Spezialboutique oder Rundum-Service

Sind Full-Service-Kanzleien ein Auslaufmodell?

Wer seine Mandanten rundum glücklich machen will, muss einen Rundumservice bieten. Auf diesem Ansatz basiert das Geschäft der Großkanzleien, aber auch vieler kleiner Einheiten. Aber stimmt das überhaupt? Oder gehört die Zukunft spezialisierteren Einheiten, die projektbezogen kooperieren?

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Sind Mandanten tatsächlich besser bei Kanzleien aufgehoben, die ihnen Beratung in nahezu jedem Rechtsgebiet anbieten können?

„Konfliktvermeidung – der Trend zur Boutique ist ungebrochen“

Dr. Henrik Humrich ist Namenspartner von Ego Humrich Wyen in München.

Henrik Humrich

Aus Mandantensicht bieten kleine, hochspezialisierte Einheiten eine Reihe von Vorteilen im Vergleich zu Großkanzleien mit Full-Service-Ansatz. Zunächst gehen die schlankeren Strukturen mit einer Kostenquote einher, die eine geringere Vergütung bei gleicher Profitabilität erlaubt.

Fachlich sehen wir in unserer Kanzlei für die Bereiche Dispute Resolution und M&A-Transaktionen auch Vorzüge in der Mandatsbearbeitung. Boutiquen sind in Streitigkeiten weniger berufsrechtlichen oder sonstigen Konflikten ausgesetzt als Großkanzleien, die allein aufgrund ihrer Größe wesentlich mehr Beziehungen unterhalten. Gerade für das Schiedsrecht ist der Trend zur Boutique daher ungebrochen. Im Bereich M&A ist es ein Vorteil, für die unterschiedlichen Themenfelder jeweils aus einer Reihe von spezialisierten Kanzleien die für den konkreten Fall geeignetste Einheit auswählen zu können.

Gleichzeitig ist aber unbestritten, dass Großkanzleien eine Vielzahl von Vorzügen genießen. Am Ende des Tages kommt es daher – unabhängig von der Organisationsform – maßgeblich auf den mandatsführenden Anwalt an.

Der entscheidende Unterschied zwischen Großkanzlei und Boutique besteht daher nicht für die Mandanten, sondern für die Anwälte selbst. Für wen ein hohes Maß an Freiheit und Gestaltungsspielräumen sowie eine echte Partnerschaft mit seinen Kollegen wichtig ist, der wird sein Glück in der kleinen Einheit finden.

„Kaum ein Projekt kommt mit einer Fachrichtung aus“

Dr. Sebastian Naber ist einer der Gründer von Neuwerk in Hamburg.

Sebastian Naber

Die Welt wird immer komplexer und die Dichte an Gesetzen und Regelungen tiefer. Für Rechtsberatung heißt das: Kaum ein größeres Projekt kommt mit einer einzigen Fachrichtung aus: In welcher Transaktion kommt es schon weder auf IP noch auf Grundstücke noch auf Personal an? Welche Investigation lässt sich ohne Expertise im Datenschutz oder Arbeitsrecht allein von Strafrechts- oder Compliance-Profis bewältigen?

Immer, wenn es spannend wird, braucht es reibungslose Zusammenarbeit über die Grenzen einzelner Rechtsgebiete hinweg. Bieten solchen ‚seamless support‘ nur Full-Service-Einheiten? Sicher nicht. Aber das vertraute Team einer einzigen Kanzlei bietet mehr als ein Konglomerat kleiner Spezialboutiquen. Es arbeitet besonders effizient zusammen, denn es erzeugt keinen Aufwand für Abstimmung und Koordination und bietet als One-Stop-Shop größtmöglichen Komfort. Aus einem Boutiqueformat kann Full Service als ‚best of both worlds‘ angeboten werden: die eingespielte Beratung hoch spezialisierter Teams zu Schnittstellenthemen auf Großkanzleiniveau, kombiniert mit den attraktiven Kostenstrukturen und der Flexibilität und Geschwindigkeit kleiner Boutiquen.

Es gibt hierzulande immer noch wenige kleine Full-Service-Einheiten – aber alle, die es gibt, haben sich schnell etabliert. Das ist kein Zufall, sondern logische Konsequenz: Full-Service-Beratung durch Boutiquen ist für den Rechtsmarkt ein attraktives Angebot.

Der Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe 08/2023 des JUVE Rechtsmarkt

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