Coronas Erbe

Hauptversammlungen werden virtuell

London ohne Verkehrschaos, Venedig ohne Touristen, Homeoffice ohne Probleme – wenn die Corona-Pandemie eine gute Seite hat, dann die: Scheinbar Unmögliches geht plötzlich doch. Auch die Form der jährlichen Hauptversammlung galt als alternativlos: förmliche Einladung, Frage- und Antwortrituale, Stimmzettel, Brotzeit. Höhepunkt der Modernisierung war bislang die Abstimmung per Tablet statt auf Papier. JUVE zieht gemeinsam mit Experten eine Zwischenbilanz zur HV-Saison 2020.

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Ralph Wollburg
Ralph Wollburg

Als der Gesetzgeber Ende März virtuelle HVen ermöglichte, sahen manche endlich neue Zeiten anbrechen. Abgesehen von einer Handvoll Veranstaltungen, die noch vor der Pandemie über die Bühne gegangen waren, fanden sämtliche HVen der Dax- und MDax-Unternehmen 2020 ohne physische Präsenz der Aktionäre statt – und es funktionierte. Die Mindestbesetzung einer Online-HV passt in einen kleinen Tagungsraum, selbst mit Sicherheitsabstand und gerade die Großkonzerne freuten sich über das Sparpotenzial. Zwar erforderte die Technik für Live-Übertragungen und sichere elektronische Abstimmungen zusätzliche Investitionen. Dennoch verkündete etwa Bayer stolz, man habe 2,5 Millionen Euro Veranstaltungskosten gespart.

Risiken werden erst später klar

Nach Ansicht vieler Aktionärsvertreter ging der Durchbruch allerdings in die falsche Richtung. Denn um das Risiko für die Unternehmen zu begrenzen, schränkte der Gesetzgeber das Frage- und Rederecht der Aktionäre ein. Wer Fragen stellen will, muss diese nun oft mehrere Tage vor HV-Beginn in eine Online-Maske tippen. Ob es eine Antwort gibt, entscheidet der Unternehmensvorstand.

Umso wichtiger ist es für die Konzerne, guten Willen zu zeigen, betont Dr. Ralph Wollburg, Co-Leiter der globalen M&A-Praxis bei Linklaters. „Um mit den erleichterten Anforderungen an virtuelle HVen verantwortungsvoll umzugehen, sollten sich die Unternehmen möglichst wenig von der auf Präsenz-HVen gewährleisteten Transparenz entfernen“, sagt der Corporate-Anwalt, der rund ein Dutzend Dax-Konzerne regelmäßig zu deren HVen berät.

Mit der Form ändern sich auch die Rollen der Rechtsberater. Denn einerseits lässt sich die Arbeit der externen Berater nun besser im Voraus planen und auf inhaltlich komplexe, strategische Fragen fokussieren. Andererseits haben sie am Tag der HV selbst deutlich weniger zu tun als gewohnt. Mehr noch als bisher sind darum Spezialisten gefragt, die antizipieren können, wo die möglichen Schwachpunkte bei einer HV im neuen Format liegen. Und weniger denn je lässt sich damit ein großes Team mit nennenswerter Leverage auslasten.

Armin Hauschild
Armin Hauschild

Dax-Konzerne setzen auf bewährte Berater

In den vergangenen Jahren gab es Anläufe verschiedener Kanzleien, die HV-Betreuung als Einstieg in die regelmäßige gesellschaftsrechtliche Beratung von Konzernen zu nutzen – durchaus mit Erfolg, solange sich die Unternehmensgröße in Grenzen hält. Bis an die Seite der MDax- oder gar Dax-Konzerne schafften es allerdings nur die wenigsten. Bis hier neue Namen etabliert sind, dauert es seine Zeit.

Wie schon in den vergangenen Jahren dominiert in der HV-Betreuung der Dax-Unternehmen Linklaters, mit etwas Abstand folgen Freshfields Bruckhaus Deringer und Hengeler Mueller. Im MDax liegt dafür Hengeler deutlich vorn, Freshfields und Gleiss Lutz kommen ein Stück dahinter. Andere Kanzleien wie Allen & Overy, Latham & Watkins oder Noerr spielen in dieser Liga zwar durchaus mit, sind aber nicht mit ähnlich breiten Mannschaften präsent wie die Marktführer, die den jährlichen Auftritt an der Seite von Vorstand und Aufsichtsrat gezielt nutzen, um die Beziehungen der einzelnen Partner zu Mandantenunternehmen zu zementieren.

Auch der Notar muss dazulernen

Dauerläufer sind HV-Begleitungen vielfach auch für die Notare, die mit Siegel und Unterschrift beurkunden, was sich wann, wo und wie zugetragen hat. 

Durch die Umstellung auf den Online-Modus änderte sich auch der gewohnte Ablauf für die Notare, beobachtet Dr. Armin Hauschild von Zimmermann Hauschild, dem bekanntesten Corporate-Notariat in Düsseldorf: „Bei der virtuellen HV verlagert sich – weil der Ablauf für die Gesellschaft anders als bei einer Präsenz-HV minutiös planbar ist – ein ganzer Teil der Arbeit vollständig ins Vorbereitungsstadium, auch der Notar wird früher eingeschaltet.“

Hans-Christoph Voigt
Hans-Christoph Voigt

Hybridformen als Zukunftsvision

Wie sehr die laufende HV-Saison als Vorbild für eine vir­tuelle Zukunft taugt, ist allerdings noch ungewiss. Die aktuellen ­Regelungen gelten zunächst nur bis Jahresende. Und auch wenn manche Konzernvorstände die digitale HV schon als Dauer­lösung propagieren, sind längst nicht alle überzeugt. „Wenn Funktion und Sicherheit der Übertragung garantiert sein sollen, müssen viele kleinere AGen sogar mehr Geld investieren als in eine physische HV“, gibt etwa Dr. Hans-Christoph Voigt von der Hamburger Corporate-Boutique Voigt Wunsch Holler zu bedenken

Dennoch wünschen sich wohl die wenigsten eine Rückkehr zum Status quo ante. Zu real ist der Fortschritt, den die digitalen Formate möglich machen. „Dass die nahe Zukunft der rein virtuellen HV gehört, halte ich für eher ausgeschlossen. Aber es wird vermutlich Hybridformen geben“, prophezeit Notar Hauschild.

Diesen Artikel lesen Sie ungekürzt im aktuellen JUVE Rechtsmarkt 09/2020. Dort finden Sie auch eine Liste aller Notare und Kanzleien, die bei den Hauptversammlungen der Dax- und MDax-Unternehmen 2020 im Einsatz waren.

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