Trendwende bei Patentprozessen

Mehr Patentklagen in Deutschland – auch dank kreativer Münchner Richter

Jahrelang waren Patentstreitigkeiten vor deutschen Landgerichten weniger geworden − 2021 gab es erstmals wieder einen deutlichen Anstieg. Vor allem das Münchner Landgericht zieht durch aufsehenerregende Verfahrensideen immer mehr Patentklagen an.

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OLG München

Nokia gegen Oppo, Xiaomi gegen InterDigital, Eli Lilly gegen Generikahersteller – eine große Klageserie jagt die nächste. Schon lange waren die Patentstreitkammern in Deutschland nicht mehr so beschäftigt. Insgesamt belief sich die Zahl neuer Patentverletzungsklagen hierzulande 2021 auf 841. Das sind 9,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Jahr 2020 war die Anzahl von Klagen im Vergleich zu 2019 noch um 9 Prozent auf 714 gesunken.

Von den sieben deutschen Landgerichten (LG), die über Patentstreitigkeiten verhandeln, wurden 2021 nur in Frankfurt und Braunschweig weniger neue Klagen eingereicht als im Jahr zuvor. Alle anderen Gerichte schafften die Kehrtwende. In Düsseldorf, Mannheim, München, Hamburg und Nürnberg klagten mehr Patentinhaber aus technischen Schutzrechten als 2020.

Mit weitem Abstand entfallen die meisten der neuen Patentklagen 2021 auf die Landgerichte Düsseldorf, Mannheim und München. Zusammen kamen sie auf 775. Mit einem Plus von knapp 30 Prozent übertraf München das dritte Mal in Folge sein Vorjahresergebnis deutlich. 

Bei den wichtigsten deutschen Gerichten für Patentsachen liegt Düsseldorf zwar weiterhin an der Spitze. Hier haben Patentinhaber im Jahr 2021 insgesamt 371 neue Klagen eingereicht, ein Plus von 5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im gleichen Zeitraum schlossen die drei Kammern des Landgerichts Düsseldorf 384 Patentstreitigkeiten durch Urteil oder anderweitig ab.

Das LG München zählte im vergangenen Jahr 262 neue Klagen. Das ist ein Anstieg um 29,7 Prozent. Damit stiegen die Fallzahlen in München im dritten Jahr in Folge. Als Reaktion darauf richtete das dortige LG Mitte 2021 die 44. Zivilkammer ein, die zur Hälfte mit Patentstreitigkeiten ausgelastet ist. Damit hat die bayerische Landeshauptstadt – wie bisher nur Düsseldorf – eine dritte Kammer für Patentstreitigkeiten.

Münchner Aufholjagd

Im gleichen Zeitraum beendeten die Münchner Patentkammern insgesamt 49 Verfahren durch Urteil. Weitere 210 Fälle wurden auf andere Weise gelöst, etwa durch Schlichtung, Vergleich oder Rücknahme. 2021 kam es beispielsweise zu zahlreichen Klagerücknahmen aufgrund von Vergleichen in Connected-Cars-Klagen zwischen Mitgliedern des Patentpools Avanci- und Daimler – Verfahren, bei denen um Patente für Mobilfunkstandards gestritten wird, die die Grundlage für eine Internetverbindung zwischen Fahrzeugen und anderen Geräten bilden.  

Die Steigerung der Fallzahlen bedeutet ein weiteres Rekordjahr für die Münchner. Allerdings ist im direkten Vergleich mit den anderen deutschen Gerichten Vorsicht geboten, denn das LG verhandelt auch Vindikationsklagen zu Europäischen Patenten, also den Streit um Eigentumsverhältnisse an einem Patent, sowie berufsrechtliche Auseinandersetzungen gegen Patentanwälte, was sich in den Fallzahlen niederschlägt.

Spitzenreiter bei Anti-Suit Injunctions

Zudem weist das Gericht weitere Besonderheiten auf. So steht das Patentgericht bei sogenannten Anti-Suit Injunctions (ASI) im Fokus. Obwohl der Hype um diese grenzüberschreitend gültigen einstweiligen Verfügungen zuletzt abflaute, bleiben die Münchner hier sehr aktiv. Mit ASI versuchen Parteien, ihren Gegnern zu untersagen, in anderen Ländern gegen sie zu klagen. Besonders häufig erließen zuletzt chinesische Gerichte ASI, München antwortet regelmäßig mit AASI (Anti-Anti-Suit Injunctions). Kein anderes deutsche Gericht wird hierzu so oft wie München angerufen.

Zudem stand das LG dank zahlreicher wegweisender Patentfälle wieder im Rampenlicht. Es hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen für Streitigkeiten mit standardrelevanten Patenten (SEP) gemacht. So verhängte die 7. Zivilkammer im Frühsommer 2022 ein viel beachtetes Verkaufsverbot gegen Ford. Der Autohersteller akzeptierte nur wenige Tage später eine Avanci-Lizenz.

Obwohl es das erklärte Ziel des LG München ist, zur ersten Adresse für SEP-Streitigkeiten zu werden, stehen ihm Düsseldorf und Mannheim in wichtigen SEP-Verfahren nicht nach. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die meisten SEP-Inhaber aus mehreren Patenten an verschiedenen deutschen Gerichtsstandorten gleichzeitig klagen. So verklagte Ericsson beispielsweise Apple im weltweiten Streit um mehrere Patente in Düsseldorf, Mannheim und München.

Dürfen Gerichte offensiv um Klagende werben?

In den vergangenen Jahren traten die drei wichtigen Gerichtsstandorte für Patentverfahren immer mehr in den Wettbewerb. Die intensiven Bestrebungen Münchens etwa, sich an vorderster Front für SEP-Verfahren zu positionieren, beobachtet die Anwaltschaft im In- und Ausland mit gemischten Gefühlen. Einerseits loben viele die durch das 2009 eingeführte sogenannte Münchner Verfahren gewonnene Effizienz und verkürzte Dauer der Verfahren, die die Patentkammern durch einen frühen Termin für inhaltliche Fragen erreicht haben. Auch sei das LG für eine schnelle einstweilige Verfügung die erste Wahl.

Andererseits sehen die meisten Anwältinnen und Anwälte, die JUVE auf das Thema ansprach, den recht offen ausgetragenen Wettbewerb zwischen den deutschen Patentstandorten skeptisch. „Wie soll etwa eine klare Ausrichtung als patentinhaberfreundliches Gericht vereinbar sein mit der Rechtspflege?“, fragt ein Düsseldorfer Rechtsanwalt. Ähnlich empört zeigt sich ein französischer Patentrechtler über das nach seiner Ansicht offensive Werben des LG München um Klagende. Dies stehe im Widerspruch zu einer unabhängigen Justiz, meint er.

Bringt das UPC mehr Harmonie?

Trotz der geäußerten Bedenken lässt sich eine aktive klägerfreundliche Rechtsprechung, um möglichst viele Fälle anzuziehen, nicht erkennen. Vielmehr zeichneten sich die Gerichte durch zum Teil sehr unterschiedliche Rechtspositionen aus. Bei der nun vom EuGH entschiedenen Frage etwa, wann eine einstweilige Verfügung erlassen werden kann, hätten die Rechtspositionen vor allem zwischen Düsseldorf und München kaum unterschiedlicher sein können.

Einige Anwälte hoffen auf einen harmonisierenden Effekt des Einheitlichen Patentgerichts (UPC). Denn zusammen mit dem europäischen Einheitspatent soll das UPC den Flickenteppich einzelstaatlicher Regelungen ersetzen und denselben Patentschutz im Binnenmarkt gewährleisten. Die Anwältin einer internationalen Großkanzlei sagt: „Der Wettbewerb könnte im UPC kontraproduktiv werden. Aber aktuell stärkt er den Patentstandort Deutschland. So können wir Anwälte auf der Klaviatur der verschiedenen Gerichte spielen, je nach Technologie.“

Andere argumentieren, der Wettbewerb unter den Gerichten beflügele den Fortschritt. Insbesondere der Erfolg des Münchner Verfahrens hat auch an den anderen Gerichten dafür gesorgt, dass die Verfahren effizienter wurden. So stellten etwa die Düsseldorfer Patentkammern im vergangenen Jahr ihre bisherige Praxis auf den Prüfstand und kündigte an, die Verfahrensführung der drei erstinstanzlichen Kammern zu vereinheitlichen.

Zwar gibt es auch in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt schon seit Jahren eine frühe erste Verhandlung bei Patentstreitigkeiten. Darin ging es jedoch anders als in München weniger um fachliche Themen zum vorliegenden Fall, sondern eher um administrative Fragen. „Auf den frühen ersten Termin können wir aus ökonomischen und ökologischen Gründen verzichten“, sagte Daniel Voß, Vorsitzender Richter der Zivilkammer 4b, im Interview mit JUVE. Voß hebt etwas anderes hervor: „Wir wollen eine einheitliche Verfahrensführung aller drei Patentkammern.“ Davon verspricht er sich eine höhere Effizienz und beschleunigte Verfahren. Und das Gericht reagierte damit auf Wünsche aus der Anwaltschaft. Einen frühen Termin für inhaltliche Fragen, wie ihn das Münchner Verfahren vorsieht, erachten die Düsseldorfer Richter aufgrund der Spezialisierung der Anwaltschaft nicht für erforderlich.

Neben Deutschland steigen die Fallzahlen nur in Frankreich

Mit dem neuen standardisierten Verfahren verfolgt das LG Düsseldorf die gleichen Ziele wie das in München. „Die Entscheidung ist aber nicht als Antwort auf das Münchner Verfahren zu verstehen. Es geht uns nicht um Wettbewerb. Wir wollen auf einem hohen juristischen und technischen Niveau entscheiden“, sagt Voß’ Düsseldorfer Kollegin, die Vorsitzende der Kammer 4a, Bérénice Thom, gegenüber JUVE.

Nach wie vor schätzen die meisten Unternehmen und ihre Rechtsvertreter deutsche Gerichte für die Qualität der Urteile und die insgesamt kurzen Verfahren. Die Maßnahmen der deutschen Top-Gerichte scheinen somit gegriffen zu haben.

Und das Beispiel macht Schule. So gelang es etwa dem erstinstanzlichen Pariser Tribunal Judiciaire, mit gezielten Maßnahmen die Verfahrensdauern zu verkürzen. In der Folge stiegen die Fallzahlen um 20 Prozent und auch die Zahl der beendeten Verfahren nahm zu. Damit ist Frankreich neben Deutschland der einzige unter den großen Patentstandorten in Europa, der sich über mehr neue Patentstreitigkeiten freuen kann.

Der Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe des JUVE Rechtsmarkt 09/2022.

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