Interview mit Allianz-Chefjurist

„Syndizi müssen heute proaktiver und schneller arbeiten“

Autor/en
  • JUVE

Dr. Peter Hemeling stand zwölf Jahre an der Spitze der Rechtsabteilung der Allianz. Ende des Jahres verabschiedet er sich in eine Übergangsphase, 15 Monate später wird er in den Ruhestand gehen. Hemelings Nachfolger wird Hans-Konrad Ress, Leiter der Abteilung M&A und Gesellschaftsrecht und sein bisheriger Stellvertreter. Mit JUVE warf Hemeling einen Blick zurück auf seine Zeit als Chefjurist des Versicherungskonzerns und sprach über das veränderte Rollenverständinis von Inhousejuristen.

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Peter Hemeling
Peter Hemeling

JUVE: Was waren die wichtigsten Veränderungen, die Sie als Chefjurist der Allianz angestoßen haben?
Peter Hemeling: In den vergangenen zwölf Jahren haben wir die Struktur und den Konzernbezug der Rechtsfunktion gestärkt, etwa durch Trennung der Rechtsabteilung für die deutschen operativen Einheiten von der Konzernrechtsabteilung der Holding, die Schaffung regionaler Führungsebenen und einen stärkeren internationalen Austausch. Uns ist es ferner gelungen, das Bewusstsein für die Bedeutung der unabhängigen Rechtsfunktion in der Organisation und im Management zu schärfen. Dies ging einher mit der eigenen Reflexion über das Rollenverständnis, die Qualität und die Performance der Inhousejuristen.

Wie hat sich das regulatorische Umfeld für Versicherer während Ihrer Amtszeit verändert?
Sehr dynamisch. Zum Jahresbeginn trat mit Solvency II ein komplett neues Aufsichtsregime in Kraft, das neben komplexen Kapitalanforderungen auch weitreichende organisationsrechtliche Vorgaben macht. Die drei Regelungsstufen auf europäischer Ebene haben hier allein circa 2.000 Seiten an Vorschriften und Guidelines produziert. Aber auch auf vielen anderen Gebieten reißt die Regulierungsflut nicht ab, denken Sie etwa an das Vergütungsrecht, die zahllosen Verbraucherschutzbestimmungen oder das neue europäische Datenschutzrecht. Als sogenanntes globales systemrelevantes Unternehmen unterliegen wir zunehmend auch internationalen Standards, die weitgehend außerhalb demokratischer Gesetzgebungsverfahren gesetzt werden. Die Allianz muss jährlich einen sogenannten Recovery Plan an die Aufsicht geben, der mehrere Hundert Seiten umfasst; daneben noch einen Liquidity Risk Management Plan und einen sogenannten Systemic Risk Management Plan.

Welche Auswirkungen hatten diese Veränderungen auf die Rechtsabteilung? 
Die Inhousejuristen müssen heute näher am Geschäft, proaktiver und schneller arbeiten sowie rechtsrelevante Umsetzungen enger begleiten. Akademische Vermerke aus dem Backoffice zu senden, reicht definitiv nicht mehr aus. Ferner gibt es heute eine stärkere Mitverantwortung für die Unternehmenskultur in dem Sinne, dass geltendes Recht ohne Wenn und Aber respektiert wird. Dazu muss sich die Rechtsfunktion Gehör verschaffen und dafür sorgen, dass rechtliche Gesichtspunkte bei den Vorstandsentscheidungen berücksichtigt werden. Im Fall konträrer Interessen kann dies unbequem sein. Sich derartigen Situationen zu stellen und sie zu lösen, gehört zu den wichtigsten und schwierigsten Aufgaben des General Counsel.

Welche Rolle spielt dabei das Thema Compliance?
Compliance spielt gerade in der regulierten Industrie eine große Rolle, nicht nur für die Einhaltung von Recht, sondern auch für die Unternehmenskultur. Es muss aber gesehen werden, dass ein erheblicher Teil der Compliance-Aufgaben rechtlicher Natur ist. Die Aufsicht scheint dies bisweilen zu vergessen, wenn sie auf die formale organisatorische Trennung von Recht und Compliance hinwirkt. Offenbar wird dabei unterstellt, dass die Rechtsabteilung operativ, also als First Line of Defence, tätig ist, was für eine Stabsabteilung aber nicht zutrifft. Auch mit der Rolle des General Counsel, der nicht zugleich Compliance Officer ist, tut sich die Aufsicht schwer.

Wie blicken Sie auf den drohenden Brexit? 
Die unmittelbaren Auswirkungen sind wirtschaftlicher Natur, wie sich deutlich an der Wechselkursentwicklung zeigt. Als großer Kapitalanleger ist die Allianz von derartigen Marktbewegungen natürlich betroffen. Im Übrigen geht es derzeit im Wesentlichen darum, die möglichen künftigen Veränderungen und daraus resultierenden Handlungsbedarf zu identifizieren. Bis die Verhandlungen Konturen zeigen, wird vieles hypothetisch bleiben. Sicher ist aber, dass der EU-Austritt Englands für Standortüberlegungen bereits heute eine erhebliche Rolle spielt. Als sicher darf auch gelten, dass das grenzüberschreitenden Dienstleistungsgeschäft komplizierter werden wird.

Welche Baustellen hinterlassen Sie Ihrem Nachfolger?
Ich denke, ich habe die Rechtsfunktion gut bestellt, aber natürlich bleibt immer viel zu tun. Die Konzernfunktion Recht und der Austausch mit den ausländischen Einheiten muss weiter gestärkt werden. Eine permanente Aufgabe wird auch bleiben, junge Kollegen so anzuleiten und zu entwickeln, dass sie mit effizienter, lösungsorientierter Arbeit, klaren Botschaften und, wo dies zum Schutz der Gesellschaft notwendig ist, mit Rückgrat den Interessen des Unternehmens dienen. Schließlich denke ich, dass künftig auch die Koordination der verschiedenen Kontrollfunktionen wichtiger wird. Auch hier kann die Rechtsabteilung als neutraler Sachwalter Positives bewirken.

Das Gespräch führte Christin Stender.

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