JUVE: Der Bewerbermarkt ist leergefegt – auf Anwalts- und Anwärterebene. Nachwuchsjuristen und -juristinnen sind kaum zu finden. Wo drückt der Schuh?
Dr. Armenak Utudjian: Auch wir bemerken, dass es schwierig ist, Nachwuchsleute zu gewinnen – bei Anwärterinnen und Anwärtern mehr als bei Anwältinnen und Anwälten. Das liegt an einem negativen Image, dass in der Anwaltsbranche ein Privat- mit dem Berufsleben nicht vereinbar sei. Ein wenig ist das ein selbst produziertes Image, das in der Regel gar nicht der Realität entspricht.
Die Demografie spielt ebenfalls hinein, auch wenn es meines Erachtens genug Studierende und Absolventen gibt. Ihnen stehen allerdings andere Karrieremöglichkeiten offen, auch international. Sie haben also mehr Auswahl als früher, auch weil die Justiz und Unternehmen attraktive Arbeitgeber sind.
Erfreulicherweise drängen Frauen stärker in den Beruf, in den letzten zehn Jahren gab es insgesamt etwas mehr neu eingetragene Anwältinnen als Anwälte.
Was tun Kanzleien, um den Anwaltsberuf attraktiver zu machen?
Inzwischen nehmen viele von ihnen Geld in die Hand, um im Vergleich mit einer Karriere als Richterin oder Richter als Arbeitgeber interessant zu sein.
Da Frauen stärker in den Anwaltsstand drängen: Was muss sich ändern, um eine Karriere als Anwältin interessant zu machen? Was können die Rechtsanwaltskammern tun?
Die Kammern haben tatsächlich schon etwas getan, je nach Bundesland etwas verschieden und in unterschiedlichem Ausmaß. Eingeführt ist seit einigen Jahren, dass der Pensionsbeitrag für ein Jahr herabsetzbar ist, und es gibt eine Beitragsbefreiung für die Zeit des Mutterschutzes. Neu eingeführt wurde zuletzt, dass die Anwaltschaft nach der Geburt eines Kindes ruhend gestellt werden kann, wodurch keine Beiträge zu leisten sind. Versicherungszeiten können später vergünstigt nachgekauft werden.
Von Aufgaben befreit
Außerdem besteht die Möglichkeit, sich vor und nach der Geburt eines Kindes von der Verfahrenshilfe befreien zu lassen. In manchen Bundesländern wurde außerdem ein Substitutionspool eingerichtet. Die Informationen dazu haben wir verbessert, beispielsweise auf unserer neuen Website www.ra-vorsorge.at. Und an den Zahlen der neuen Anwältinnen und Anwälte sehen wir auch, dass der Beruf dadurch insbesondere für Frauen attraktiver geworden ist.
Was steht von Seiten des ÖRAK als nächstes an?
Neue Initiativen stehen derzeit nicht an, auch wenn da und dort noch ein paar Rädchen zu stellen sind. Wir arbeiten laufend an weiteren Verbesserungen.
Wie steht es um die Regeln für Anwärterinnen und Anwärter? Uns erreichen immer wieder Klagen über rigide Vorgaben, etwa zu Teilzeitmöglichkeiten.
Da müssen wir vor allem die Informationen besser unter die jungen Juristinnen und Juristen bringen. Teilzeit ist auch auf dieser Ebene nach dem Mutterschutzgesetz oder dem Väter-Karenzgesetz durchaus möglich – auch in der Kernausbildungszeit von 36 Monaten; in der Ersatzzeit sowieso.
Besser auf Prüfung vorbereiten
Wir schauen uns derzeit aber auch an, wie wir die Angebote für die Vorbereitung auf die Rechtsanwaltsprüfung verbessern können. Das ist ein weiteres Element, um den Berufseinstieg attraktiver zu machen.
Als eines Ihrer Leitthemen als Präsident des ÖRAK haben sie ausgegeben, die Versorgungseinrichtung zu stärken. Was sind da die Baustellen?
Wir wollen zum einen die kapitalgedeckte Zusatzversorgung, also den Teil B der Versorgungseinrichtung, für modernere Anlagemöglichkeiten öffnen. Das soll differenziertere Veranlagungen des Kapitals ermöglichen, das letztlich an die Kollegenschaft österreichweit zurückfließt.
Im Umlagesystem, also dem Teil A der Versorgungseinrichtung, befassen wir uns aktuell mit einem Projekt, die Einrichtungen der einzelnen Kammern in den Bundesländern zusammenzulegen, wobei am Ende die Mitglieder über eine solche Zusammenführung entscheiden. Im Moment stellen sich da vor allem versicherungsmathematische Fragen.
Worum geht es für den ÖRAK beim Thema IT und Digitalisierung?
Bei mittelgroßen und kleinen Kanzleien müssen wir die verschlüsselte Kommunikation und die digitale Signatur voranbringen. Der Dienst für die Kolleginnen und Kollegen kommt von der Servicegesellschaft Context, die schon länger besteht. An ihr ist die ÖRAK-Tochter Radok beteiligt.
Sie bemängeln auch die Dauer von Ermittlungsverfahren und den Umgang mit Beschuldigtenrechten. Wie lassen sich Strafermittlungen und -verfahren besser gestalten?
Staatsanwaltliche Ermittlungen nehmen teilweise extrem viel Zeit in Anspruch. Wir setzen uns deshalb dafür ein, die Dauer von Ermittlungsverfahren auf drei Jahre zu beschränken – mit einer Verlängerung auf vielleicht vier bis fünf Jahre. Außerdem brauchen wir wirksame Maßnahmen gegen Akten-Leaks und wollen erreichen, dass es nur mit einer begründeten Genehmigung durch einen Richter oder eine Richterin möglich ist, Datenträger sicherzustellen.
Verfahren ziehen sich zu lange hin
Überlange Verfahren haben wir aber nicht nur in der Strafjustiz, auch bei Bau- und Anlegerverfahren ziehen sich Prozesse immer wieder über Gebühr hin.
Als neuer ÖRAK-Präsident machen Sie sich für einen höheren Rechtsanwaltstarif und für eine angemessene Pauschalvergütung in der Verfahrenshilfe stark. Wo liegen die Probleme?
Der Tarif blieb seit 2016 schlicht unverändert, während sonstige Preise, also auch unsere Ausgaben, über die Inflation um rund ein Viertel gestiegen sind. Die Justizministerin kommt seit eineinhalb Jahren schlicht ihrer Pflicht nicht nach, die Sätze den gestiegenen Preisen anzupassen. Dieses Versäumnis trifft aber nicht nur die Anwaltschaft, sondern vor allem auch die rechtsuchende Bevölkerung, da der Tarif beim Kostenersatz im Zivilverfahren zur Anwendung kommt.
Bei der Pauschalvergütung für Verfahrenshilfeleistungen erwarten wir uns ebenso eine weitere Anpassung. Im Zuge der letzten Erhöhung vor zwei Jahren wurde nicht der volle Wertverlust abgegolten. In der Verfahrenshilfe kommt es aber auch zu praktischen Problemen.
Einige Gerichte stellen hier nicht einmal mehr kostenlose Kopien der Akten bereit.
Auf Eis gelegt
Am Anwaltstag wurde Ende September beschlossen, die ‚Erste Anwaltliche Auskunft‘ aus Protest auf Eis zu legen. Was hat dieser Protest erreicht?
Er hat vor allem Aufmerksamkeit gebracht. Sowohl der Justiz als auch der Öffentlichkeit wurde dadurch vor Augen geführt, dass sich die Anwaltschaft nicht länger hinhalten lässt. Wir ziehen aber auch weitere Maßnahmen in Betracht, wenn es nicht zeitnah zu der überfälligen Tarifanpassung kommt.