JUVE: Hätten Sie schlaflose Nächte, wenn das VW-Management bei Ihnen D&O-versichert wäre?
Franz Held: Schlaflose Nächte nicht. Als Versicherer sollte man das Risiko, das man versichert, schon kennen und einschätzen können. Aber nachdenklich wäre ich schon, welche Schadenssummen da nun auf mich zukommen könnten.
Es wird spekuliert, dass dieser Haftungsfall Ex-VW-Chef Martin Winterkorn finanziell ruinieren könnte, wenn er seine Pflichten als Vorstand verletzt hat und VW den entstandenen Schaden einfordert. Teilen Sie die Einschätzung?
Ich sehe das ähnlich. Er dürfte einer der am besten bezahlten Manager Deutschlands gewesen sein. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, kann es schon sein, dass ein großer Teil des Schadens bei ihm hängen bleibt. Immerhin haben die USA ihre Ermittlungen schon abgeschlossen und auch die in Deutschland scheinen recht weit gediehen zu sein. Und sollte herauskommen, dass er von den Manipulationen an der Schadstoffsoftware gewusst und nichts dagegen unternommen hat, dann greift möglicherweise auch die Ausschlussklausel der „wissentlichen Pflichtverletzung“ in der D&O-Versicherung und er bliebe sogar auf dem Gesamtschaden sitzen. Vorstellbar ist aber auch, dass es zu einem Vergleich mit einer geringeren als der jetzt bekannt gewordenen Forderungssumme kommt.
Aber letztlich sind ja alle Manager bei den letzten großen D&O-Fällen gut weggekommen. Siemens und die Deutsche Bank hatten milliardenschwere Schäden durch die Verfehlungen ihrer Manager zu beklagen. Rolf Breuer, der ehemalige Deutsche Bank-Chef, zahlte zum Beispiel im Fall Kirch im Endeffekt noch 3,2 Millionen Euro. Die Bank selbst musste den Kirch-Erben allerdings 928 Millionen erstatten.
Der Fall VW hat meines Erachtens eine ganz andere Dimension, weil nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Öffentlichkeit viel mehr von dem vorgeworfenen Fehlverhalten betroffen ist. Da gibt es Tausende von Autobesitzern, in deren Fahrzeugen eine Schummelsoftware eingebaut worden ist. Und da ist das Land Niedersachsen, das an Volkswagen beteiligt ist. Deshalb ist auch der Druck viel höher, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Und letztlich hat auch der Aufsichtsrat ein ganz eigenes Interesse, mögliche Ansprüche zu verfolgen und es auch nicht zu einem „faulen“ Vergleich kommen zu lassen. Anderenfalls könnte auch er im Nachhinein dem Vorwurf einer Pflichtverletzung ausgesetzt sein und dann selbst in Anspruch genommen werden.
Stichwort Aufsichtsrat. In der D&O-Versicherung sind üblicherweise neben dem Vorstand auch die Mitglieder des Aufsichtsrats versichert. Wie verhalten Sie sich als Versicherer zu den einzelnen versicherten Personen, wenn es unterschiedlichste Interessen aller Beteiligten gibt?
Ganz wichtig: Als Versicherung muss ich vermeiden, dass ein Fall Kreise zieht und die verschiedenen Beteiligten sich gegenseitig mit Schuldzuweisungen überhäufen. Deeskalation ist angesagt. Deshalb muss man sich ganz früh mit den Betroffenen ins Benehmen setzen, schnell Gespräche führen und den Sachverhalt gut aufarbeiten. Bei anhaltend unterschiedlichen Interessenlagen ist ein professionelles Monitoring der Schadenssache unverzichtbar. Und wenn es noch geht, die Sache unter Einsatz alternativer Streitbeilegungsmöglichkeiten vom Tisch zu bekommen, kann das zu sehr fairen Ergebnissen führen. Bei VW ist es meines Erachtens dafür aber zu spät. Einen anderen Aspekt finde ich aber in dem Zusammenhang noch erwähnenswert: Wenn die gesamte Deckungssumme einer Unternehmens-D&O durch einen Großschaden aufgebraucht ist, dann steht der Geschäftsführer einer kleinen Tochter-GmbH bei einer potenziellen Inanspruchnahme aus einem völlig anderen Anlass ganz nackt im Wind. Hier hilft, zumindest bei geringeren Forderungssummen, dann nur noch die individuelle Absicherung über eine Persönliche D&O-Versicherung.
Bei all den großen Managerhaftungsfällen der jüngsten Zeit, herrscht im Moment eigentlich ein gutes Geschäftsklima für einen D&O-Versicherer oder eher ein riskantes?
Die Antwort hat zwei Teile. Einmal wird dadurch immer evidenter, dass es Bedarf für eine D&O-Versicherung gibt. Sicherlich muss man sein Geschäftsmodell aber immer wieder überprüfen und fragen, wie der bedarfsgerechte Bedingungsumfang gestaltet werden muss, welche Prämien adäquat und welche Branchen noch wirtschaftlich sinnvoll versicherbar sind. Andererseits beschäftigt mich persönlich schon länger die Stimmung, die Managern momentan auch wieder entgegenschlägt. Das ist eine „Die sind sowieso alle überbezahlt“-Mentalität, die dazu führt, dass bald keiner mehr den Job machen möchte. Vor allem wenn man bedenkt, dass ein Vorstand oder Geschäftsführer bereits bei einer nur einfach fahrlässig begangenen Pflichtverletzung unbegrenzt mit seinem gesamten Privatvermögen haftet, so empfinde ich dies als unverhältnismäßig und kontraproduktiv für die Entscheidungsprozesse. Mein Wunsch an den Gesetzgeber ist hier, die Haftungssumme auf ein vernünftiges Maß zu deckeln – etwa auf ein Jahresgehalt. Bei zumindest grob fahrlässig begangenen Pflichtverstößen ist die unbegrenzte Managerhaftung dann wieder in Ordnung.
Wenn ich mein Auto versichern will, dann wird die Prämie zum Beispiel daran bemessen, ob ich eine Garage habe oder auf der Straße parke. Kontrollieren Sie die Compliance- und Governance-Systeme der Unternehmen, bevor Sie sie versichern?
Bei der Eindeckung größerer Risiken werden gern auch schon mal Gespräche mit der Geschäftsleitung geführt, um hierdurch auch einen persönlichen Eindruck der handelnden Personen und einen besseren Einblick ins Unternehmen zu bekommen. Aber wir sind ein eher mittelstandsfokussierter D&O-Anbieter, wir verschaffen uns einen Überblick zum Beispiel über Marktanalysten, Auskunfteien und Finanzkennzahlen. Schließlich sehen wir das größte Schadenspotenzial immer noch darin, dass ein Unternehmen insolvent wird.
Das Gespräch führte Christiane Schiffer.