die Vier-Tage-Woche gar nicht erst nachzudenken?
Das ist eine ganz heiße Kiste. Vieles im Kontext von New Work steht zueinander im Widerspruch. Deswegen brauchen wir eine gewisse Ambiguitätstoleranz, wie ich es gerne nenne. Einerseits ist gerade in Wirtschaftskanzleien häufig von Überlastung die Rede. Und gleichzeitig soll die dann auf vier Tage komprimiert werden. Wie soll das gehen? In einer Anwaltskanzlei würde sich zum Beispiel die Austauschkomplexität der Mitarbeitenden untereinander massiv erhöhen. Deshalb halte ich das für derzeit nicht umsetzbar. Jedenfalls nicht bei vollem Gehalt.

Warum?
Weil die Idee im High-Paid-Bereich schwer umsetzbar und in der klassischen Billable-Hour-Vergütungsstruktur auch nicht umrechenbar ist. In Kanzleien besteht eher das Problem der dysfunktionalen Überarbeitung von Juristen bis in die Wochenenden hinein. Dort sollte man eher über eine echte Fünf-Tage-Woche nachdenken –  ohne Wochenendarbeit und mit familienfreundlichen Angeboten. Es wäre toll, wenn einige Kanzleien  bei diesem Thema vorweg gingen und eingestehen: Wenn eine Fünf-Tage-Woche nicht möglich ist, dann stimmt unsere Personalzuteilung nicht.
Es gibt aus der Historie sicher eine Community, die dazu bereit war, Wochenenden und gemeinsame Familienessen für den Job zu opfern. Aber es gibt immer weniger junge Anwälte, die heute noch dazu bereit sind. Im Rest des Arbeitsmarktes wird es auf absehbare Zeit Unternehmen geben, die als Leuchttürme herausstechen. Bei Kanzleien sehe ich das nicht – noch nicht. Aber die Zeit ist mehr als reif. Allerdings müssen sie auch aufpassen, dass ihnen das mittelfristig nicht auf die Füße fällt und ihnen die hochqualifizierten Juristen ausgehen.    

Carlos Frischmuth veröffentlichte 2021 das Buch „New Work Bullshit: Was wirklich zählt in der Arbeitswelt“. Dort lässt er seine 20 Jahre Erfahrung im Arbeitsmarkt einfließen. Er ist Managing Director beim internationalen Personaldienstleistungskonzern Hays, wo er die Bereiche Public Services, Legal und Healthcare verantwortet. Er war einer der Referenten der JUVE Signale im März 2024.

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