Lejb Fogelman im Gespräch

„Die Regierung greift die Grundlagen der Demokratie an“

Autor/en
  • Raphael Arnold

Lejb Fogelman ist in Polen einer der bekanntesten Transaktionsanwälte. In Roman Polanskis Film ‚Der Pianist‘ spielte er dagegen eine Nebenrolle – als Bettler. Der 73-Jährige ist seit über 30 Jahren im Geschäft und fordert seine Zunft auf, nicht außer Acht zu lassen, welche gesellschaftlichen Folgen ihre Beratung haben kann.

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JUVE: Anfang der 1990er-Jahre kehrten Sie als erfahrener Anwalt aus den USA nach Europa zurück. Wie kam es dazu?

Lejb Fogelman: Meine damalige Kanzlei schickte mich nach Brüssel, um ein Büro zu eröffnen. Sie erwartete sich dort, an der Schaltzentrale der Europäischen Union, gutes Geschäft. Schließlich war gerade der Eiserne Vorhang gefallen und die Märkte in Zentral- und Osteuropa öffneten sich. Aber für einen Transak­tionsanwalt wie mich war Brüssel eine Sackgasse. Da war wenig zu tun, denn die Deals fanden nicht dort statt.

Lejb Fogelman

Dabei war die Grundannahme richtig. Die zentral- und osteuropäischen Länder standen vor einer epochalen Transformation: Von einer Planwirtschaft im real existierenden Sozialismus zu einer Marktwirtschaft. Das waren äußerst komplexe Veränderungen. Deshalb beschloss ich nach Polen zu gehen. 

Warum nach Polen?

Ich bin dort 1949 im letzten jüdischen Schtetl geboren. Aber nach 1968 beschloss das kommunistische Regime, ­alle polnischen Juden auszuweisen. In der Folge musste ich das Land verlassen und kam letztlich als politischer Flüchtling in die USA. Zufällig zwei Wochen nach dem legendären Festival in Woodstock. 

In den folgenden zwölf Jahren setzte ich mein Studium fort. Unter anderem absolvierte ich ein Studium in Politischer Philosophie an der Columbia University sowie in Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Harvard.

Dieser breite akademische Hintergrund, mein Wissen über Polen und das exzellente Netzwerk von Kontakten meiner Freunde von früher, die nun Schlüsselrollen beim wirtschaftlichen Umbau des Landes spielten, bildeten eine starke Basis. Von der aus wurde ich einer der wichtigen Berater im Zuge der systemverändernden Reformen, die in Polen nach 1989 begannen. 

Haben Sie dafür Beispiele?

In den 1990ern bis in die 2000er-Jahre hatten die Privatisierungen ihre Hochzeit. Aber gerade am Anfang war alles neu. Da mussten wir erst mal Wege entwickeln, wie westliche Unternehmen in Osteuropa auftreten können. Muster, die in ihrer Funktionsweise dem entsprachen, was die Betriebe kannten, und die in den Ländern zulässig waren.

Auf dem Energiemarkt entwickelten wir zum Beispiel ein Netz an Verträgen, das später Grundlage der Energieregulierung wurde. Das waren unglaubliche Abenteuer.

Wie sah Ihr erstes Büro in Warschau aus im Jahr 1990?

Das war am Anfang nur ein großer Raum mit Bücherregalen und einem wackeligen Schreibtisch aus Holz. Dazu gehörte ein Vorzimmer, aber Telefonanschluss gab es keinen. Die beiden Sekretärinnen – eine von ihnen arbeitet noch immer für uns – saßen ganz am Anfang auf Schachteln. Aber ich hatte ein paar Mandanten und dann auch schnell zwei weibliche Associates.

Zu Beginn arbeitete ich tatsächlich nur mit Frauen. Die waren lernbereit und hatten keine Vorbehalte, wer ihnen etwas beibrachte. Denn den ergebnisorientierten Ansatz der Rechtsberatung in angelsächsischen Ländern musste ich ihnen erst vermitteln. Es dauert Jahre, bis es verinnerlicht ist: Gib mir eine Lösung oder versuche zumindest, eine zu finden.

Männer stellte ich erst ein, als in der Kanzlei Frauen eine Rolle als Vorbilder übernehmen konnten.

Heute ist Polen EU-Mitglied, die Regierung liegt aber im Clinch mit Brüssel um die Unabhängigkeit der Justiz…

Die EU-Mitgliedschaft war wichtig, weil sie die Grenzen öffnete. Damit legitimierte sie auch den Rechtsstaat. Aus meiner Sicht ist es ein großer Fehler, wenn die Kommission jetzt akzeptiert, wie Ungarn, Polen und andere Länder an diesem Grundpfeiler rütteln.

Mittelschicht mangelt

Polen braucht feste Regeln, um weiter als freiheitliche, bürgerliche Gesellschaft zu bestehen. Denn das Land hat traditionell keine Mittelschicht, in der diese Werte verankert wären. Diesen Mangel nutzt die PiS-Regierung nun, um das Land zu spalten.

Das ist aber nur ein Teil des Problems. Die Regierung in Warschau greift die Grundlagen der Demokratie seit Jahren auf eine zweite Weise an: Sie baut den staatlichen Einfluss auf viele Unternehmen aus, es entstehen Monopole unter Kontrolle der Regierung. Auch so unterminiert sie die Freiheit in unserer Gesellschaft. Und sie zerstört, woran ich jahrelang mitgebaut habe.

Viele westliche Kanzleien zogen sich in den vergangenen Jahren aus Polen zurück. Wie nehmen Sie diesen Wandel wahr?

Das ist richtig. K+L Gates und Weil Gotshal & Manges sind beide weg. Andere internationale Kanzleien verkleinerten ihre Standorte personell erheblich, das mögen erste Schritte zum kompletten Rückzug sein. Die Anwälte aus diesen Einheiten haben teilweise neue Kanzleien gegründet und helfen der Regierung, ihren Einfluss auf die Wirtschaft auszubauen.

Das ist aber intellektuell kein redlicher Standpunkt. Anwälte sollten darüber nachdenken, welche Konsequenzen ihre Beratung für eine Gesellschaft hat.

Warum bleibt Greenberg Traurig?

Unsere Beratung mäandert etwas über die Jahre. Wir haben ein starkes Standbein im Bereich Unternehmenstransaktionen mit Private-Equity-Deals und öffentlichen Übernahmen. Anfang der 2010er Jahre entwickelte sich dann der Immobilienmarkt sehr stark, entsprechend zog die Nachfrage nach Rechtsberatung an. Wir holten von verschiedenen internationalen Kanzleien Anwältinnen und Anwälte an Bord und gehören nun mit 30 Juristen zu den größten Teams am Markt.

Kernkraft statt Kohle

Ein wichtiges Zukunftsthema für uns ist die Energiewirtschaft. Wir haben gerade ein Team von Wolf Theiss an Bord genommen, das darauf spezialisiert ist. Da geht es um den Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Infrastruktur. Aber das wird nicht genügen, um die Kohle als Energieträger zu ersetzen.

Deshalb sind an zwei Standorten Kernkraftwerke in Planung. Wir sehen uns als Berater mit einem starken US-Geschäft gut aufgestellt, daran mitzuwirken. Die Kontakte zu den Technologielieferanten aus den USA haben wir.

Sobald das möglich ist, werden wir auch am Wiederaufbau der Ukraine teilhaben.

Ihre Kanzlei hat bereits im März 2022 zwei Millionen US-Dollar für humanitäre Hilfe bereitgestellt…

Geld ist gar nichts, wenn Menschen drei Stunden von Ihnen entfernt verbrennen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben über 40 Familien bei sich zu Hause aufgenommen. Die Kanzlei beschäftigt Juristinnen und Juristen aus der Ukraine, und wir leisten pro bono Rechtsberatung. Das sind aber alles nur kleine Gesten.

Das Gespräch führte Raphael Arnold.

Grenzen übersprungen

Lejb Fogelman hat als Anwalt und in seiner Ausbildung ganz unterschiedliche Welten kennengelernt. Geboren 1949 in Polen und mit Lech und Jaroslaw Kaczyński zur Schule gegangen nahm er in den späten 1960er Jahren in Warschau ein Jus-Studium auf. Später setzte er seine Ausbildung in Paris und New York fort und ging 1977/78 mit einem Fulbright-Stipendium an die Universität Moskau. Nach dem Abschluss seiner Promotion an der Harvard Law School im Jahr 1981 arbeitete Fogelman als Transaktionsanwalt bei verschiedenen US-Kanzleien. 1990 kehrte er nach Polen zurück und ist seit 2012 Senior-Partner am Greenberg Traurig-Standort in Warschau.

Außenposten in Warschau

Greenberg Traurig unterhält weltweit 44 Standorte, in Zentral- und Osteuropa ist die Kanzlei lediglich in Polen präsent. Die Einheit gehört im Nachbarland zu den hoch renommierten Einheiten. In Transaktionen ist sie immer wieder im Bank-, Finanz-, und Versicherungssektor im Einsatz. Im Sommer 2022 beriet ein Warschauer Team etwa den Versicherer Allianz, als dieser die Mehrheit an seinem Russlandgeschäft verkaufte. Das Immobilienrechts-Team war im Februar für das Family Office AT Capital aus Singapur beim Kauf einer Liegenschaft in Warschau tätig, auf der ein 140 Meter hohes, gemischt genutztes Gebäude entstehen soll.

In der polnischen Hauptstadt arbeiten rund 110 Anwältinnen und Anwälte für die Kanzlei. Insgesamt zählt sie dort 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zum Jänner 2023 ernannte Greenberg Traurig in Warschau den Immoblienrechtler Maciej Jodkowski zum Gesellschafter; Olga Durawa, Agnieszka Stopińska, Adam Narloch und Mateusz Koronkiewicz wurden Salary-Partner. Im Zug des Ukrainekriegs nahm die Kanzlei an den Standorten Amsterdam, Berlin und London ein halbes Dutzend Juristinnen und Juristen auf, die ihr Heimatland verließen.

Weltweit beschäftigt Greenberg Traurig rund 2.650 Anwältinnen und Anwälte. Den Umsatz im Geschäftsjahr 2022 bezifferte die Kanzlei auf rund 2,17 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 2,05 Milliarden Euro), ein Plus von 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

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