Nach EuGH-Urteil

Rechtsschutzversicherer greift Stundensatzabrechnungen an

Mindestens eine Rechtsschutzversicherung fordert nach JUVE-Informationen Stundensatzhonorare von Strafrechtlern zurück. Grundlage der Rückforderungen ist ein verbraucherschutzrechtliches Urteil des Europäischen Gerichtshofs (Az. C-395/21). Fachleuten zufolge könnten nicht nur Individualvertreter betroffen sein. 

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JUVE liegt das anonymisierte Schreiben einer Kanzlei vor, die im Auftrag einer Rechtsschutzversicherung von einer Strafrechtskanzlei die Rückerstattung von Teilen eines bereits gezahlten Honorars fordert. Die Vergütungsvereinbarung, in der ein Stundensatz vereinbart wurde, sei unwirksam. Die „ohne Rechtsgrund“ geleisteten Zahlungen seien in Bereicherungsansprüche der Rechtsschutzversicherung gegenüber der Strafrechtskanzlei übergegangen, so die Kanzlei in dem Schreiben. Anders als in vielen anderen Rechtsbereichen bieten Rechtsschutzversicherer im Strafrecht Policen an, die auch Kosten erstatten, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgehen.

EuGH hält Stundensatzabrechnung für intransparent

Der Rechtsschutzversicherer will sich das bezahlte Honorar auf Basis eines EuGH-Urteils vom Januar 2023 zurückholen. Darin ging es um einen Streit zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten über ein Stundensatzhonorar. Der Mandant sah eine AGB-Verletzung in der nicht im Detail ausgehandelten Vergütungsvereinbarung, die diese  unwirksam mache. Der EuGH entschied auf Vorlage eines litauischen Gerichts im Sinne des Mandanten.

Die Richter bestätigten, dass in der Vergütungsvereinbarung das Gleichgewicht der Rechte und Pflichten der Vertragspartner „zum Nachteil des Verbrauchers gestört“ sei. Es genüge nicht, gegenüber Verbrauchern nur den Stundensatz auszuweisen. Wenn die finanziellen Folgen des Vertragsschlusses für den Verbraucher nicht zu erkennen sind, sei die Vergütungsvereinbarung unwirksam.

Urteil in Deutschland angekommen

In dem Schreiben der Rechtsschutzversicherung werden auch zwei aktuelle Urteile deutscher Gerichte genannt, die die EuGH-Entscheidung bereits zitieren. Das Landgericht München hält eine Zusatzvereinbarung zur RVG-Vergütung in einem arbeitsrechtlichen Verfahren aus Transparenzgründen für unwirksam (Az. 4 O 14404/22). Das OLG Bamberg entschied in einer familienrechtlichen Angelegenheit, dass die stundenbasierte Vergütungsvereinbarung zwar nicht transparent das Kostenpotenzial ausweise. Dem steht dem Gericht zufolge allerdings entgegen, dass der Mandant einmal als Rechtsanwalt in einer Großkanzlei tätig war und somit nicht als typischer Verbraucher den Vertrag geschlossen habe (Az. 12 U 89/22).  

Dürfen auch Unternehmen Transparenzgebot prüfen?

Fachleute sehen die Entwicklung als Beleg für den wachsenden Druck auf den Stundensatz als gängige Form der anwaltlichen Vergütungspraxis. Dass nur Verbraucher von den Folgen der EuGH-Rechtsprechung profitieren, halten sie zudem für eine riskante Hoffnung. Denn der AGB-rechtliche Abschnitt im europäischen Recht, auf den sich der EuGH bezieht, stammt aus dem deutschen Recht. Der EuGH stellt ihn zwar in den Dienst des Verbraucherschutzes. Diese Grenze muss aber vor deutschen Gerichten längst nicht gelten. Denn die Frage ist, ob die deutsche Grundlage im Bürgerlichen Gesetzbuch auch für alle geschäftlichen Beziehungen gilt, also auch gegenüber Unternehmen. Diese Meinung vertritt etwa der AGB-Spezialist Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen. Allerdings dürften vor allem die großen Kanzleien gewappnet sein. Sie bieten ihren Mandanten mittlerweile digitale Tools für die Echtzeitkostenkontrolle an.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass Urteil mit dem Aktenzeichen 12 U 89/22 habe das OLG Würzburg zu verantworten. Das ist falsch. Die Entscheidung traf das OLG Bamberg. Wir haben die Stelle korrigiert.  

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