JUVE: In Oberösterreich macht gerade der Fall ‚Seepension‘ Schlagzeilen. Zwei Anwälte sind wegen des Vorwurfs des schweren Betrugs verurteilt, wenn auch nicht rechtskräftig – ist das ein Fall für einen Disziplinarrat?
Dr. Herbert Gartner: Ich kenne den Fall, so etwas kommt sehr selten vor. Wenn solche Urteile Rechtskraft erlangen, bedeutet das: Die Streichung als Anwältin oder Anwalt ist sicher. Dennoch könnte es zu einer mündlichen Verhandlung im Disziplinarrat kommen. Weil die Sachlage eindeutig ist, legen Betroffene ihre Anwaltschaft jedoch meistens selbst zurück.
Zumindest in einem der Fälle ist das je inzwischen auch passiert. Was sind typische Fälle, die den Disziplinarrat der Wiener Rechtsanwaltskammer beschäftigen?
Typisch sind gerade aktuell in Wien Bauträgerangelegenheiten. Immer wieder treffen Vorwürfe die Anwälte von Bauträgern, das nimmt erfahrungsgemäß zu, wenn die Konjunktur in der Branche schlecht läuft.
Auch Geldwäsche ist bei uns zunehmend ein Thema. Meistens entstehen Probleme, wenn Kolleginnen oder Kollegen die verpflichtende Geldwäsche-Risikoanalyse der eigenen Kanzlei und der Mandanten unterlassen. Wenn jemand dazu ein Verfahren bekommt, ist er allerdings selbst schuld, denn sie oder er hat vor einer Anzeige mehr als ausreichend Zeit, Missstände zu beseitigen. Ignoranz wird bestraft.
Es gibt aber keine „Hitliste“ an Vergehen. Vielmehr geht es darum einzuschreiten, wenn Anwälte oder Anwältinnen die Berufspflichten die wir alle beachten müssen, verletzt haben könnten: Doppelvertretungen, ordentliche Kanzleiführung, salopper Umgang mit Geld und das verzögerte Erledigen von Akten können dazu gehören. Disziplinär kann ihr Verhalten sein, wenn es dazu angetan ist, die Ehre des Berufsstandes zu verletzen, etwa bei Werbemaßnahmen.
Unter Anwältinnen und Anwälten kursieren immer wieder Vorwürfe ‚marktschreierischer Werbung‘. Was sind die Kriterien der Kammer, um dagegen vorzugehen?
Werbung der Anwälte ist heute zulässig. Bis vor einigen Jahren galt: der Anwalt wirbt nur durch seine Leistung. Das war natürlich viel zu eng. Wenn ein Kollege in der Zeitung als Verteidiger des XY erwähnt war, war das damals ein Problem. Heute geht es oft darum, dass mit vordergründigen Slogans und „spannenden“ Fotos versucht wird, Aufmerksamkeit zu erheischen.
Aber auch sachlich falsche Angaben, etwa zur Kanzleigröße, können ein Kriterium sein. Denn das kann dazu beitragen, einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, wenn ein falscher Eindruck bleibt. Das kommt aber selten bei uns an, sondern die Kollegen finden untereinander Lösungen.
Machen Sie verstärkt Fälle von Konfliktsituationen aus?
Interessenkollisionen von Anwälten werden manchmal bei uns angezeigt. Wer da aber hineintanzt, ist selbst schuld. Seit 2015 ist in § 10 der Richtlinien für die Berufsausübung klar vorgegeben, welche Regeln gelten. Die Rechtslage ist ziemlich einfach – die Beweislage kann eine zweite Frage sein.
Auf welchen Wegen erreichen die Fälle den Disziplinarrat?
Anzeigen landen zunächst beim Kammeranwalt, also einem gewählten Kollegen, der die Rolle eines standesrechtlichen Staatsanwalts einnimmt. Im Durchschnitt kommen da in Wien grob 400 bis 500 Fälle im Jahr zusammen.
Hintergrund
Dr. Herbert Gartner steht seit April 2015 an der Spitze des Disziplinarrats der Wiener Rechtsanwaltskammer und inzwischen in der dritten Amtsperiode. Zuvor war der 70-Jährige bereits 18 Jahre im Disziplinarrat tätig. Gartner ist seit 1983 Rechtsanwalt und unter anderem auf Liegenschafts- und Baurecht spezialisiert. Aktuell ist er Partner in der Kanzlei Gartner Vitek Humpel, die insgesamt drei Rechtsanwälte zählt.
Der Disziplinarrat ist ein ehrenamtliches Gremium, dem in Wien 48 Anwältinnen und Anwälte angehören, sechs von ihnen als Kammeranwälte – von der Funktion her quasi standesrechtliche Staatsanwälte. Die sechs Senate des Disziplinarrats beschäftigen sich im Jahr mit 250 bis 300 Fällen. In ungefähr der Hälfte von ihnen kommt es auch zu mündlichen Verhandlungen.