Die Devise der Kanzlei Jaufer, die auch an der Wand im Sitzungszimmer des Wiener Büros prangt, lautet „mit ruhiger Hand durch stürmische See“. Und die See ist aktuell wirklich stürmisch, wie Kanzleigründer Clemens Jaufer bestätigt. „Sie ist viel stürmischer als die Öffentlichkeit das wahrnimmt.“ Sprich: Um die Großwetterlage der heimischen Wirtschaft ist es schlecht bestellt. „Wir sind an einem Punkt, an dem manche Unternehmen einfach am Ende mit ihrer Strategie sind, weil sich das Marktumfeld massiv verändert hat“, ist der Insolvenzrechtsexperte überzeugt.

Jaufer ist jemand, der es wissen muss, denn er wird vor allem als vorinsolvenzlicher Berater von den Unternehmen beigezogen. Rund die Hälfte seiner Fälle landen gar nicht erst bei Gericht, er ist also bereits in einem frühen Stadium der Krise involviert. „Dabei wird versucht, im Stillen – also außergerichtlich – neue Finanzierungsstrukturen zu finden oder Schuldennachlässe zu erwirken.“ Die Zahl dieser Beratungen hat stark zugenommen, berichtet Jaufer. Was aber vor allem explodiert ist, ist die Zahl der beteiligten Gläubiger. „Früher hatten wir Bankenrunden mit 5 bis 10 Banken, heute haben wir zum Teil 30 bis 50 Banken in einer Causa mit dabei“, so der 50-Jährige, der bereits als Insolvenzverwalter beim Finanzjongleur Auer von Welsbach mit dabei war und aktuell als Schuldnervertreter das Sanierungsverfahren der Signa Holding begleitet. Das liegt vor allem daran, dass sich aktuell vor allem die Immobilienbranche in einer veritablen Krise befindet, wo unzählige Projektgesellschaften mit ebenso unzähligen Finanziers gang und gäbe sind.
Die Zahl der Beratungen hat stark zugenommen.
Ein Blick in die letzte Insolvenzstatistik des KSV 1870 belegt, was Jaufer sagt. Im ersten Halbjahr wurden 3.308 Unternehmen insolvent, darunter finden sich auch 36 Großpleiten mit mehr als zehn Millionen Euro Passiva. Das sind um 26 Prozent mehr Insolvenzen als noch im ersten Halbjahr des Jahres 2023. Besonders der Handel und die Bauwirtschaft waren davon betroffen. Auch die Signa-Welle, die im vergangenen Jahr spektakulär mit der Pleite der Hauptgesellschaften Signa Holding, Signa Prime Selection und Signa Development Selection begann, ebbte nicht ab. Vier der fünf größten Insolvenzen des Landes waren im ersten Halbjahr dem Signa-Komplex zuordenbar.

Experten gehen davon aus, dass dieser Sturm noch lange nicht über Österreich hinweggezogen ist. So etwa Ulla Reisch, seit Jahren ein Fixpunkt in der heimischen Insolvenzrechtsszene. „Der aktuell hohe Arbeitsaufwand wird sicher noch über den Herbst andauern und sich vermutlich bis weit in das Jahr 2025 hineinziehen“, glaubt die Partnerin von Urbanek Lind Schmied Reisch (ULSR) mit Sitzen in Wien und St. Pölten. Insgesamt beschäftigt die Kanzlei rund 20 Mitarbeitende mit Insolvenzrecht, zuletzt mussten drei neue aufgenommen werden. Allein in den letzten Monaten wurde Reisch bei Marinomed Biotech, bei der VMF Vermögensverwaltung und bei der Wiener Immobilienfirma SABA, vormals Sveta, zur Insolvenzverwalterin bestellt, bei der Megapleite des Immobilienentwicklers Imfarr ist sie als Schuldnervertreterin mit dabei. ULSR übernimmt sowohl Verwaltungsmandate als auch Schuldnervertretungen. Aktuell liegt die Quote bei 75 Prozent zugunsten der Verwaltungen. Reisch merkt an: „Das schwankt stark. Ich hatte auch schon Jahre mit 50:50.“
Verwaltung versus Schuldnervertretung
Die Insolvenzgerichte bestimmen die Insolvenzverwalter gemäß einer Liste, die in Wien rund 800 Anwälte umfasst. Als Schuldnervertreter wird man im Gegensatz dazu vom Unternehmen beigezogen. Für viele in der Insolvenzrechtsszene macht das einen Riesenunterschied. „Die außergerichtliche Arbeit ist etwas kreativer. Die Verwaltung erfordert mehr Kanzleiaufwand“, erläutert Ulla Reisch, deren spektakulärster Fall als Insolvenzverwalterin jener der Fluglinie Fly Niki im Jahr 2018 war. In Wien bekommen solche Großinsolvenzen nur etwa zwei Handvoll Experten von den Gerichten zugeteilt. „Wenn die Richter sehen, jemand hat seine Arbeit gut im Griff, bekommt er immer wieder neue Mandate zugeteilt“, erzählt Reisch.
Man braucht starke Nerven, weil es meist stressige Angelegenheiten sind.
Stephan Riel von der Kanzlei Riel & Partner ist der „Mister Insolvenzverwaltung“ in Wien schlechthin. Seit rund zehn Jahren übernimmt der 56-Jährige ausschließlich Verwaltungsmandate, zuletzt jene der Immobilienfirma Imfarr, der CPI und der Deko-Handelskette Depot. 2013 hat er die Masseverwaltung der Milliardenpleite der Alpine Bau übertragen bekommen. „Davor hatte ich noch richtige Klienten“, erzählt Riel, „aber durch Alpine war ich einmal zwei Jahre für andere Mandate abgemeldet.“ Die Klienten konnten so lange meist nicht warten und Riel widmete sich fortan ausschließlich der Verwaltung. „Das Management der Alpine kam damals überwiegend aus Spanien. Als das Unternehmen Konkurs anmelden musste, flogen diese Manager nach Spanien und kamen nie mehr zurück“, nennt er eine der großen Schwierigkeiten dieser Insolvenz. Dazu kam die Größe des Unternehmens, die riesige Zahl an Kunden und fehlende Aussicht auf Fortführung. „Bei Alpine wusste ich nach ein paar Monaten, dass ich meine Arbeit nicht so schlecht mache, als nicht alle schreiend im Kreis gerannt sind.“

Zur Schule gegangen ist Riel bei seinem früheren Kanzleipartner Johannes Jaksch, der in den Neunzigerjahren die Konsum-Pleite verwaltete. Große Fälle sind ihm also nicht fremd. Was aber zeichnet seiner Meinung nach einen guten Insolvenzverwalter aus? „Man muss es schaffen, dass einem die handelnden Personen weitgehend vertrauen. Die Kunst ist, dass man so weit in das Unternehmen eintaucht, wie das insolvenzrechtlich nötig ist.“ Das nötige Rüstzeug dafür ist laut Riel: „Man braucht starke Nerven, weil es meistens stressige Angelegenheiten sind. Ein bisschen Mut schadet auch nicht.“ Ein Betriebswirtschaftsstudium hält er aber nicht unbedingt für nötig. „Die wirtschaftlichen Kenntnisse, die in dem Beruf wichtig sind, lernt man in der Kanzlei, nicht an der Uni.“ Wie er eben bei der Konsum-Pleite oder der Alpine. Weiterbildung schreiben er und seine Kollegen aber groß. Clemens Jaufer, der nach dem Gerichtsjahr in eine Big-Four-Wirtschaftsprüfung ging, empfiehlt seinen Mitarbeitern regelmäßige Schulungen im Bilanzlesen und anderen betriebswirtschaftlichen Themen, denn: „Es ist wichtig, dass man fit bleibt, um unternehmerisch denken zu können.“
Von null auf hundert
Auch die praktischen Anforderungen an den Job sind nicht zu unterschätzen, wie Reisch erzählt: „Man muss in der Sekunde von null auf hundert in einem Unternehmen drinnen sein, ob das nun Medizintechnik, Handel oder Luftfahrt ist.“ Überhaupt ist die Arbeit mit Insolvenzen ein Querschnitt durch viele Rechtsgebiete wie Gesellschaftsrecht, Steuerrecht oder Mietrecht, um nur einige zu nennen. Zeitliche und geistige Flexibilität sind also ein Muss. Ein guter Insolvenzverwalter braucht ihrer Meinung nach neben rechtlichem Know-how und wirtschaftlichem Denken auch eine sehr gute Organisation und nicht zuletzt: „Das Wichtigste ist, den Beteiligten auf Augenhöhe zu begegnen.“
Die menschliche Komponente in Insolvenz- oder Sanierungsverfahren
spielt auch für Matthias Prior eine sehr große Rolle. Der Partner in der auf das Insolvenzrecht spezialisierten Wiener Kanzlei Abel, der neben Jus auch Betriebswirtschaft und Wirtschaftsrecht studiert hat, formuliert es so: „Insolvenzrecht ist ein sehr emotionaler Rechtsbereich. Es ist wichtig, empathisch zu sein.“ Geholfen dabei hat dem Vorarlberger vor allem seine frühere Tätigkeit als Rettungssanitäter
und als Barkeeper. Prior: „Da lernt man, mit Menschen zu kommunizieren.“ Mal bekommt man es mit krassen Fällen zu tun, wo der Unternehmer in seinem winzigen Büro auf der Matratze schläft, mal mit solchen, die mit der Situation überfordert sind und sehr aggressiv agieren.“ Die Conclusio des 41-Jährigen, der bei der Wienwert-Insolvenz, bei Huber Tricot oder der Geomix-Sanierung dabei war: „Man muss eine dicke Haut haben und darf keine Berührungsängste haben.“
Uniwissen reicht nicht
Die praktische Lösungskompetenz in dem Beruf streicht Prior, der während des Studiums stets in Unternehmen tätig war, eigens hervor. „Als Masseverwalter muss ich es zum Beispiel schaffen, auch im Ausland befindliches Vermögen eines Schuldners, etwa ein Auto, sicherzustellen und über die Grenze nach Österreich zu bringen. Da muss man praktisch denken, da hilft einem kein Gesetz.“ Etwas, das jedenfalls bei der Ausbildung an der Universität zu kurz kommt. Über das Fachstudium hinaus findet es Prior wichtig, dass man neben dem Wälzen von Büchern auch durch Studentenjobs, Praktika oder ehrenamtliche Tätigkeiten Erfahrungen sammelt. Prior selbst war nach vier Jahren bei der Kanzlei Abel bereits als Insolvenzverwalter tätig. Allerdings bilden nur wenige Kanzleien wie etwa Abel überhaupt Insolvenzrechtsspezialisten aus. Die großen Wirtschaftsrechtskanzleien sind im Hardcore-Insolvenzrecht meist nur als Berater im Einsatz.
Auf Fälle wie die Signa bereitet einen aber auch die jahrelange Arbeit in
einer Kanzlei nicht wirklich vor. Diese seit letztem Jahr anhängige Pleite des Immobilienriesen, die Hunderte Gesellschaften umfasst, hält die gesamte Insolvenzrechtsszene in Atem. Nahezu jeder, der in Österreich von Insolvenzrecht Ahnung hat, ist in irgendeiner Form, sei es als Verwalter, sei es als Schuldnervertreter oder als Gläubigervertreter, dabei. Besonders aufwendig ist die Causa aber für die Sanierungsverwalter der beiden großen AGs, der Signa Prime Selection (SPS) und der Signa Development Selection (SDS). Bei SPS wurde eben die Kanzlei Abel mit Matthias Prior an führender Stelle eingesetzt, bei SDS ist es Andrea Fruhstorfer von Ecolaw, die bislang eher mit kleineren Fällen befasst war.

Prior und seine Kollegen sind mit der Causa Prime eigentlich schon voll im Einsatz, zusätzliche Mandate kommen da noch on top. Insgesamt kommt die Kanzlei Abel heuer auf rund hundert neue Fälle, davon zehn Verwaltungsmandate. Und dieser Vollzeitjob ist nach mehr als zehn Monaten noch lange nicht zu Ende, denn zuletzt hat das Oberlandesgericht Wien den SPS- und SDS-Verwaltern einen gründlichen Strich durch die Rechnung gemacht und den von ihnen verfassten Sanierungsplan abgeschmettert. Dagegen legten beide Sanierungsverwalter beim OGH ein Rechtsmittel ein. Doch Ende Oktober entschied der OGH, zumindest im Fall der Signa Prime, zugunsten der Finanzprokuratur. Damit ist das Treuhandsanierungsverfahren vom Tisch und die Signa-Kerngesellschaft wird im Konkurs abgewickelt.
„Signa wird die Insolvenzpraxis nachhaltig verändern“, glaubt Wolfgang
Höller, lange Jahre Leiter des Insolvenzrechtsteams bei Schönherr und seit letztem Jahr mit Hoeller Law selbständig tätig. Denn bislang gab es in Österreich nicht allzu viele Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung. Auch im ersten Halbjahr sind von 2.100 eröffneten Insolvenzen nur 39 Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung. Die Erfahrungen der Insolvenzanwälte sind hier also begrenzt, wie überhaupt in so großen Fällen. Bislang haben Gerichte das Genehmigen von Sanierungsplänen meist als Formalität betrachtet. „Nach dieser Entscheidung des OLG werden die Gerichte dabei wohl eine viel aktivere Rolle einnehmen müssen“, ist Höller überzeugt. Auf die Sanierungsverwalter kommt nach Signa also künftig wohl noch mehr Arbeit bei der Erstellung der Sanierungspläne zu.
Unverständnis für Signa-Honorare
Aber lohnt der Aufwand wenigstens? Ist der Beruf eines Sanierungsverwalters gut dotiert? „Das Entlohnungsrecht der Insolvenzordnung achtet sehr auf angemessene Ergebnisse. Aber wenn man seine Arbeit gut macht, kann man auch gut verdienen“, ist Stephan Riel überzeugt. Dennoch sorgen gerade die Honorare für die Signa-Sanierungsverwalter auch über die Branche hinaus für einiges Unverständnis. Laut OLG-Beschluss bekommen die SDS-Verwalter 11,1 Millionen Euro, jene der SPS sogar 26,8 Millionen Euro. Matthias Prior will sich dazu nicht konkret äußern. Offenbar ist die Stimmung in der Causa Signa dazu zu aufgeheizt. Ob der Gesetzgeber etwas daran ändern wird, wird wohl erst für eine nächste Regierung ein Thema sein.
Ansonsten zeigen sich aber alle von JUVE befragten Insolvenzrechtsanwälte und -anwältinnen mit den österreichischen Gesetzen zufrieden. „Unsere Insolvenzgesetze sind effizient und transparent“, findet der Abel-Partner Prior. Deutsche Kollegen würden ihn oft darum beneiden, sagt er. Auch Stephan Riel, seinerseits Vertreter der Anwälte in der Insolvenzrechts-Reformkommission im Justizministerium findet: „Unsere Werkzeuge funktionieren sehr gut.“ Wie gut, werden die nächsten Monate sicher zeigen.
Aktualisiert am 28.11.2024
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