JUVE: Was sind nun die wesentlichen Änderungen im Vergleich zu den Entwürfen im Vorfeld?
Dr. Philipp Hanfland: Der Gesetzgeber hat auf den letzten Metern die Hürden für Abhilfeklagen in einigen Punkten gesenkt und sich bemüht, das Verfahren für Verbraucher attraktiver zu gestalten. Am auffälligsten ist sicherlich die Verschiebung des Opt-in-Zeitpunkts für Verbraucher. Bislang war in den Entwürfen der Vorabend der ersten mündlichen Verhandlung als spätestmöglicher Zeitpunkt für einen Beitritt vorgesehen. Ein solcher Beitritt ist nun sogar noch drei Wochen nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung – aber vor Erlass eines Abhilfegrundurteils – möglich. Für die Zulässigkeit einer Verbandsklage muss der klagende Verband nur noch „nachvollziehbar darlegen“ und nicht mehr glaubhaft machen, dass von der Verbandsklage mindestens 50 Verbraucher betroffen sein können. Auch die Anforderungen an die Ähnlichkeit der Ansprüche wurden noch einmal abgesenkt. Interessant ist zudem, dass nun eine ausdrückliche Regelung für die Höhe der Erfolgsbeteiligung eines Prozessfinanzierers aufgenommen wurde.
Eine große Sorge von Unternehmen war immer, dass das Gesetz eine ‚Klägerindustrie‘ hervorbringen könnte. Wie sehr trifft das noch zu?
Wir sehen bereits jetzt viele professionell agierende Kanzleien, Legal-Tech-Anbieter und Dienstleister, die effektiv Ansprüche bündeln und durchsetzen können. Ein Beispiel sind die regelmäßig prozessfinanzierten Abtretungssammelklagen im Delikts-, Kartell- oder Kapitalmarktrecht. Die neue Abhilfeklage erweitert den Werkzeugkasten für professionelle Akteure auf Klägerseite. Ob damit ein wesentlicher Anstieg von Sammelklagen einhergehen wird, bleibt abzuwarten, zumal die klagebefugten Stellen nicht gewinnorientiert arbeiten dürfen.
Für Prozessfinanzierer gibt es bei der Abhilfeklage aber nicht mehr viel zu holen. Ist das das Ende der schwer munitionierten Sammelklage?
Die im Gesetz nun vorgesehene Erfolgsbeteiligung von 10 Prozent liegt in der Tat unter den Quoten, die man im Markt sieht. Wie den Prozessfinanzierern diese Vergütung durch die neue Abhilfeklage zugutekommen soll, bleibt zudem offen, weil das Gesetz keinen Verteilungsmechanismus vorsieht. Außerdem sind alle Vereinbarungen zwischen Verbraucherverband und Prozessfinanzierer offenzulegen. Das dürfte eine Prozessfinanzierung zusätzlich unattraktiv machen. Allerdings können Klagen mit einer Vielzahl beteiligter Verbraucher, die die Chance auf eine hohe Gesamtauszahlung bieten, für Prozessfinanzierer auch mit einer zehnprozentigen Erfolgsbeteiligung rentabel und attraktiv sein.
Großer Zankapfel war im Vorfeld auch der Opt-in-Zeitpunkt. Wie bewerten Sie die nun verabschiedete Regelung?
Ein Beitritt von Verbrauchern ist nun nach Schluss der mündlichen Verhandlung noch möglich. Hier hat der Gesetzgeber eine deutlich verbraucherfreundlichere Regelung als ursprünglich vorgesehen geschaffen. Verbraucher können den Verlauf der mündlichen Verhandlung im Abhilfeklageverfahren abwarten, bevor sie entscheiden, ob sie ihre Ansprüche anmelden oder lieber individuell geltend machen. Für Unternehmen ist die Regelung misslich, weil sie die Gesamthöhe der betroffenen Ansprüche erst sehr spät abschätzen können. Ein früher Vergleich – der aus Sicht der klagenden Verbände und vor allem der Prozessfinanzierer durchaus ein lohnendes Ziel wäre – wird damit für Unternehmen schwieriger.
Aus Sicht eines Anwalts gesprochen, der vor allem Unternehmen verteidigt: Wie sehr wird das neue Gesetz Ihre Arbeit beeinflussen oder verändern?
Auch wenn die neue Abhilfeklage die Prozesslandschaft nicht revolutionieren wird, dürfte die Anzahl an Massenverfahren weiter zunehmen. Dafür sind wir in unserer Prozessführungspraxis schon heute gut aufgestellt. Spannend wird, wie die neuen Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Sammelklage genutzt werden. Das werden wir gemeinsam mit unseren Best-Friends-Partnerkanzleien in den anderen europäischen Jurisdiktionen aufmerksam beobachten.