In Teil 1 der Interviewreihe sprechen wir mit Iring Christopeit, Partner der Münchner Kanzlei Peters Schönberger & Partner. Die Sozietät ist regelmäßig mit der steuerlichen Nachfolge- und Private-Clients-Beratung befasst und unterzog sich jüngst selbst einem ESG-Check.
JUVE: Was versteht man eigentlich unter ‚aggressiver Steuergestaltung‘ und wie geht man als Berater damit um?
Dr. Iring Christopeit: Bei unserem Selbstcheck und der damit einhergehenden Strategieentwicklung in Sachen ESG bin ich zusammen mit Kolleginnen und Kollegen für das ,G‘ zuständig – also für das Thema Governance. Das ist für uns intern der Rahmen für die Art und Weise, wie wir uns selbst sehen und verstehen möchten. Unser Thema bei ESG ist: Wer sind unsere Mandanten? Woher kommt deren Vermögen? Was ist deren Unternehmensgegenstand? Wie beraten wir diese Mandanten und wie ist unser Beratungsselbstverständnis?
Wäre ein Verzicht auf ‚aggressive Steuergestaltung‘ etwas, das da hineinpasst in dieses ,G‘?
Ja. Allerdings kommt es auf die Definition an. Was bedeutet ‚aggressiv‘, was bedeutet ‚nicht aggressiv‘? Wie definiert man ‚legitim‘ im Unterschied zu ‚legal‘? – Aber Sie haben gefragt, ob ich ‚aggressive Steuergestaltung‘ ausschließen würde, wenn ich an ESG denke. Da würde ich sagen, ja, immer dann, wenn die Gestaltung an einen Punkt kommt, wo jeder außersteuerliche Grund fehlt. In jedem Gespräch mit meinen Mandanten sage ich: „Machen Sie bitte nichts nur der Steuer wegen.“ Denn das fällt auch dem Mandanten hinterher rasch auf die Füße, namentlich wenn er merkt, dass er sich in Aspekten gebunden hat, in welchen er gar nicht gebunden sein will. Das sieht man am Beispiel einer Familienstiftung – wo der Mandant kein Gesellschafter mehr ist, sondern nach seiner Wahrnehmung nur noch in einem Gremium sitzt. Dann kommt die Frage, wie viel kann ich noch mitentscheiden? Wie komme ich aus so einer Struktur wieder heraus? Kriege ich meine Kinder noch motiviert, im Unternehmen mitzuarbeiten, oder wartet dann die nächste Generation nur noch auf die Dividenden aus der Stiftung?
„Wir sind verpflichtet, zu zeigen, was legal ist“
Am Ende sollte der Mandant vorgeben, in welche Richtung es gehen soll. Hierfür muss er allerdings erstmal alle Möglichkeiten kennen. Daher bin ich schon der Meinung, dass wir es unseren Mandanten schulden, ja verpflichtet sind, zu zeigen, was gesetzlich erlaubt ist, was „geht“ und was legal ist. Und wir können auch eine Einschätzung dazu abgeben. Und das sehe ich auch als mein Verständnis, meine Pflicht, klar darauf hinzuweisen: „Mit dieser Gestaltung segeln Sie hart am Wind. Diese Gestaltung würde ich als sehr steuergetrieben einschätzen.“ Unsere Mandanten wollen in der Regel nicht so hart am Wind segeln. Natürlich gibt es Mandanten, die dies wollen – die sind aber selten bei uns.
Wenn ich als Mandant extrem hart am Wind segeln wollen würde, zu welchem Berater oder welcher Beratung würde ich dann gehen?
Man kann da kein Kanzleilabel draufkleben. Es ist immer der Berater an sich, der sich auf bestimmte Art und Weise positioniert. Wenn bei mir in einem Mandantengespräch zum Beispiel der Begriff ‚Cayman-Islands‘ fällt oder der Mandant anspricht, er habe von Strukturierungsmöglichkeiten gehört, die über die Kanalinseln oder die Bahamas funktionieren, dann sage ich: „Ja, das gibt es. Ich weiß auch grob, wie es geht, aber diese Strukturierungen machen wir, mache ich nicht.“ Ein Mandant, der wirklich an Double-Sandwich-Strukturen über Irland und die Niederlande interessiert ist, der weiß schon, wie er den Berater dazu am Markt findet. So gibt es für jeden Mandanten den richtigen Berater. Daher gibt es sicherlich auch Berater, die einen Sport darin sehen, dass möglichst wenig Steuern anfallen und die sich auf die absolute steuerliche Optimierungsseite stellen; das entspricht jedoch nicht unserer Werteordnung.
Was sind so klassische Triggerpoints, an denen man eine ausschließlich steuerlich getriebene Optimierung erkennt?
Ein Triggerpoint ist für mich, wenn man versucht, den Sachverhalt zu modifizieren. Ein Beispiel: Sie leben eigentlich mit Haut und Haar in Deutschland, sagen aber, ich tue so, als würden ich und meine Familie in Österreich wohnen, weil es dort keine Erbschaft- und Schenkungsteuer gibt. Also fingiert man in Österreich eine Wohnung, um zu dokumentieren, dass man dort eine gewisse Zeit lang auch lebt und versucht, sich eine Art Parallelwelt aufzubauen. In solchen Fällen werden manche Mandanten, aber auch manche Berater extrem kreativ, wie man eine solche Parallelwelt glaubwürdig hinbekommt. Dann werden Flugtickets dokumentiert, Aufenthaltsprotokolle erstellt etc. Das gibt es nicht nur in Deutschland. Schauen Sie nach Spanien, dessen Bewohner unter der spanischen Vermögensteuer leiden. Die tun gelegentlich so, als würden sie in Portugal leben und dann geht es jeden Abend hin und her.
„Man versucht, sich eine Art Parallelwelt aufzubauen“
Das sind Sachen, die ich nicht mitmache. Erstens, weil ich meinem Mandanten nicht dazu raten kann. Weil es eine Qual ist, sich dauerhaft an die Parameter dieser Parallelwelt halten zu müssen, wenn man diesen Weg einmal eingeschlagen hat. Das machen sie vielleicht im ersten Jahr noch ganz ordentlich, aber ab dem zweiten Jahr werden sie nachlässiger und nachlässiger. Und dann irgendwann rutschen sie in die Steuerfalle hinein. Meine klare Haltung dazu: Alles, was im Sachverhalt nicht der Wahrheit entspricht, mache ich nicht.
Das vollständige Interview finden Sie auf JUVE Steuermarkt.