Interview

„Es ist nicht relevant, was mein Mandant oder meine Mandantin getan hat“

Die Russland-Sanktionen der EU ziehen hohe Hürden für die Vertretung russischer Mandanten durch deutsche Anwälte ein. Im JUVE-Interview erklärt Dr. Bertrand Malmendier, was er von den Sanktionen und einer moralischen Verantwortung der Anwaltschaft hält. Malmendier ist eine streitbare Persönlichkeit, schon länger wird ihm eine enge Verbindung zu Russlands Präsident Wladimir Putin nachgesagt. Jüngst vertrat Malmendier den russischen Energiekonzern Rosneft vor dem Bundesverwaltungsgericht.

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Bertrand Malmendier

JUVE: Beim Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA) haben Sie beantragt, russische Mandanten weiter beraten zu dürfen. Was passiert, wenn der Antrag abgelehnt wird?
Dr. Bertrand Malmendier: Wenn wir die Genehmigung nicht erteilt bekommen, dann ließe sich gegen diesen Verwaltungsakt oder im Wege einer Untätigkeitsklage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht klagen. Das BAFA scheint mit seiner sanktionsbedingten Aufgabenlast allerdings überfordert zu sein. Anträge brauchen Monate, bis sie beschieden werden, und oft erledigen sie sich dadurch. Auch unser Antrag ist bis heute nicht beschieden. Angesichts der Strafbewehrtheit ist dies unzumutbar. Auch andere Behörden, zum Beispiel die Deutsche Bundesbank bei der Durchsetzung der Finanzsanktionen, entscheiden schlicht nicht in angemessener Zeit über Anträge. Dies mag auch eine Form von ‚Sanktionieren‘ sein, hat aber mit Gesetzesvollzug nichts mehr zu tun.

Sie klagen aber doch auch bereits direkt gegen die Kommission wegen des 8. Sanktionspakets, das Ihnen juristische Dienstleistungen für russische Staatsbürger, Unternehmen und andere Einrichtungen verbietet. Im Amtsblatt wird auf das Verfahren hingewiesen. Unterlagen allerdings findet man nicht. Wie genau argumentieren Sie?
Das ist richtig, und wir sind nicht die einzigen: Auch nationale Anwaltskammern klagen dagegen, etwa die Brüsseler und die Pariser Anwaltskammer. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat diese Sanktionen ebenfalls zu Recht scharf kritisiert, weil sie die Rechte der Anwälte unangemessen beschneiden. Durch das 8. Sanktionspaket wird massiv in Grundfreiheiten von Unionsbürgern namentlich der europäischen Anwaltschaft eingegriffen.

Es geht Ihnen also um Ihre Rechte als Anwalt und nicht um das Geschäft, das Sie durch die Sanktionen verlieren?
Sicher bedeuten die Sanktionen für mich auch Geschäftseinbußen. Mit der Klage will ich aber nicht mein Geschäft anschieben, sondern mein Bild des Berufsstands verteidigen. Ich bin Anwalt und als solcher ein Teil des Rechtsstaats. Meine Aufgabe ist es, meinen Mandanten unabhängig von externen Einflüssen in diesem Land den Zugang zum Recht zu sichern. Dass das die Aufgabe des Berufstands ist, sieht im Übrigen auch die Bundesrechtsanwaltskammer so. Und auch das Bundesjustizministerium beteuert, dass es die Sanktionen gegen Rechtsdienstleistungen aus diesem Grund gerne abgewendet gesehen hätte. Viele Anwälte teilen also die Einschätzung: Das Sanktionspaket der Kommission greift zu sehr in die Kernaufgabe des Berufsstands ein, die auch darin besteht, einen Dialogkanal mit russischen Berufskollegen und Mandanten zu erhalten. Sie wären überrascht, wie viele Russen ein ausgeglichenes Bild der Dinge haben und offen über ihre Meinung sprechen. Auch, wenn es keiner glauben will. Und außerdem ist das Paket auch nicht gut gemacht.

Warum?
Nehmen sie zum Beispiel die Notare. Jede Transaktion muss notariell beurkundet werden. Die Notare finden in dem Sanktionspaket aber keine Erwähnung, was die Branche tief verunsichert zurücklässt. Russische Parteien weichen auf österreichische und Schweizer Notare aus, die in deutscher Sprache beurkunden können. Und die Rechtsmäßigkeit des 8. Sanktionspakets steht auch auf tönernen Füßen. Ich bezweifle, dass die Kommission selbst an die Rechtmäßigkeit ihrer Sanktionen glaubt.

Sie sehen Sanktionen also insgesamt kritisch und nicht nur die, die die Anwaltschaft betreffen?
Ja, Sanktionen leben vom Ziel maximaler wirtschaftlicher Schädigung und setzen darauf, einer Rechtmäßigkeitskontrolle erst dann zugeführt zu werden, wenn der Sanktionszweck erfüllt wurde oder sich die Sanktionen erledigt haben. Wir Europäer wären gut beraten, der amerikanischen Erfindung von Sanktionen nicht zu folgen. Sie tragen etwas in sich, das dem kontinentaleuropäischen Rechtsverständnis zuwiderläuft. Gerade auch in Krisen- und Konfliktzeiten ist es wichtig, unsere Verfassungs- und Rechtsordnung zu bewahren.

Aber müssen wir staatliches Verhalten, das deutlich gegen unsere Verfassungs- und Rechtsordnung verstößt, wie etwa ein Angriffskrieg, nicht irgendwie sanktionieren?
Natürlich kann ich verstehen, dass viele Menschen der Ansicht sind, wegen des Kriegs in der Ukraine müssten harte Maßnahmen gegen Russland ergriffen werden. Auge um Auge, Zahn um Zahn, darf aber im Recht nicht gelten. Organe der Gesetzgebung und Rechtspflege müssen über den Dingen stehen und wir müssen sicherstellen, dass rechtsstaatliche Prinzipien und Grundrechte immer und für jeden gelten. Es geht dabei nicht um Russland.

Dennoch – bei allem angebrachten Zweifel an der Sanktionspraxis – zeigen wir nicht auch, dass unser Rechtsstaat funktioniert? Nehmen Sie das Bundesverwaltungsgericht, das sich – wie Sie selbst erlebt haben – viele Tage Zeit genommen hat, um die Rosneft-Treuhandschaft und ihre Vereinbarkeit mit dem deutschem Recht minutiös aufzuarbeiten. Das ist doch eine Form des gelebten Rechtsstaats gewesen, oder nicht?
Ja, das Bundesverwaltungsgericht hat sich mehrere Verhandlungstage Zeit genommen und nur durch die stringente Verfahrensführung der Vorsitzenden Richterin haben wir die an sich selbstverständliche Akteneinsicht in den Verwaltungsvorgang schlussendlich erhalten, gegen die sich lange Zeit das Bundeswirtschaftsministerium sperrte. So gesehen funktioniert unser Rechtsstaat, und hierfür ist Rosneft der Bundesrepublik und unserem Rechtsstaat auch sehr dankbar. Aber Rechtsstaat ist mehr als Rechtsschutz durch Verfahrensvorkehrungen. Wichtig ist auch der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes: Nicht nur in Brüssel, sondern auch in Deutschland ist die Gefahr hoch, dass Maßnahmen gegen Russland ergriffen werden, die auf keiner gesetzlichen Grundlage stehen. Wenn in Deutschland keine Rechtsgrundlage für ein Embargo gegen russisches Pipeline-Öl besteht und eine Treuhand über die Tochtergesellschaften von Rosneft verhängt wird, um dann über eine Treuhänderanweisung den Bezug von russischem Öl zu unterbinden, dann ist dies schlicht eine politische Hidden Agenda, die durch den Gesetzeszweck nicht gedeckt ist. Und nebenbei bemerkt: Inhaltlich bleibt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts streitbar, die Gefahrenprognose des Bundeswirtschaftsministeriums erst recht. Die Urteilsgründe liegen zwei Monate nach der Verkündung nicht vor. Und ich wage die Vermutung, dass die fünf Bundesrichter des 8. Senats nicht einer Meinung waren. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Treuhandanordnung war auch nur ein erster Baustein einer komplexen rechtlich wie politisch exponierten Auseinandersetzung, für die in Zukunft auch ausländische Gerichte zuständig werden könnten. Bekanntlich klagt Rosneft auch gegen die Verlängerung der Treuhandverwaltung, die materiellrechtlich wie eine neue Treuhandanordnung zu betrachten ist; weitere Streitigkeiten sind vorprogrammiert.

Bekannt ist, dass Sie als Rechtsanwalt den Putin-Vertrauten Viktor Medwedtschuk zu seinem Austausch unter anderem gegen Kämpfer des Asow-Regiments im vergangenen Herbst beraten haben. Ist das noch eine Form der Rechtsberatung?
In erster Linie vertrete ich Herrn Medwedtschuk, einen ukrainischen und nicht russischen Staatsbürger, auch heute noch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in mehreren Verfahren. Parallel dazu habe ich mit Russland, der Ukraine und Drittstaaten einvernehmliche Lösungen sondiert. Und ja, sich für die körperliche Unversehrtheit, das psychische Wohlbefinden und die Freiheit eines Mandanten und Oppositionellen einzusetzen, ist die Pflicht eines Anwalts und Verteidigers.

Ganz allgemein gefragt: Welche moralische Verantwortung trägt ein in Deutschland zugelassener Anwalt in seiner Berufsausübung Ihrer Meinung nach?
Auch für diese Frage habe ich großes Verständnis. Die Übernahme eines Mandats ist stets eine Einzelfallentscheidung. Herrn Medwedtschuk kannte ich persönlich lange bevor der Krieg in der Ukraine ausbrach. Ich habe beobachtet und miterlebt, wie seit 2019 seine Rechte als führender Oppositionspolitiker in der Ukraine zunehmend eingeschränkt wurden. Herr Medwedtschuk hat meines Wissens seit 2015 auch auf Bitten westlicher Politiker zwischen den Konfliktparteien vermittelt, und ich wage die These, dass der Krieg früher ausgebrochen wäre, wenn er das nicht getan hätte. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Jeder Rechtsanwalt ist nach meiner Auffassung frei zu entscheiden, ob er ein Mandat annimmt oder nicht. Ich kenne Russland und die Ukraine seit fast 30 Jahren sehr gut. Wenn auch wir Anwälte uns aus diesen Ländern aus moralischen Gründen zurückziehen müssen, was die Sanktionen mit Blick auf Russland fordern, dann ist das aus meiner Sicht problematisch.

Warum?
Wenn Anwälte Mandate übernehmen, müssen sie ihren Mandanten gegenüber Verantwortung übernehmen und geltendes Recht anwenden. Staatsaufgaben können nicht dem Anwalt überantwortet werden. Deswegen gibt es die Selbstverwaltung und nicht die staatliche Verwaltung der Anwaltschaft. Für meine Arbeit ist nicht relevant, was mein Mandant oder meine Mandantin getan hat oder welche Geisteshaltung er oder sie lebt. Der Staat darf mit seinen Mitteln ethische und moralische Maßstäbe setzen. Meine Aufgabe als Jurist und Anwalt ist es, zum Beispiel dem Sanktionierten etwa in Bezug auf seine betroffenen Vermögenswerte zu seinem Recht zu verhelfen.

Die meisten international tätigen Kanzleien sehen das anders …
Ich habe nicht den Eindruck, dass große überörtliche Kanzleien sich in derselben Intensität aus Russland zurückgezogen haben, wie sie das angekündigt haben. Noch im Herbst 2022 haben wir viele M&A-Transaktionen gehabt, in denen deutsche Kanzleien involviert waren. Sicherlich bin ich als Namenspartner einer kleinen Sozietät freier als zum Beispiel internationale Kanzleien, insbesondere die amerikanischen müssen wegen der US-Sanktionen sehr vorsichtig sein. Ein Beispiel: Ich war im November 2022 in Miami bei der IBA Annual Conference – mein dienstliches Mobiltelefon ist immer noch vor Ort bei den amerikanischen Grenzbehörden.

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