Das Ergebnis war eine bis dahin nicht dagewesene Diskussion in der Branche um eine an sich nicht öffentliche Geschäftspolitik. Nicht zuletzt dieser Umstand dürfte die Verhandlungen erschwert haben. Noch in der ersten Abstimmung unter Bruckhaus-Partnern im April diesen Jahres hatte man nur ein nicht als ausreichend betrachtetes Ergebnis von etwa 60% Zustimmung zur Fusion erhalten. Teile der englischen Presse sprachen schon von den „kalten Füßen“, die Bruckhaus bekommen habe, und spekulierten über den enormen Druck, der auf Freshfields laste und die Kanzlei zwinge, mindestens bis August ein Ergebnis vorzulegen.
Die Sozietät von morgen
Nun liegt dieses Ergebnis deutlich früher vor, und mit ihm wurde eine der größten Kanzleien der Welt aus der Taufe gehoben. Freshfields Bruckhaus Deringer, wie die neue Sozietät weltweit heißen wird, ist mit 30 Büros in 19 Ländern vertreten und beschäftigt mehr als 1850 Juristen, darunter 441 Partner. Antony Salz (Freshfields, London) und Dr. Christian Wilde (Bruckhaus, Hamburg) werden der neuen Sozietät gemeinsam als Seniorpartner vorstehen. Dr. Konstantin Mettenheimer (Bruckhaus, Frankfurt) und Dr. Ludwig Leyendecker (Deringer, Köln) übernehmen gemeinsam die Aufgabe von Managing-Partnern für Deutschland. Alan Peck (London) bleibt Chief Executive Officer.
Zudem werden für die Phase des Zusammenwachsens der Sozietät neben einem European Integration Committee weitere Plattformen eingerichtet, die im Hinblick auf Marketing, Personal, Finanzen und IT/ Technik Einheitlichkeit herstellen sollen. Die Struktur, die paritätische Führung der Sozietät und nicht zuletzt ein weltweit einheitlicher Name sind Ausdruck eines Merger of Equals, wie auch Mettenheimer betont: „Englische Verfahrensweisen werden nicht einfach deutschen Gegebenheiten übergestülpt. Wir sind gleichwertige Partner mit gleichen Rechten und Pflichten.“ Die gegenüber London annähernd gleiche Partnerzahl in Deutschland relativiert das zahlenmäßige Übergewicht der Briten in der Tat erheblich. Nicht von ungefähr erzählt man sich die Anekdote, dass im Londoner Freshfields-Büro eine Audio-Datei zirkuliert, die unter dem Titel „our new corporate identity“ die deutsche Nationalhymne abspielt.
Auf dem Weg zum Ziel
Damit eine wirkliche Fusion zustande kam und alle Zweifel an einer Übernahme auch öffentlichkeitswirksam ausgeräumt werden konnten, musste ein langer Weg zurückgelegt werden. „Schon im November 1998 hat sich Bruckhaus für eine Strategie der Internationalisierung entschieden“, berichtet Dr. Burkhard Bastuck (Frankfurt). Die Fusion mit der österreichischen Kanzlei Heller Löber Bahn zu Beginn des Jahres 1998 – die erste grenzüberschreitende einer deutschen Kanzlei überhaupt – sei einvernehmlicherweise nur der erste Schritt gewesen, der anschließend zu einer britischen oder US-amerikanischen Kanzlei führen sollte. „Wir haben zu diesem Zeitpunkt klar erkennen müssen, dass die Geschäftswelt vor nationalen Grenzen keinen Halt macht. Auch das alte Leitbild der Korrespondenzanwälte war aufgrund der Aktivitäten von Banken und WP-Gesellschaften nicht länger überzeugend. Internationale Mandanten wollen die Beratungsleistung aus einer Hand“, so Mettenheimer.
Von Januar 1999 an nahm Bruckhaus erste vorsichtige Gespräche mit britischen und amerikanischen Sozietäten auf. Zu diesen gehörten, wie hinlänglich bekannt ist, Shearman & Sterling, Clifford Chance und Herbert Smith – auch wenn mit keinem von den dreien die Kennlern-Phase ernsthaft überschritten wurde. Leitfrage sei immer die Kompatibiltät gewesen, die sich in Bezug auf Struktur und Kultur, Finanzen sowie Strategie der Gesprächspartner hätte herstellen lassen müssen. „Wir waren bereit, solange allein zu bleiben, bis wir den richtigen Partner gefunden haben – auch wenn es fünf Jahre gedauert hätte und wir die Situation dann hätten neu entscheiden müssen“, betont Bastuck.
Dass Freshfields ein weiterer möglicher Gesprächspartner sein könnte, daran wagte zu diesem Zeitpunkt niemand zu denken, geben die Bruckhaus-Partner zu. Denn, so Mettenheimer: „Auf den ersten Blick schien Freshfields ein sehr unwahrscheinlicher Partner zu sein, da sie in Deutschland mit Deringer bereits präsent waren. Diese Möglichkeit lag für uns ganz und gar nicht auf der Hand.“
Die Briten steuerten von einer Allianz mit Deringer Tessin Hermann & Sedemund geradewegs auf eine Vollfusion zu, die dann am 3.9.99 unter Dach und Fach gebracht wurde. Beide Kanzleien wussten zu diesem Zeitpunkt allerdings auch, dass die schiere Zahl der Deringer-Partnerschaft nicht ausreichen würde, um eine dominante Rolle in Deutschland und Kontinentaleuropa zu spielen. „ Unsere deutschen Büros konnten die Menge an Arbeit, die durch die Gesamtsozietät anfiel, nicht bewältigen, und gute Leute, die man von außen hätte herein holen können, sind selten zu finden“, erklärt Alan Peck und ergänzt: „In Deutschland gibt es eine Menge zu tun für hochqualifizierte Anwälte. Und diese Menge wächst auch noch exponenziell.“
Sein Kölner Partner Leyendecker ist der gleichen Ansicht: „Die erfolgreiche Fusion mit Freshfields stellte eine hervorragende Ausgangslage dar, aber es war von Anfang an klar, dass wir Verstärkung brauchen. Etwa 300 Anwälte waren das Ziel. Um diese Zahl zu erreichen, gab es außer den schwierigen Varianten des Wachsens aus eigener Kraft und Laterals nur die Möglichkeit einer weiteren Fusion.“ Unter den Kanzleien, die dafür in Frage kamen, habe die Bruckhaus-Lösung die bei weitem größte Anziehungskraft besessen. „Wir waren der Katalysator des gesamten Prozesses“, stellt Leyendecker klar und tritt damit den im Markt immer wieder geäußerten Mutmaßungen entgegen, Freshfields habe über die Köpfe der deutschen Partner hinweg verhandelt.
In der Tat kam, wie berichtet wird, der Anstoß zur Fusion aus Brüssel, wo Kartellrechtler beider Kanzleien erkannten: „Zusammen sind wir unschlagbar“ – und diese Idee in ihre Partnerschaften trugen. So nahmen von Anfang an Deringer-Partner (namentlich Dr. Frank Montag, Dr. Wolfgang Feuring, Dr. Jürgen Sieger und Leyendecker sowie teilweise Steuerexperte Dr. Stephan Eilers) an den Gesprächen teil. Schon im September 1999, also noch im Monat der Bekanntgabe einer endgültigen Fusion von Freshfields mit Deringer, fand ein erstes Gespräch zum Austausch von Basis-Informationen zwischen Bruckhaus und den Briten statt.
Outline-Terms
Von November 1999 bis Januar 2000 währte danach die erste ernsthafte Verhandlungsphase, die in die Verabschiedung eines „Outline-Paper“ mündete, das weniger als einen Vertrag, aber mehr als nur eine Absichtserklärung darstellte und seinerzeit der JUVE-Redaktion zugespielt worden war. Anfang März wurden schließlich alle Bruckhaus-Partner umfassend informiert, mit dem Ziel, bis zum 30.4. eine Entscheidung herbeizuführen. Die Abstimmung der Partner am 14.4. erreichte jedoch nur knapp über 60%. „Der Zeitplan war zu straff“, urteilt Bastuck rückblickend. Zu viele Entscheidungen seien zu treffen gewesen, die immerhin die gesamte berufliche Zukunft der Partner betrafen. Außerdem: „Wenn 140 Juristen zusammensitzen, um einen Vertrag zu besprechen, hat natürlich fast jeder eine Anmerkung“, so Dr. Wolfgang Hauser (Bruckhaus, Frankfurt), der neben Dr. Günther Horvath (Wien), Dr. Harald Voss (Frankfurt), Dr. Ralph Wollburg (Düsseldorf) und Wilde zeitweise der Verhandlungsdelegation angehörte.
Modifizierungen
Dass die erste Abstimmung scheiterte, will keiner der Anwälte als Zeichen ungenügender Vorbereitung oder mangelnder innerer Überzeugung der Partnerschaft werten. „Sicherlich“, räumt Mettenheimer ein, „es gab emotionale und rationale Zweifel, ob die Lösung die richtige ist.“ Da man im April eine Entscheidung habe herbeiführen wollen, musste ein zunächst unbefriedigendes Ergebnis in Kauf genommen werden. „Die andere Möglichkeit ist immer, jeden Entwurf bis zur Perfektion auszuarbeiten und damit eine beträchtliche zeitliche Verzögerung einzukalkulieren“, beschreibt Mettenheimer die Zwickmühle.
Dass schlussendlich die Skeptiker in der Partnerschaft überzeugt werden konnten und die zweite Abstimmung am 16. Juni einstimmig erfolgte, wird als der eigentliche Erfolg betrachtet. Gerade an den für gewöhnlich neuralgischen Punkten von Fusionen war man sich sehr schnell einig geworden. Im Hinblick auf Umsätze und Vergütung fanden sich, wie es heißt, grosso modo sehr ähnliche Strukturen und auch in dem Entschluss, ein reines und einheitliches Lockstep-System zu fahren, erzielte man Übereinstimmung. Leyendecker: „Darauf, diese schwierige Aufgabe gemeistert zu haben, sind wir besonders stolz. Fakt ist, wir haben ein konsolidiertes Lock-Step-System fertiggestellt, das alle Partner umfasst.“
Modifizierungen erfuhr der Sozietätsvertrag nach der gescheiterten Abstimmung dagegen vor allem hinsichtlich „weicher“ Faktoren. Wie wichtig diese Faktoren waren und wie sehr Freshfields ihre Position nach der unbefriedigenden ersten Abstimmung bei Bruckhaus verändern musste, wird durch einen Blick auf das Outline-Terms-Papier deutlich. Darin ist festgehalten, dass der Hauptsitz der Kanzlei London und die Kanzleisprache Englisch sein soll. Wilde wird dort lediglich als „Co-Seniorpartner und Seniorpartner Deutschland“ genannt.
Das Dokument enthält ferner Vorschläge für den Kanzleinamen. Freshfields Wunsch lautet: „In Österreich, Belgien, Tschechien, Deutschland, Ungarn, Slowakei und in anderen osteuropäischen Ländern soll Freshfields Condor Deringer der Kanzleiname werden“, wohingegen Condor/Bruckhaus auf diesem Namen für das gesamte Kontinentaleuropa besteht. Für die Skeptiker unter den Bruckhaus-Partnern ist das noch nicht genug, weshalb das Verhandlungsteam mit weiteren Vorschlägen nach London reist. Wilde erhält schließlich denselben Status wie Salz, Freshfields Bruckhaus Deringer wird zum weltweiten Kanzleinamen, und jeglicher Verweis auf London als festgelegten Hauptsitz der Sozietät wird gestrichen, obwohl die City de facto zur administrativen Zentrale werden dürfte.
Der Schlüssel, um die zögernden Partner zu überzeugen, lag – wie es ein Frankfurter Partner von Bruckhaus ausdrückt – in einer regelrechten „Charme-Offensive von Peck und Salz“, die sich die Zeit nahmen, Missverständnisse über die Kanzleikultur von Freshfields zu zerstreuen. Peck selbst gibt zu, dass auf der Freshfields-Seite ein „Mangel an Erklärungen“ bestand. „Unsere Kanzlei lebt von einer starken Tradition der Partnerautonomie und eines Unternehmergeistes, und es wurde nicht ausreichend deutlich gemacht, dass wir diese Merkmale auch in Zukunft für extrem wichtig halten.“ Einer der Bruckhaus-Steuerpartner spricht z.B. von seiner Erleichterung nach dem Treffen mit einem Londoner Kollegen, der auf die Frage, wie das Management denn so funktioniere, ausrief: „I refuse to be managed!“
Zu den Bruckhaus-Partnern mit besonderen Sorgen gehörten insbesondere jene aus den vorrangig nationalen Praxen, also dem Arbeitsrecht und öffentlichen Recht. Einige äußerten im März große Bedenken gegenüber der Aussicht, unter die Räder des gewaltigen Freshfields-Corporate-Apparats zu geraten. „Als wir deutlich machten, dass die arbeitsrechtliche Praxis in London aus sehr vielen eigenständigen Mandaten besteht – und dies nicht anders denkbar wäre, da kein guter Arbeitsrechtler lediglich als Zuarbeiter einer M&A-Kanzlei zu halten wäre –, haben wir ihnen aus der Seele gesprochen“, erinnert sich Peck. Die Verwaltungsrechtler stellten ein Problem anderer Art dar. „Es gibt in Common-Law-Ländern keine Anwälte, die man mit ihnen vergleichen könnte“, erklärt Peck. „Unsere Umweltrechtler sind anders organisiert. Doch als sie den deutschen Kollegen auseinandersetzten, wie ihre Praxis aufgebaut ist, schienen sich deren Zweifel zu zerstreuen.“
Für Freshfields war die gesellschaftsrechtliche Praxis in Düsseldorf eines der letzten Hindernisse. Aus der Sicht einiger Anwälte dort war sie während des Verhandlungsprozesses etwas vernachlässigt worden „Durch deren laufende Arbeit kam es zu einem Zusammenbruch der Kommunikation“, vermutet ein Freshfields-Partner. Peck hebt im Besonderen Dr. Axel Epe als einen der vermittelnden Anwälte hervor. Ihm sei es gelungen, die unterschiedlichen Meinungen zusammenzubringen. „Die Düsseldorfer Anwälte hatten im Rückblick die gleichen Sorgen wie alle anderen auch, und Axel hat hervorragende Arbeit geleistet.“
Die Konzentration der Verhandlung auf die weichen Faktoren darf jedoch nicht über die substanzielle finanzielle Verpflichtung hinwegtäuschen, die London zuletzt gegenüber Bruckhaus einging. „Soweit ich weiß, kamen die Bruckhaus-Anwälte eher mit Fragen als Forderungen, von denen die meisten leicht zu klären waren“, erzählt ein Freshfields-Partner und fügt hinzu: „Aber es gab auf der Freshfields-Seite auch eine konkrete Vereinbarung, den Business-Plan nicht zu ehrgeizig zu gestalten. Wir waren uns einig, dass von Bruckhaus nicht erwartet werden kann, derart schnell denselben Umsatz pro Partner wie Freshfields in London zu erzielen. Wir mussten erkennen, dass es in Deutschland einfach anders läuft.“
Das Resultat ist eine Vereinbarung, mit der, wie ein an den Verhandlungen beteiliger Partner betont, „beide Seiten vollkommen zufrieden sind.“ „Freshfields ist sehr froh darüber, dass es eine wirkliche Fusion wurde. Dadurch wird die europäische Natur der Kanzlei stärker betont.“ Ein Bruckhaus-Partner geht sogar so weit zu behaupten: „Bruckhaus hat dort den Anstoß zu einem neuen Selbstverständnis gegeben. Sie wissen jetzt, dass sie keine Londoner City-Kanzlei mehr sind.“