Mit dem neuen Handelsgericht möchte die EU-Kommission ein transparentes, rechenschaftspflichtiges „gerichtsähnliches System“ für alle Investitionsstreitigkeiten in Europa schaffen. Obendrein möchte sie ein Berufungsgremium etablieren, welches Einspruchsmöglichkeiten nach erfolgtem Schiedsurteil erlaubt. Alle Verfahrenstermine sollen öffentlich zugänglich sein. Interessenkonflikte, wie sie beteiligte Anwälte oder Kanzleien im existierenden Ad-hoc-Tribunal-System haben, wären künftig ausgeschlossen. Denn es würden unabhängige Richter öffentlich bestellt werden, denen dann nach Zufallsprinzip die einzelnen Verfahren zugewiesen würden, so Handelskommissarin Cecilia Malmström.
Investoren aus der EU-Region seien zwar diejenigen, die die bisherige Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit am häufigsten in Anspruch nähmen, so Malmström. Doch aus dieser Expertise leitet sie keineswegs einen Bestandsschutz für das bestehende Schiedsverfahrenssystem ab: „Das bedeutet, dass Europa eine Vorreiterrolle einnehmen muss, es zu reformieren und zu modernisieren“, sagte Malmström. Der Vorschlag wurde zeitgleich der Öffentlichkeit vorgestellt, wie er dem Parlament und den Mitgliedsstaaten zukam – auch dies eine Transparenzoffensive der Behörde.
Blaupause für die Zukunft?
Die jüngsten Vorschläge, abgestimmt mit dem juristischen Dienst der EU-Kommission, erfolgen primär vor dem Hintergrund der stockenden Verhandlungen zwischen den USA und Europa zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP. Die Kommission ließ offen, wie und wo sie die entsprechenden Richter rekrutieren möchte. In der Pressekonferenz erläuterte die Kommissarin, dass ein bilaterales Gericht angestrebt werde, das paritätisch mit jeweils fünf amerikanischen, fünf EU-Richtern und fünf Richtern aus Drittstaaten zu besetzen sei. Jenes Gericht soll zunächst ohne ständigen Sitz und ohne eine umfangreiche Bürokratie auskommen. Auf lange Sicht sei jedoch ein multilateraler Gerichtshof avisiert, dem möglicherweise auch weitreichendere Rechtsprechungshoheit zukommen soll.
Die EU-Kommission hofft mit dem regulierten und staatenübergreifenden Justizmodell auch das sogenannte ‚Forum-Shopping‘ unterbinden zu können. Nach diesem Prozessmodell gründen Investoren Niederlassungen in anderen Staaten, um über die jungen Vehikelfirmen bilaterale Investitionsschutzabkommen zu nutzen. Dies ermöglicht ihnen Schiedsklagen gegen den Gaststaat, von dem sie sich geschädigt fühlen.
Die zweite Instanz am bilateralen Gerichtshof soll nach ähnlichen verfahrenstechnischen Prinzipien arbeiten wie die Berufungsinstanz zum Streitschlichtungsgremium der Welthandelsorganisation (WTO). Die Abstimmungen mit den USA sollen jedenfalls fortgesetzt werden, sobald die neuen Reformvorschläge der Kommission zur Streitbeilegung auch mit dem Europäischen Rat und dem EU-Parlament besprochen sind.
Soweit bekannt, sollen die bereits geschlossenen Handels- und Investitionsabkommen mit Kanada (CETA) und Singapur davon unberührt bleiben, aber in zukünftige Vereinbarungen, wie beispielsweise das mit Japan, sollen die neuen gerichtlichen Standards integriert werden (Sonja Behrens)