Den Chefjuristen in den Unternehmen verlangt die gestiegene Aufmerksamkeit nationaler und internationaler Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden vor allem eines ab: exzellente Managementqualitäten und die Fähigkeit, im Chaos eines akuten Krisenfalls die Unternehmensinteressen im Blick zu behalten. Das Beispiel VW zeigt, wie schnell sich heute auch unternehmensintern Fronten auftun können: Aufsichtsrat und Vorstand mandatieren jeweils mehrere Kanzleien, einzelne Vorstände wappnen sich und auch das ein oder andere Aufsichtsratsmitglied wird schon bei einer Kanzlei angeklopft haben.
Solche komplexen Situationen fördern das Absicherungsbedürfnis der Unternehmensverantwortlichen und führen dazu, dass zusammengehörende Beratungsfelder auseinanderdriften. Lange waren etwa die Themen Compliance, Corporate Governance und Gesellschaftsrecht nur unscharf voneinander abgegrenzt. Nun entwickeln sie sich verstärkt auseinander. Der Grund: Verschiedene Bedürfnisse der Mandanten verlangen entsprechend verschiedene Kompetenzen. Diese unterscheiden sich in mancher Hinsicht von dem, was die Transaktionskanzleien traditionell bieten, so dass sich zugleich eine größere Vielfalt in diesem Beratungsfeld bildet. Wer das Rennen um die Transaktionsmandate letztlich gewinnt, ist heute offener denn je.
Eine Frage der Philosophie
Governance-Berater nähern sich der guten Unternehmensführung eher fachspezifisch, sei es im Kartell- oder Aktienrecht. Als Berater von Organen oder deren Mitglieder lebt der unabhängige ,Trusted Advisor‘ wieder auf. Vorstände, die ihre Entscheidungen darauf abklopfen wollen, ob sie rechtlich in Ordnung sind, lieben Gutachten aus renommierten Federn bei Hengeler Mueller, Gleiss Lutz oder SZA Schilling Zutt & Anschütz. Letztere ist beispielsweise auch für VW gutachterlich im Einsatz. An solche Mandate ist ohne entsprechende Kontakte in die Vorstände schwer zu kommen. Dementsprechend dominieren hier die Kanzleien und Anwälte, die traditionell in diesen Kreisen gut vernetzt sind. Doch die Beratung einzelner Organmitglieder eröffnet gerade kleineren Kanzleien, die weniger Interessenkonflikte fürchten müssen, neue Möglichkeiten. Im Kartellrecht etwa ist diese Entwicklung längst zu erkennen.
Ganz anders ist die Situation bei internen Untersuchungen und dem Aufbau von Compliance-Systemen – gerade von den etablierten Governance-Beratern lange als „alter Wein in neuen Schläuchen“ abgetan. Nicht nur liegt hier die Mandatierung häufiger in der Hand der Rechts- oder Complianceabteilungen, auch die Beratung verlangt andere Qualitäten von den Beratern. Gefragt sind vor allem Kanzleien, denen von jeher im Markt ein eher praxis- und prozessorientierter Arbeitsansatz nachgesagt wird. Sie waren auch die ersten, die begriffen hatten, dass sich hier ein völlig neues Feld auftut – ein Feld, das ihnen einen ganz neuen Zugang zu Unternehmensverantwortlichen verschafft. Unter ihnen sind neben sehr erfolgreichen praxiserfahrenen Boutiquen auch Großkanzleien wie Noerr, CMS Hasche Sigle oder Hogan Lovells. Sie haben begriffen, dass krisennahe Beratung nur gelingen kann, wenn sie auch Fragen des Prozessmanagements beherrschen.
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