Britische Kanzleien haben in der Vergangenheit immer wieder den amerikanischen Markt ins Visier genommen. Manchmal sind dabei höchst erfolgreiche Einheiten entstanden, wie zum Beispiel Hogan Lovells, die 2010 aus der Fusion der britischen Lovells mit der US-Einheit Hogan & Hartson resultierte. Auch die Fusion von Norton Rose mit US-Wettbewerberin Fulbright & Jaworski 2012 muss erwähnt werden, kann aber nur eingeschränkt als Erfolgsgeschichte gelten.
Die Vorstöße der Magic-Circle-Einheiten nach Westen blieben allerdings oft zaghaft: Sie eröffneten früher zwar Büros in wichtigen Metropolen wie Washington und New York, besetzten diese dann allerdings mit Rainmakern, die ihren Zenit bereits überschritten hatten. Der große Durchbruch blieb entsprechend aus.
Weil die US-Kanzleien deutlich profitabler sind und jede Gelegenheit brutal nutzen, um die Londoner Elite in ihrem Heimatmarkt und in ihrem globalen Corporate-Kerngeschäft anzugreifen, haben die Briten keine Wahl: Um die eigenen Leute zu halten, müssen ihre Kanzleien profitabler werden – und dafür müssen sie sich selbst konsequenter in Richtung USA orientieren.
Fusion oder langsamer Aufbau?
Allen & Overy hat in Sachen Konsequenz zuletzt Maßstäbe gesetzt: Die Ankündigung der Fusion mit der US-Top-Tier-Firma Shearman & Sterling bewerten viele als nachhaltigen Markteintritt in den USA. Die Kanzlei ist heute bereits an sechs Standorten in den USA mit rund 270 Anwälten tätig, davon sind 84 Equity-Partner, wie sich aus öffentlichen Quellen ermitteln lässt. Auf Nachfrage wollte sie keine offiziellen Personalzahlen herausgeben.
Wenn die Fusion zum 1. Mai wirksam wird, dann kommen drei weitere Büros in Dallas, Austin, Houston sowie eines in Toronto, Kanada, mit insgesamt 316 Anwälten hinzu, davon 127 Partnerinnen und Partner. Wie stets bei solchen Fusionen der Fall: Schlussendlich sind Partner Teil des Deals, die unter anderen Umständen eher nicht aufgenommen worden wären.
Clifford Chance und auch Freshfields Bruckhaus Deringer gehen auch deswegen einen anderen Weg: Sie wachsen in den USA mit handverlesenen Laterals. Beide Kanzleien sind dort heute jeweils an drei Standorten vertreten: Beide haben Büros in New York und Washington, Clifford noch in Houston, Texas und Freshfields im Silicon Valley.
Freshfields und Clifford mit großem Fußabdruck
Freshfields hat 2020 den M&A-Star Ethan Klingsberg von Cleary Gottlieb Steen & Hamilton aufgenommen. Danach kam mit Damian Zoubek von Cravath Swaine & Moore ein zweites M&A-Schwergewicht hinzu. Weitere Partner von amerikanischen Spitzeneinheiten folgten bis zuletzt. Mittlerweile hat sich Freshfields in den USA zu einem wettbewerbsfähigen Transaktionspowerhouse entwickelt. Das belegen Statistiken von Bloomberg, die die Kanzlei bei US-Private-Equity-Deals bereits auf Platz vier sehen.
Flankiert wurde der Ausbau mit Neuzugängen für Investitionskontrolle und andere regulatorische Themen. Aber auch in Litigation und Compliance hat Freshfields in den USA schlagkräftige Praxen etabliert. Innerhalb von fünf Jahren hat die Kanzlei ihre Mannschaft in den USA nach JUVE-Informationen auf über 400 Anwältinnen und Anwälte ausgebaut, davon 90 Partner.
In ähnlicher Größenordnung aber mit 20 Partnerinnen und Partnern mehr ist Clifford zurzeit in den USA tätig. Offiziellen Angaben zufolge ist das Team vor Ort in den vergangenen fünf Jahren auf Partnerebene ebenfalls um über 50 Prozent gewachsen. Der Bereich der angestellten Anwälte wuchs um gute 30 Prozent.
Weniger als Freshfields setzt Clifford auf die ganz großen Namen und zuletzt auch nicht so konsequent auf das ganz große Private-Equity-Geschäft. Die Kanzlei will eher für ihre Bestandsmandanten das Angebot in den USA erweitern, zum Beispiel für ihre Klientel im Energiebereich. Ende 2022 wurde das Büro in Houston als Ergänzung des globalen Energiehubs eröffnet. Gleich sieben auf den Energiesektor spezialisierte Partner konnte Clifford unter anderem von Latham & Watkins und Jones Day für das Vorhaben gewinnen.
Spätzünder Linklaters
Im Vergleich mit ihren direkten britischen Wettbewerbern ist Linklaters ins Hintertreffen geraten. Offizielle Zahlen veröffentlicht die Kanzlei nicht. Mit insgesamt 81 Anwälten (rund 40 Partner), die sich ungleichmäßig auf die Standorte New York und Washington verteilen, hat Linklaters gegenüber ihrer Magic-Circle-Konkurrenz jedoch am wenigsten und am zögerlichsten in eine US-Präsenz investiert. Die Zahlen stammen aus öffentlichen Quellen. Wie Allen & Overy kommentiert auch Linklaters Fragen nach dem Personalstand in den USA nicht.
Zu Jahresbeginn gab Linklaters ihren bis dahin größten Schritt bekannt, um in den USA Fuß zu fassen: Von der bereits mit Allen & Overy verlobten Shearman & Sterling konnte sie ein größeres New Yorker Team um den ehemaligen Managing-Partner der Kanzlei, George Casey, davon überzeugen, seine Zukunft mit Linklaters und nicht mit A&O Shearman anzugehen. Casey steht wie der deutsche Linklaters-Grande Dr. Ralph Wollburg für riesige Deals und für beste Beziehungen zu den internationalen Industriekonzernen. Die beiden sollen gemeinsam die globale Corporate/M&A-Praxis führen.
Der Team-Wechsel ist zu frisch, um ihn mit dem Zugang von Klingsberg zu Freshfields zu vergleichen. Erst in einigen Jahren wird man sagen können, ob mit den Zugängen die US-Wachstumsgeschichte der Kanzlei gestartet wurde – oder ob die Zugänge schlussendlich doch nur viel Geld gekostet haben. Deutsche Linklaters-Partner deuten im Gespräch mit JUVE an, dass der M&A-Ausbau sicher nicht die letzte Investition in den USA war. Vielmehr sollen weitere Zugänge das Angebot auch in Restrukturierung und Insolvenz, Bank- und Finanzrecht, Kapitalmarktrecht sowie Energie- und Infrastrukturberatung stärken.
Linklaters verunsichert
Dass Linklaters im Rennen um einen guten Platz im US-Markt deutlich ins Hintertreffen geraten ist, zeigt nicht nur der Blick auf die Personalzahlen vor Ort. Marktbeobachter sehen die Entwicklung in den USA eng mit der in London verbunden, wo die Kanzlei zuletzt wie keine andere eine ganze Reihe führender Partner aus unterschiedlichen Praxisgruppen an US-Kanzleien verloren hat. Sie betonen, dass Linklaters ihre Partner verliert, weil sie – anders als vor allem Freshfields – im Wettkampf um die globale Corporate-Elite hinten liegt.
Die Kanzlei muss sparsam wie nie mit ihren Equity-Punkten umgehen. Dazu passt auch, dass Linklaters – nach Recherchen von The Lawyer – plant, ihren Partnern den Wechsel zur US-Konkurrenz zu erschweren. Die Partnerschaft stimmt demnach bald darüber ab, ob sie bis zum Tag der Kündigung nicht ausgezahlte Boni und andere Vergütungsbestandteile einbehalten wird. Außerdem gibt es Überlegungen, die noch recht üppigen Abfindungen für ausscheidende Partner zu begrenzen, wenn sie nach vielen Jahren in den Ruhestand treten oder aus anderen Gründen ausscheiden. Dem Vorgehen ist eine gewisse Hilflosigkeit nicht abzusprechen.
Im dritten Teil dieser Serie wird es darum gehen, welche Risiken der US-Aufbau birgt und wie er die britischen Kanzleien kulturell verändert.