Interview

„Eine neue Logik fürs Berufsrecht“

Seit Oktober müssen Kanzleien mit mehr als zehn Berufsträgern ihre Berufsrechtsrisiken analysieren und dokumentieren – eine sinnvolle Regelung, findet Dr. Martin Schorn, Partner bei Pohlmann & Company.

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Martin Schorn

JUVE: Was sind die größten berufsrechtlichen Risiken von Pohlmann & Company?
Dr. Martin Schorn: Für uns hat unter den gesetzlichen Berufspflichten unsere Unabhängigkeit besondere Bedeutung, auch im Vergleich zu anderen Kanzleien. Noch strenger als die gesetzlichen Berufspflichten in Deutschland sind die Anforderungen der US-Behörden an einen Compliance-Monitor wie unseren Namenspartner. Demnach dürfen wir etwa keine Mitarbeiter von Unternehmen einstellen, die wir als Compliance-Monitor begleiten. Wir dürfen auch nach dem Monitorship auf Jahre hinaus keine Mandate von diesen Unternehmen annehmen.

Hat jede Kanzlei andere Risiken?
Ja. Eine kleine Klägerkanzlei, die offensiv in den sozialen Medien um Kläger wirbt, kann eher mit der Pflicht zur sachlichen Werbung in Konflikt kommen und sollte dies in ihrer Risikoanalyse berücksichtigen. Werberisiken gehen aber auch größere Kanzleien ein, dann vielleicht eher im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht nicht zuletzt gegenüber JUVE. Große Wirtschaftskanzleien oder auf Litigation spezialisierte Sozietäten trifft hingegen das Risiko der Vertretung widerstreitender Interessen häufiger als kleinere Boutiquekanzleien. Das dürfte in diesen Sozietäten im Zweifel das relevantere Risiko sein als die Unabhängigkeit wie in unserem Fall.

Einmal angefertigt, was bringt die Risikoanalyse?
Viel, finde ich. Sie tut Kanzleiorganisationen gut, nicht nur aus berufsrechtlicher, sondern auch aus einer ethischen Perspektive. Wir setzen dies im Rahmen eines Prozesses um, in dem wir unseren Code of Conduct gemeinsam entwickeln und dies auch in die Beratung einfließen lassen, indem wir uns etwa in der Partnerschaft wöchentlich zu allen wesentlichen Mandaten austauschen und kritische Beratungsergebnisse bewerten. Wie wichtig ein solcher Prozess der Bewertung von Risiken generell sein kann, sehen wir auch in der allgemeinen Compliance-Beratung. Große Kanzleien sind insofern auch nichts anderes als mittelständische Unternehmen. Sie sollten sich ihrer Risiken bewusst werden und diese aktiv steuern. Das geht bei größeren Kanzleien nicht mit einem Austausch unter allen Partnern wie bei uns. Denkbar sind aber Gremien oder auch ein Chief Risk Officer.

Sind die Kanzleien mit Blick auf ihre berufsrechtlichen Risiken denn wirklich so gedankenlos unterwegs gewesen?
Nein, keineswegs. Es gibt in der Anwaltschaft ein großes Bewusstsein für berufsrechtliche und ethische Standards. Daher gab es vielleicht auch eine gewisse Abwehrhaltung gegen die Reform. Nach dem Motto: Das ist doch unser Berufsverständnis und unsere Pflicht, das machen wir doch bereits sehr gewissenhaft.

Was ist denn dann die Rechtfertigung für diese Regelverschärfung?
Mit der Risikoanalyse zieht eine neue Logik ins Berufsrecht ein, wie wir sie auch anderswo in der Compliance-Welt beobachten. Es gilt nicht mehr nur gesetzliche Pflichten zu erfüllen – der Gesetzgeber sagt einem auch konkret wie. Die Risikoanalyse ist Teil dieses ‚Wie‘. Sie macht das Thema zu einer Aufgabe der gesamten Kanzlei, die darüber ihre internen Prozesse verbessern kann. Denn die lassen ja oft gar nicht erkennen, dass mit ihnen Verstöße in Kauf genommen werden könnten. Mit einer Risikoanalyse lassen sich genau diese Risiken aufdecken.

Welcher Aufwand ist denn angemessen für eine Risikoanalyse?
Angemessen ist bei größeren Kanzleien aus meiner Sicht ein Ressourceneinsatz von zwei bis drei Personen, die sich einige Wochen mit dem Thema Risikoanalyse befassen und dazu mit den betroffenen Praxisgruppen sprechen.

Sind die Kammern bereit, ihre Aufsichtspflicht über Risikoanalysen auszuüben?
Die Kammern müssen ihre Aufgabe ernst nehmen – und nach meiner Erfahrung tun sie dies auch, etwa im Geldwäscherecht: Pohlmann & Company war eine der ersten Kanzleien, die die Münchener Kammer im Rahmen einer Vorortprüfung zu den Anforderungen des Geldwäschegesetzes geprüft hat.

Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe 01/2024 des JUVE Rechtsmarkt.

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