Entwicklungen wie der Ukraine-Krieg und die daraus resultierende Gasmangellage sind auch am Fernwärmesektor nicht spurlos vorbeigegangen. In der Folge haben zahlreiche Versorger ihre Preise erhöht, unter anderem auch die in Schleswig-Holstein ansässige Hansewerk Natur sowie E.on Energy Solutions. Gegen sie richten sich nun die Abhilfeklagen des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV).
Zum Stichtag 31. Januar 2024 haben sich laut VZBV bereits mehr als 1.300 Verbraucherinnen und Verbraucher der Klage gegen Hansewerk Natur angeschlossen. Das sei ein sehr gutes Ergebnis. Die Klage gegen E.on Energy Solutions wurde erst heute im Klageregister veröffentlicht.
Der VZBV geht damit gegen Preissteigerungen vor, die nach dem Jahr 2020 erfolgt sind. Die Klagen sollen erreichen, dass die beiden Versorger ihre Abrechnungen rückwirkend anpassen und ihren Kundinnen und Kunden das sich daraus ergebende Guthaben erstatten. Zuständig für die Verfahren sind das Oberlandesgericht Hamm sowie das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht. Gegenstand der dritten Abhilfeklage, die sich gegen ExtraEnergie richtet, sind Erhöhungen bei Strom- und Gaspreisen. Die Vertreter in diesem Verfahren waren bis Redaktionsschluss nicht bekannt.
Das Ziel: Bessere Rechtsdurchsetzung
Der Gesetzgeber hat die Abhilfeklage im Oktober 2023 im Rahmen des Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetzes eingeführt. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen dadurch einfacher und schneller zu ihrem Recht kommen und die Justiz effizienter werden. Im Unterschied zur Musterfeststellungsklage werden bei der Abhilfeklage nicht nur die Ansprüche von Verbrauchern auf Leistungen wie Schadensersatz festgestellt. Vielmehr können Verbände damit direkt auf die Erfüllung der Ansprüche klagen. Das Prozesskostenrisiko tragen VZBV und Co selbst.
Nach der Einreichung einer Klage können Verbraucherinnen und Verbraucher sich ins Klageregister eintragen und sich ihr dadurch anschließen. Anschließend folgt die mündliche Verhandlung. Das Klageregister ist bis drei Wochen nach dem Verhandlungstermin geöffnet. Ist der klagende Verband erfolgreich, stellt das Gericht eine Gesamtsumme für alle geltend gemachten Ansprüche fest. Anschließend verteilt ein gerichtlich bestellter Sachwalter die Summe.
Bewährte Vertreter
Der VZBV hat bereits viele Erfahrungen mit der Musterfeststellungsklage gesammelt. Er setzt in den beiden Fernwärme-Verfahren auf die Berliner Einzelanwältin Susanne Fitzner, die den Verband bereits in der Vergangenheit bei mehreren Klagen im Energiesektor vertreten hat. Beispiele sind eine Musterfeststellungsklage gegen Gasag oder eine Unterlassungsklage gegen Voxenergie. Auch intern hält der Verband Kompetenzen vor: Im Team Sammelklagen sind insgesamt vier Volljuristen tätig.
Hansewerk Natur arbeitet in dem Verfahren mit Görg zusammen. Auch sie verbindet eine langjährige Mandatsbeziehung. Hauptverantwortlich ist die Hamburger Anwältin Corinna Struck, Salary-Partnerin in der Konfliktlösungspraxis der Kanzlei.
In der Rechtsabteilung von E.on Energy Solutions ist Dr. Sonja-Verena Growe, Head of Commercial Management und Head of Legal & Compliance, federführend für das Verfahren verantwortlich. Extern lässt sich der Konzern von der Energieboutique Rosin Büdenbender vertreten, die viel Prozesserfahrung mitbringt. Hier teilen sich Christina Will und Dr. Peter Rosin die Federführung. Die Kanzlei ist bereits seit mehreren Jahren für E.on tätig. Seit 2021 ist sie Teil des E.on-Panels, das Anfang 2024 neu aufgesetzt wurde.
Wachsames Auge des Bundeskartellamts
Die Preisanpassungsklauseln, die Grundlage für die Preisentwicklung im Fernwärmesektor sind, haben auch die Aufmerksamkeit des Bundeskartellamts auf sich gezogen. Ungefähr zeitgleich zur Bekanntmachung der Abhilfeklagen durch den VZBV gab die Behörde bekannt, dass sie die Klauseln bei insgesamt sechs Stadtwerken und Fernwärmeversorgern prüft.
Die Versorger verwenden die Klauseln bei der Anpassung ihrer Preise, um sowohl die allgemeine Marktentwicklung als auch die Kosten für die Energie, die bei der eigenen Wärmeerzeugung eingesetzt wird, abzubilden. „Wir prüfen in diesen Verfahren insbesondere, ob die verwendeten Preisanpassungsklauseln gegen rechtliche Vorgaben verstoßen und so zu höheren Preisen für Verbraucherinnen und Verbraucher geführt haben“, gab das Amt bekannt.
Die Versorger auf der anderen Seite sind ebenfalls in einer schwierigen Situation. Denn als Marktelement bei der Preisbildung beziehen sie zum Beispiel den Gaspreis mit ein, der aufgrund der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs zeitweise stark gestiegen ist.
Da es sich um laufende Verfahren handelt, legt das Amt nicht offen, welche Unternehmen konkret betroffen sind. „Wir verstehen die Verfahren als Muster- oder Pilotverfahren, um das spezielle, aber wichtige Problem der Anpassungsklauseln aufzuarbeiten“, sagte ein Sprecher. Dass sie für mehr Transparenz bei ihren Preisen sorgen müssen, haben mittlerweile auch die Fernwärmeanbieter erkannt: Mehrere Verbände wollen im April eine neue Plattform an den Start bringen, auf der die Preise vergleichbar gemacht werden.