Lernen wollen beide Sozietäten voneinander. Dr. Wolfgang Bosch, Partner im Gleiss-Büro in Frankfurt, ist sicher: „Von den anglo-amerikanischen Kanzleien können wir ein noch professionelleres Management von Merger-Projekten und besseren Service für die Finanzierung bei großen Deals lernen.“ Fleck lobt umgekehrt die herausgehobene Marktposition von Gleiss besonders im Kartell- und Wettbewerbsrecht, von der Herbert Smith profitieren könne. Erkennbar ist damit auch die Strategie der folgenden Jahre aufgezeigt, weitere grenzüberschreitende Kompetenzen und Marktanteile im Bereich M&A, Börseneinführungen, Energierecht, EU-, Kartellrecht und IT zu erlangen.
Eine ähnliche Ausrichtung hat die engere Zusammenarbeit nahegelegt. Diller bestätigt: „Beide Kanzleien sind stark in der Industrie verwurzelt, daher kann das Transaktionsgeschäft weiter ausgebaut werden.“ Herbert Smith ist traditionell (gegründet 1882) sehr geschätzt für ihre starke Prozessaktivität, hat aber mittlerweile eine sehr beachtliche Corporate-Praxis aufgebaut (siehe Box Mandanten). Gleiss hat sich ebenfalls von einer Kartellrechtsboutique für Industriemandanten der Gründerzeit vor 51 Jahren zu einer international hoch renommierten Gesellschaftsrechts-, M&A-, und Arbeitsrechtssozietät entwickelt.
Die inneren Vergütungssysteme und die Kultur passen gut zueinander, eine Tatsache, die zwar erst bei einem endgültigen Zusammenschluss Bedeutung erlangen wird, aber schon jetzt die Verständigung erleichtert hat. Diller stellt fest: „Die Partnerschaftskultur ist bei beiden Sozietäten erstaunlich ähnlich, sie sind beide aus eigener Kraft gewachsen und verfügen über ein klares Lockstep-System.“ Eine Anpassung an die höhere Leverage-Ratio (das Verhältnis zwischen vollständig beteiligten Equity-Partnern und anderen Berufsträgern) des britischen Partners (1:6) ist bei Gleiss (1:3) trotz der Erwartungen von Marktbeobachtern größerer Deals nicht vorgesehen und Fleck springt den deutschen Kollegen bei: „Die Leverage ist auch in Großbritannien nicht in allen Rechtsbereichen gleich hoch. Auch bei M&A ist nicht immer notwendigerweise eine höhere Leverage nötig, hier kommt es oft viel mehr auf Koordinierungsaufgaben an.“
Die nackten Zahlen zeigen ein typisch britisch-deutsches Größenverhältnis an: Herbert Smith (879 Anwälte) ist, zahlenmäßig betrachtet, gut fünfeinhalbmal so groß wie Gleiss (zur Zeit 157 Anwälte). Bemerkenswert ist, dass die Kanzleien keine anderen Berufsträger außer Anwälten beschäftigen. Insgesamt verfügen die Kanzleien über 15 Büros in Europa und Asien. Komplementär ergänzen sich die osteuropäischen Gleiss-Büros und die asiatischen Büros von Herbert Smith. In Brüssel unterhalten beide Sozietäten Standorte, die beide einen guten Ruf haben (JUVE Rechtsmarkt 5/00). Zur Zukunft des Brüsseler Standortes berichtet Diller: „Die beiden Brüsseler Büros werden eventuell auf Dauer in einem gemeinsamen Büro arbeiten, sie befinden sich bereits in der gleichen Strasse.“ Seit Jahren arbeiten beide Sozietäten bisher unabhängig voneinander mit drei sehr geachteten US-Kanzleien eng zusammen. Den New Yorker „Best Friends“, vor allem Paul, Weiss, Rifkind, Warton & Garrison, aber auch Cravath, Swaine & Moore, Simpson Thacher Bartlett haben Gleiss- und Herbert Smith-Partner letzte Woche die frohe Botschaft von der engeren Zusammenarbeit verkündet, jene haben den Schritt begrüßt.
Es ging flott. Innerhalb nur eines knappen halben Jahres wuchs der Entschluss, die Zusammenarbeit zu intensivieren und letztlich in beiden Partnerversammlungen ein einstimmiges Abstimmungsergebnis herbeizuführen. Diller ist begeistert von der Geschwindigkeit der Verhandlungen: „Es ging so schnell, weil die Leute sich von Anfang an mochten. Der ‚menschliche Faktor‘ war sicher ein Schlüssel zu der schnellen Entscheidung.“
Beobachter fragen sich angesichts der Allianz, warum keine Fusion gewählt wurde. Diller erklärt: „Es geht auch im nächsten Jahr nicht um eine Fusion. Wir wollten mit den leichten Schritten eines Zusammenschlusses, einer Kooperation, anfangen. Die weitere Entwicklung ist offen, eine gesellschaftsrechtliche Verbindung nicht ausgeschlossen. Wir haben aber keine Eile.“ Er gibt jedoch zu: „Ein Merger wäre zur Zeit ein großes Problem.“ An den Bedenken einiger Gleiss-Partner war seinerzeit (JUVE Rechtsmarkt 6/98) eine Fusion mit den Belgiern Stibbe Simont Monahan Duhot gescheitert, „da der britische Markt als Schlüssel angesehen wurde“, wie sich Diller erinnert. Gespräche mit Freshfields waren erst gar nicht in die entscheidende Phase gelangt. Von der jetzigen Verbindung müssen daher alle Gleiss-Partner wirklich überzeugt gewesen sein.
Die Zusammenarbeit soll rein praktisch vertieft werden. „Die Sozietäten werden sich gemeinsam um größere internationale Mandate bewerben, es wird integrierte Arbeitsgruppen zum Beispiel zu M&A oder Telekoms geben. Die Anwälte sollen ausgetauscht werden, Gleiss-Anwälte sollen etwa für zwei bis drei Monate oder ein halbes Jahr nach London gehen und umgekehrt. Wir werden wechselseitig Zugang zu unseren Mustersammlungen haben“, gewährt Diller einen Einblick. Grundsätzlich rechnen auch beide Sozietäten getrennt aufgrund ihrer bisherigen Honorarpraxis ab, auf Wunsch erhält der Mandant eine gemeinsame Rechnung.
Verblüffend ist die einträchtige Gelassenheit der deutschen und britischen Anwälte gegenüber den großen Zusammenschlüssen diesen Jahres. Eine defensive Heransgehensweise an den Markt scheint für Gleiss entgegen Spekulationen nicht kennzeichnend. Diller stellt klar: „Bei Gleiss ist Tradition ein hoher Wert. Wir glauben an unser Büro. Die Kooperation ist nicht eine bloße Reaktion auf Marktentwicklungen, aber auch gegen eine Strategie des Gewapptnettseins ist aus unserer Sicht nichts einzuwenden. Wenn Muhammad Ali einen Boxkampf gewinnen wollte, war er clever genug, auch die Deckung hoch zunehmen, wenn das zum Sieg führte.“
Übersicht
Mandanten-Auslese:
Gleiss Lutz Hootz Hirsch:
(Branchen: Auto, Energie, Pharma, Medien, Versicherungen)
Dresdner Bank/Deutsche Bank,
Dresdner Bank/Commerzbank,
Bayrische Hypobank/Bayrische Vereinsbank,
Ciba-Geigy/Sandoz: Novartis,
Daimler Benz/Chrysler,
IBM,
Lufthansa,
Telecom Italia/Deutsche Telekom
Time Warner Germany
Delta Airlines
FIAT
Bosch Siemens/Mannesmann Atecs
Bosch Telekom/GEC Marconi
Bosch Telekom/KKR
KPN/E-plus
Invensys
MCI Worldcom
Bundesverband deutscher Banken/WestLB
Herbert Smith:
(Branchen: Energie, Versicherungen, Banken, Technologie, öffentlich-rechtliche Institutionen, Telekommunikation)
London Stock Exchange/Deutsche Börse
Bank of Scotland
British American Tobacco/Rothmans International
Olivetti/Telecom Italia
Danone
CSFB
QXL.com
Freeserve/T-Online
Time Warner/EMI
Time Warner/AOL
Allied Zurich