Unter den Nominierten für die JUVE Awards sind auch US‑Kanzleien. So wie in jedem Jahr. Es gibt aber ein Novum in der Geschichte des Preises: Es sind auch US-Kanzleien nominiert, die in ihrem Heimatmarkt umstrittene Vereinbarungen mit der Regierung getroffen haben. Wie die Kanzleien selbst, hat die JUVE-Redaktion in den vergangenen Monaten intensiv darüber diskutiert, was diese „Deals“ bedeuten – und ganz sicher wird es auch heute Abend Gesprächsthema sein. Manche finden die Auswahl der Awards-Nominierungen deshalb in diesem Jahr besonders erklärungsbedürftig. Also erklären wir sie.
Als wir die JUVE Awards vor über zwei Jahrzehnten ins Leben riefen, schien der Rechtsstaat eine so selbstverständliche Grundlage unserer Lieblingsbranche zu sein, dass niemand auf die Idee gekommen wäre, den „Einsatz für den Rechtsstaat“ als eigenes Preiskriterium zu definieren. Es wäre gewesen, als verlange man von einem Bäcker, dass er Mehl verwendet. Die Gegenwart lehrt uns Demut. Dass wir heute ernsthaft darüber nachdenken müssen, zeigt die dramatische Erosion rechtsstaatlicher Selbstverständlichkeiten in Teilen der westlichen Welt.
Gegen 21 Uhr wird es heute Abend in der Frankfurter Alten Oper heißen: „Sieger der Kategorie Kanzlei des Jahres ist…“. Dann haben wir Kanzleien und Inhouse-Teams ausgezeichnet, deren strategische Klugheit, deren juristische Brillanz und deren dynamische Entwicklung im vergangenen Jahr herausragend waren. Wir spüren aber auch, dass etwas von der früheren Leichtigkeit und Sorglosigkeit gewichen ist.
In den USA erleben wir seit Monaten eine Entwicklung, die das Berufsethos der Anwaltschaft auf eine harte Probe stellt. Neun amerikanische Großkanzleien haben mit der Trump-Regierung Vereinbarungen über insgesamt 940 Millionen US-Dollar an kostenlosen Rechtsdienstleistungen geschlossen: A&O Shearman, Cadwalader, Kirkland, Latham, Milbank, Paul Weiss, Simpson Thacher, Skadden und Willkie. Im Gegenzug stellte die Regierung Untersuchungen zu Diversity-Programmen ein und zog drohende Sanktionen zurück.
Kämpfen oder kapitulieren
Diese Deals sind mehr als nur geschäftliche Transaktionen. Sie sind Kapitulationserklärungen. Diversity-Programme, die gestern noch stolz präsentiert wurden, verschwanden über Nacht von den Websites. Kanzleien, die sich als Hüter rechtsstaatlicher Prinzipien verstehen, haben sich politischem Druck gebeugt und Unabhängigkeit gegen vermeintliche Geschäftssicherheit getauscht. Die Folgen: Rücktritte, Teamwechsel, Mandatsverlagerungen – eine gespaltene Anwaltschaft.
Die betroffenen Kanzleien argumentieren hinter vorgehaltener Hand sinngemäß: „Wir hatten keine Wahl, als uns der Macht der US-Regierung zu beugen. Wir mussten es tun, weil wir sonst wirtschaftlich nicht überlebt hätten – es war ein Gebot der Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Mandanten, die Chance zu ergreifen, mit einem Deal das akute Problem zu lösen. Außerdem können wir nach wie vor selbst bestimmen, welche Pro-Bono-Mandate wir annehmen – und darauf kommt es an.“
Das ist alles nicht von der Hand zu weisen, und dennoch: Es gibt Kanzleien, die gezeigt haben, dass es auch anders geht. Jenner & Block, Perkins Coie, Susman Godfrey und WilmerHale taten das, wofür sie berühmt sind: Sie zogen vor Gericht. Überwiegend mit Erfolg.
Die Vorgänge sind mehr als nur eine Fußnote der amerikanischen Innenpolitik. Sie sind eine Bewährungsprobe für eine Branche, die gerne mit Haltung wirbt. Wenn Kanzleien einerseits ihr Engagement für Vielfalt und gesellschaftliche Verantwortung betonen, aber angesichts fundamentaler rechtsstaatlicher Fragen schweigen und zahlen, steht ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.
Was heißt das für die JUVE Awards?
Erstens: Wir bestrafen keine in Deutschland tätige US‑Kanzlei für die politische Entwicklung oder Haltung in ihrem Heimatmarkt. Unsere Kriterien sind fachlich und marktnah: Marktpräsenz und Reputation, Mandatsarbeit, Team- und Nachwuchsförderung, Mandantenorientierung sowie Innovation und Zukunftsfähigkeit. Maßgeblich ist die Dynamik im deutschen Markt – kein „Gesinnungscheck“ im Ausland.
Zweitens: Innerhalb unserer Kriterien prüfen wir sehr wohl, ob US‑„Deals“ die deutsche Praxis berühren. Auswirkungen können sich etwa auf die Reputation zeigen – einem zentralen Bewertungsmaßstab. Sie können sich zeigen in der Nachwuchsförderung und im Teamgefüge. Wenn Umfragen klar belegen, dass junge Juristinnen und Juristen ihren Arbeitgeber zunehmend nach Werten und authentischer Unternehmenskultur wählen – dann wird dies zum harten Faktor im Wettbewerb um die besten Talente.
Wenn Studierende und Associates Angebote wegen wahrgenommener Wertebrüche überdenken, wenn Mandanten Fragen stellen, wenn Teams bröckeln – dann spiegelt sich das in genau den Kriterien wider, nach denen wir bewerten. Das fließt in unsere Bewertung ein: nicht als moralisches Urteil, sondern als Analyse der unternehmerischen Konsequenzen. Wir stützen uns auf öffentliche Dokumente, eigene Datenerhebungen und belastbare Marktgespräche – so, wie es unser redaktionelles Verfahren seit jeher vorsieht. Offiziell heißt es oft: „Kein Problem.“ Entscheidend ist, was sich im deutschen Markt beobachten lässt.
Drittens: Genau deshalb ist es trotz unserer Sorge um den US‑Rechtsstaat möglich, dass US‑Kanzleien mit „Deal“ für die JUVE-Awards nominiert sind – wenn ihre deutsche Praxis im Recherchezeitraum nachweislich besondere Dynamik gezeigt hat. Nominiert wird, wer in Deutschland sichtbar vorankommt.
Der Blick nach vorn
Das zurückliegende Jahr hat gezeigt, wie schnell scheinbare Gewissheiten erodieren können. Nach der Wahl des aktuellen US-Präsidenten haben wir geschrieben: „Amerika bekommt einen Präsidenten, der vor der Wahl nicht einmal so tat, als würde er eine Wahlniederlage akzeptieren. Einen Präsidenten, der hetzt und droht und die freie Presse verachtet. Der mehr als einmal bewiesen hat, dass ihn Rechtsstaatlichkeit nur dann interessiert, wenn er sie für seine Zwecke nutzen kann. Man hat sich so sehr an diesen Zustand gewöhnt, alles ist so bekannt, dass es fast ermüdend klingt, darüber zu lamentieren. Und doch sollte man von Institutionen, in deren DNA Rechtsstaatlichkeit der wichtigste Baustein sein müsste, genau das erwarten.“
Viele fanden das alarmistisch. Heute steht der US-Rechtsstaat noch stärker unter Druck, als es sich die meisten damals vorstellen konnten: Trump-treue Richter, die bereits seit dessen erster Amtszeit die Mehrheit am obersten US-Gericht stellen, urteilen ohne mündliche Verhandlung und meist ohne Begründung. Möglich wird dies durch das sogenannte Shadow oder Emergency Docket. Das traditionell unabhängig agierende Bundesjustizministerium wurde auf Linie gebracht und personell massiv ausgedünnt. Beobachter sprechen von einem „unglaublichen Brain-Drain“, besonders in der Bürgerrechtsabteilung.
Auch der deutsche Rechtsstaat braucht Verteidiger
Auch Deutschland ist nicht immun. Die öffentliche Debatte und Wahlergebnisse zeigen: Demokratische Institutionen und Grundrechte werden in einem lange unvorstellbaren Ausmaß infrage gestellt. Schon im vergangenen Jahr haben wir mit dem Verfassungsblog sowie VIA IURIS aus der Slowakei zwei Organisationen als Spendenempfänger der JUVE Awards ausgewählt, die sich in (verfassungs-)juristischer, wissenschaftlicher und journalistischer Sicht für den Rechtsstaat einsetzen.
Die JUVE Awards können ein Anlass sein, die (rechts-)politische Entwicklung in Deutschland und anderswo kritisch zu reflektieren. Unsere Bewertungsgrundsätze müssen wir dafür nicht über den Haufen werfen. Wir würdigen bei den JUVE Awards weiterhin die wirtschaftliche Entwicklung und Managementleistung von Kanzleien in Deutschland. Wer Dynamik zeigt, wird nominiert. So war es immer – und so soll es bleiben.
Klar ist aber auch: Das kann nur funktionieren, solange wir uns in einem demokratischen Rechtsstaat mit unabhängigen Gerichten, Meinungs- und Pressefreiheit sowie einer unabhängigen Anwaltschaft bewegen. Dies zu gewährleisten, ist unser aller Aufgabe.
Laura Bartels, Marc Chmielewski, Antje Neumann und Jörn Poppelbaum bilden die Chefredaktion des JUVE Verlags.