Direkte Kostenersparnis bringt der Einsatz von KI bis jetzt in den seltensten Fällen. Das berichten auch die meisten Kanzleien und Rechtsabteilungen, mit denen JUVE in den vergangenen Monaten gesprochen hat. Nicht nur, weil die Systeme fast überall noch in der Hochlaufphase sind, in der zwangsläufig die Investitionen überwiegen. Sondern auch, weil der Mehrwert von KI eben in der Produktivitätssteigerung liegt. Etwas höhere Investitionen gehen dann in Ordnung, wenn der Output sehr viel stärker steigt.
Zum Beispiel auf Feldern, die Wirtschaftskanzleien bisher noch gar nicht selbst beackern. Perspektivisch könnte der richtige Einsatz von KI ganz neue Beratungsprodukte kommerziell sinnvoll machen, meint Lena Haffner, Innovation Lead bei Norton Rose Fulbright. „Aufgaben, die Rechtsabteilungen bisher selbst erledigt oder an alternative Rechtsdienstleister ausgelagert haben, könnten in Zukunft möglicherweise durch KI-basierte Lösungen abgedeckt werden, die wir anbieten.“ Darunter fiele etwa die massenhafte Überprüfung von Dokumenten. „Darüber hinaus ermöglicht KI die Entwicklung von ganz neuen Produkten, wie etwa Self-Service-Tools für Rechtsabteilungen“, so Haffner.
Große Erwartungen
Die 35-jährige Litigation-Anwältin ist Teil einer kleinen, aber rapide wachsenden Szene von Spezialisten in Kanzleien, die fachbereichsübergreifend die Transformation der Rechtsberatung vorantreiben. In der deutschen Norton Rose-Praxis kümmern sich neben Haffner aktuell eine Handvoll Innovation-Teammitglieder um die Implementierung von Legal Tech. Den internationalen Rahmen bildet das EMEA-weit rund 150-köpfige „Transform“-Team der Kanzlei. „KI kann heute schon bestimmte Aufgaben übernehmen, den Abgleich eingehender Verträge mit Templates etwa oder die Extraktion von Datenpunkten“, berichtet Haffner.
Die Veränderungen, die dadurch perspektivisch möglich werden – Beschleunigung, Automatisierung, reduzierter menschlicher Input – werfen heute schon ihre Schatten voraus. Updates zu regulatorischen Entwicklungen, relevanten Gerichtsentscheidungen und dergleichen müssten sich doch bereits KI-gestützt zusammenstellen lassen, so die Erwartung mancher Mandanten. Und wenn schon automatisiert, warum dann nicht sehr viel billiger als bisher – oder gleich gratis? Es kommt auf die Tiefe an, meint Haffner. „Wenn ein Mandant einen kompletten individualisierten Überblick haben möchte, also regelmäßige Alerts und maßgeschneiderte Analysen, kann das ein ganz eigenes Produkt sein, das derzeit nicht durch KI abbildbar ist und entsprechend bepreist wird.“
Wohin die Reise beim Pricing geht, ist schon lange eindeutig, ob mit oder ohne KI. „Die Mandanten wollen definitiv immer mehr Kostentransparenz“, sagt Haffner. Alternative Honorarmodelle, etwa Festpreise, Caps oder Retainer, gehören je nach Mandat schon länger zum Norton Rose-Standard. Für die gesamte EMEA-Region steht in der Kanzlei ein eigenes, achtköpfiges Team für Preisgestaltung und kommerzielle Einsichten bereit, das Preisvorschläge für Angebote erarbeitet, Rentabilitätsanalysen durchführt und Rahmenvereinbarungen überprüft.
Knackpunkt Scoping
Besonders oft dürfte diese Pricing-Kompetenz zum Tragen kommen, wenn sich ein innovatives Konstrukt durchsetzt, das Haffner seit einer Weile beobachtet: Zunehmend gibt es Anfragen zu Legal-as-a-Service-Modellen, also Rundumbetreuung zum Festpreis in bestimmten Fachbereichen. In der Cybersicherheits-Praxis um Dr. Christoph Ritzer bietet Norton Rose derartige Pakete auf Retainer-Basis bereits an, so Haffner. „Der Knackpunkt ist hier neben der Preisfindung vor allem das Scoping: Welchen Service-Katalog bietet man an, welche Kapazitäten kann der Mandant bei Bedarf abrufen? Was umfasst der Paketpreis und was nicht? Was dann über den vereinbarten Scope hinausgeht, kann auf Stundenbasis berechnet werden.“
Beim KI-Einsatz wird die Frage nach dem Scoping erst recht relevant. „Derzeit arbeiten die Systeme noch nicht zu 100 Prozent verlässlich. Man muss also händisch nacharbeiten und die Ergebnisse überprüfen – die Frage ist dann, in welchem Umfang. Macht man nur Stichproben oder geht man tiefer rein?“, sagt Haffner.
Doch ob bei avancierten Honorarmodellen und Preiskalkulationen, beim KI-Einsatz oder schlicht bei der Implementierung lang bekannter Legal-Tech-Tools – ein Leitthema bleibt immer gleich. „Für neue Pricing-Modelle gilt dasselbe wie für alle Innovationen: Es geht nie nur um die Neuerung selbst, sondern auch um Erwartungsmanagement“, weiß Haffner.
Darum steht schon weitere Verstärkung für das Innovation-Team bei Norton Rose bereit. Die nächste neue Mitarbeiterin wird zunächst einen Arbeitsschwerpunkt haben, der selbst durchaus innovativ wirkt: kanzleiinternes Innovations-Consulting. Erwartungsmanagement inklusive.
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