Selivanov stammt aus der Ukraine, lebt allerdings seit 20 Jahren in Deutschland. Er hat keine direkten Verwandten mehr dort – und er erwartete deshalb, dass ihn der Konflikt in der Ukraine nicht mehr aufwühlen würde als Menschen ohne Verbindung in dieses Land.
Ein Irrtum, wie sich am 24. Februar herausstellte, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine. „Als es zu dem brutalen Angriff von Russland auf die Ukraine kam, war ich doch total wütend“, berichtet Selivanov. Und er fühlte sich machtlos. Das ging nicht nur ihm so: Mit einer Gruppe von Freunden entwickelte er über Nacht eine Idee, was sie gegen die frustrierende Hilflosigkeit tun können.
Der Klub der Witzigen macht ernst
Selivanov und seine Freunde kennen sich über den 2002 von jungen, russischsprachigen Migranten gegründeten Verein ‚KiViN‘ (Klub der Witzigen und der Schlagfertigen). Sie haben russische, ukrainische, lettische, kasachische oder kirgisische Wurzeln.
Kurzerhand mieteten die Freunde fünf Minivans. Am Samstagmittag machte sich Selivanov mit seiner Frau auf den Weg gen polnisch-ukrainische Grenze, um Flüchtenden eine Gelegenheit zu geben, nach Deutschland weiterzureisen. Darunter waren auch Verwandte von Selivanovs Frau.
Die Aktion gestaltete sich schwieriger als erwartet, denn es war für Flüchtende schwer möglich, überhaupt bis zur polnisch-ukrainischen Grenzen vorzudringen. Daraufhin fuhr das Paar zunächst wieder zurück nach Deutschland, um schließlich Sonntagnacht erneut zur polnisch-ukrainischen Grenze aufzubrechen. Dort kamen sie am frühen Montagabend an. Mit einem Umweg über Krakau, wo sie eine Mutter mit ihren zwei Kindern in einem Hotel abgesetzt hatten, kam das Ehepaar mit den Verwandten Dienstagmorgen wieder in Frankfurt an.
„Wir sind überwältigt von der Hilfsbereitschaft“
Parallel dazu liefen Aufrufe über Social Media für Sach- und Geldspenden, und auch viele Fahrer haben sich gemeldet. „Wir sind immer noch überwältigt von der Resonanz“, sagt Selivanov. „Wir haben am vergangenen Wochenende noch die Erfahrung gemacht, dass viele Ukrainerinnen und Ukrainer vorerst nicht aus Polen weg wollten, weil sie immer noch hofften, schnell in die Ukraine zurückkehren zu können.“ Wie schnell sich das geändert hat, zeigen aktuelle Medienberichte. Nun sammelt die Gruppe auch Nahrungsmittel, Babynahrung und Medikamente, um sie an die Grenze zu transportieren. Eine zehnköpfige Organisationsgruppe koordiniert aktuell, welche Güter benötigt werden und wer sie aus Deutschland an die ukrainische Grenze bringt. Dafür passen sie nun auch ihre Webseite ukraine-hilfe.online an.
Selivanov selbst übernimmt künftig die Koordinationsaufgaben. „In den ersten beiden Tagen konnte ich meine Arbeit bei Linklaters in Absprache mit dem zuständigen Partner auf das Team verteilen. Da waren alle sehr hilfsbereit“, sagt der Associate. „Nun bin ich seit Dienstag wieder da und werde meine Arbeit wieder normal aufnehmen.“