Pressemitteilung - Köln,

Anwaltsstudie von JUVE und LSE zeigt soziale Schieflage in deutschen Großkanzleien

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Gemeinsam mit der London School of Economics (LSE) hat JUVE die bislang größte wissenschaftliche Untersuchung zu deutschen Großkanzleien auf den Weg gebracht. Die Auswertung der Studie zeigt: 85 Prozent der Anwälte in Top-Kanzleien stammen aus privilegierten Familien und nur 8 Prozent aus der Mittelschicht. In anderen Eliteberufen hingegen kommen 46 Prozent aus der Mittelschicht. Die Anwaltschaft rekrutiert sich selbst – und gleichzeitig stellen jüngere Generationen traditionelle Führungsstrukturen infrage.

Studienleiter Dr. Asif Butt, Soziologe von der London School of Economics, hat über 3.500 Antworten von Anwältinnen und Anwälten aus den 100 umsatzstärksten Kanzleien ausgewertet und mehr als 50 Einzelinterviews geführt. Die Studienergebnisse offenbaren eine starke soziale Exklusivität der Anwaltschaft. 85 Prozent der Befragten stammen aus einem akademischen beziehungsweise leitenden Haushalt, haben also Eltern, die Ärzte, Geschäftsführer, Ingenieure oder Lehrer sind. Nur 8 Prozent kommen aus der Mittelschicht und lediglich 7 Prozent aus Arbeiterfamilien. Im Vergleich zur deutschen Erwerbsbevölkerung, die zu 59 Prozent aus Mittelschichtsfamilien kommt, zeigt sich eine extreme Verzerrung.

Die Top-Anwälte, die in Großkanzleien arbeiten, stammen zudem deutlich häufiger aus privilegierten Familien, als dies in vergleichbaren Berufen der Fall ist. In vielen Eliteberufen in Deutschland gelingt der soziale Aufstieg häufiger als in den großen Wirtschaftskanzleien. So finden sich in anderen Elite-Berufen deutlich öfter Menschen aus Mittelschichtsverhältnissen. In der Gesamtheit dieser Elite-Berufe, darunter Ärzte, hohe Beamte oder Top-Manager, stammen rund 46 Prozent aus Mittelschichtsfamilien – in Top-Kanzleien hingegen sind es nur 8 Prozent.

Ungleiche Aufstiegschancen

Rund 20 Prozent der Befragten stammen aus Juristenhaushalten. Dieser Anteil steigt mit der Karrierestufe – bei Partnerinnen und Partnern ist er am höchsten. So erweist sich die Gruppe der Partner als nochmals sozial geschlossener als die anderen Karrierestufen Associates und Counsel.  

Die Studie dokumentiert generell ungleiche Aufstiegschancen. Je höher die Position, desto seltener sind Anwälte aus Arbeiterfamilien und Migranten vertreten. Weniger als 10 Prozent der Equity-Partner haben einen Migrationshintergrund. Starke Unterschiede gibt es auch beim Karriereverlauf von Frauen: Während von den Associates noch 44 Prozent weiblich sind, sinkt der Frauenanteil in der Equity-Partnerschaft auf 13 Prozent.

Wertewandel und Generationenkonflikte

Während die Rekrutierungsmuster in Kanzleien weiterhin stark durch soziale Herkunft geprägt sind, offenbaren die Studienergebnisse zugleich einen grundlegenden Wandel im beruflichen Selbstverständnis der jüngeren Juristengeneration. Die Erwartungen an Führung verändern sich grundlegend, wie Auswertung der Einzelinterviews der LSE-Studie belegt.

„Während Partner ihre Karriere oft als Ergebnis von Opfer und Durchhaltevermögen begreifen, erwarten junge Juristen heute Flexibilität, psychologische Sicherheit und authentische Führung“, erklärt Butt. Damit treffen in den Kanzleien zwei Generationen aufeinander, deren Sozialisation und Arbeitswerte stark voneinander abweichen. Der „War for Talent“ entscheidet sich längst nicht mehr allein über Gehälter oder Prestige. Die Kanzleien stehen vor der Herausforderung, sozial breiter zu rekrutieren und gleichzeitig die veränderten Erwartungen der Nachwuchsjuristinnen und -juristen ernst zu nehmen.

Mehr über die größte Top-Anwaltsstudie Deutschlands finden Sie hier:

https://www.azur-online.de/beruf-karriere/elitaerer-als-die-elite-top-kanzleien-sind-eine-klasse-fuer-sich

https://www.asifbutt.com/s/Kanzleien-Whitepaper-2025.pdf

Über die Studie

Die vorliegenden Ergebnisse stammen aus der bislang größten wissenschaftlichen Studie zu Anwälten und Anwältinnen in Großkanzleien in Deutschland, die JUVE in Zusammenarbeit mit der London School of Economics and Political Science (LSE) gestartet hat. Sie untersucht den Effekt von sozialer Herkunft auf Karrieren in der Anwaltschaft. Über 3.500 Anwälte aus den Top 100 Kanzleien Deutschlands haben 2021 an der repräsentativen Befragung teilgenommen. Im Jahr 2022 hat JUVE bereits ausführlich über die ersten Ergebnisse berichtet. Seitdem hat Studienleiter Dr. Asif Butt mehr als 50 eins-zu-eins Interviews mit Partnerinnen, Partnern und Associates geführt sowie in jahrelanger wissenschaftlicher Arbeit vertiefte Auswertungen erstellt und neue Analysen des Datenmaterials vorgenommen.

Über Dr. Asif Butt
Dr. Asif Butt ist Soziologe an der London School of Economics und erforscht Recruiting in Eliteberufen. Er berät führende Wirtschaftskanzleien zu Personal- und Führungsthemen und tritt regelmäßig als Keynote-Speaker auf, unter anderem bei Hengeler Mueller, Dentons und Noerr.

Kontakt: a.i.butt@lse.ac.uk / Website: www.asifbutt.com

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