Ambitionierte Wirtschaftskanzleien müssen weltweit ihre Prioritäten neu setzen: Der Exodus aus Russland ist abgeschlossen. Der langjährige Hoffnungsträger China erweist sich als zunehmend stachelig. Und mit Blick auf Indien keimt Hoffnung, weil sich der Subkontinent im Frühjahr 2023 für ausländische Kanzleien geöffnet hat.
Dass China nicht mehr das Traumland internationaler Wirtschaftskanzleien ist, belegte zuletzt Dentons: Sie löste ihren Zusammenschluss mit der chinesischen Kanzlei Dacheng – auch weil er zu riskant war mit Blick auf die Datensicherheit, die für Mandanten bei der Zusammenarbeit mit Kanzleien immer wichtiger wird. Vor diesem Hintergrund mutete der Schritt von Eversheds Sutherland gewagt an, auch wenn ihre exklusive Kooperationsvereinbarung mit King & Wood Mallesons einen gebotenen Abstand erkennen lässt. Bei allen Problemen ist der chinesische Markt für die meisten Mandanten schlicht noch immer zu wichtig, als dass die globalen Kanzleien ihm die kalte Schulter zeigen könnten.
Transatlantiker mit Rückenwind
Deutlich größeren Einfluss auf den deutschen Beratermarkt werden die intensivierten Bemühungen insbesondere auch der britischen Kanzleien um den US-Markt haben. Für einige Magic-Circle-Kanzleien erweist sich eine nachhaltige Präsenz im US-Markt als entscheidend für ihre Ansprüche, zur globalen Elite zu gehören. Vor allem Allen & Overy und Freshfields Bruckhaus Deringer schicken sich derzeit an, die ökonomischen Möglichkeiten des US-Marktes konsequenter auszuschöpfen. Freshfields etwa gewann in den vergangenen Monaten mehr als ein Dutzend Quereinsteiger, darunter echte Schwergewichte. Allen & Overy bringt die anstehende Fusion mit Shearman & Sterling auf einen Schlag eine beachtliche Präsenz in den Staaten.
Neuer Markt Kontinentaleuropa
Zugleich orientieren sich amerikanische Kanzleien nach Kontinentaleuropa, vor allem nach Brüssel. Zuletzt eröffnete dort Davis Polk & Wardwell ein Büro. In Brüssel laufen zahllose für das M&A-Geschäft relevante Genehmigungsvorgänge zusammen und namhafte Mandanten bemängeln inzwischen, dass Kanzleien in Sachen Regulierung zu wenig zu bieten haben. Sie unterschätzten, dass insbesondere die zunehmende Regulierung der EU eines der Schmerzthemen nicht nur deutscher Unternehmen, sondern auch globaler Konzerne ist.
Deutschland bleibt wegen seiner Wirtschaftskraft und der weiterhin zahlreichen Übernahmeziele ein zentraler Markt in diesem Gefüge. Oft hapert es jedoch an der Zusammenarbeit etwa zwischen den deutschen Teams mit denen in Paris, Mailand oder Madrid. Oder es fehlt an einer kontinentaleuropäischen Strategie – nicht zuletzt auch, um der wachsenden Bedeutung dieses Marktes für die Mandanten gerecht zu werden.
Eher schleichend verschiebt sich im Hintergrund zudem das Machtverhältnis zwischen Deutschland und Großbritannien: Immer häufiger übernehmen in grenzüberschreitenden Deals deutsche Partner die Verantwortung – eine Aufgabe, die vor dem Brexit eher in London verortet worden wäre. Aber auch Finanzierungs- und Regulierungsteams auf dem Kontinent gewinnen gegenüber den Londoner Anwälten an Einfluss.
Mehr darüber, wie diese Entwicklungen auch deutsche Kanzleien herausfordern, lesen Sie im aktuellen JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien.