JUVE: Was motiviert Sie, bei Sorainen den Einsatz von technologischen Lösungen in der Rechtsberatung voranzutreiben?
Aku Sorainen: In unserer Kanzlei gehört das Aufbauen von neuen Strukturen zur Kultur – egal ob es um Standorte, Systeme oder Prozesse geht. Wir haben 1997 angefangen, mit Hilfe eines IT-affinen Partners ein Praxismanagementsystem zu entwickeln, das unsere zwei damaligen Jurisdiktionen umspannte. Damit hatten wir schon mal ein System für alle und zunehmend vereinheitlichte Arbeitsprozesse.
Damals war Ihre Kanzlei gerade mal zwei Jahre alt …
Richtig. Ich hatte mich in meiner Masterarbeit in Finnland mit dem Wirtschaftsrecht in den gerade wieder entstandenen drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen auseinandergesetzt. Das Interesse von Unternehmen in Finnland daran war riesig, sodass sie meine Arbeit eineinhalb Jahre lang förderten. 1993 zog ich nach Tallinn, um ein Büro für eine mittelgroße finnische Anwaltskanzlei zu eröffnen, und 1995 eröffnete ich mein eigenes Büro. Schon damals hatte ich den Traum, eine panbaltische Anwaltskanzlei aufzubauen.
Inzwischen sind Sie Senior-Partner und richten den Blick darauf, die Kanzlei weiterzuentwickeln. Was treibt Sie dabei an?
Neben den Aufbauvorhaben geht es mir sehr stark darum, Skaleneffekte zu nutzen, also effizient zu arbeiten. Ich schaue mir an, was andere in Westeuropa und den USA machen. Und dann machen wir all das anders, was wir verbessern können. Etliche große Kanzleien haben überkommene Systeme und Prozesse und eine lange gewachsene Kultur. Es wäre keine gute Idee, alle diese Dinge zu kopieren.
Ihre Kanzlei hat 44 Partner und beschäftigt 250 Juristen. Wie schaffen Sie es, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die technologischen Lösungen im Alltag annehmen?
Unsere Märkte sind sehr klein, deshalb sind auch die Mandate im Durchschnitt viel kleiner als in den großen westlichen Märkten. Jede Anwältin und jeder Anwalt arbeitet bei uns gleichzeitig an vielen Fällen, und jede Partnerin und jeder Partner muss einen großen Mandantenstamm mit Dutzenden Kunden überblicken. Deshalb versteht jeder den Sinn von effizienten Prozessen.
Darüber hinaus haben wir vor etwa 20 Jahren ein ISO-zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem entwickelt. Dies führte zu einer Vereinheitlichung aller unserer Prozesse. Und nur damit ist es möglich, Technologie zu finden, die für die ganze Firma nutzbringend ist.
Wir testen auch viele verschiedene Legal-Tech-Systeme. Dafür stellen wir in der IT und im Knowledge-Management mehr Kapazitäten ab. Für uns ist es wichtig, einen klaren Erfolg zu erkennen, bevor wir neue Systeme in der ganzen Kanzlei einführen. Häufig stellen wir fest, dass Pilotprojekte sich nicht als erfolgreich erweisen.
Tech-Lösungen erfordern gute, gepflegte Daten. Wie schaffen Sie es, dass Ihre Partner und Mitarbeiter dabei mitziehen?
Unsere einheitlichen Prozesse machten es möglich, dass wir während der letzten 25 Jahre ein einheitliches Praxismanagementsystem entwickeln konnten. Seit sechs Jahren nehmen wir viel Geld in die Hand, um daraus ein sehr modernes, cloudbasiertes System zu machen.
Außerdem erhalten unsere Mitarbeiter sehr viel Training in unseren drei wichtigsten Systemen: MS 365, dem Praxismanagementsystem und iManage. Und wir schauen uns genau an, welche Daten sie eingeben und nutzen. Dabei geht es nicht um das Messen um des Messens willen. Das Ziel ist es, Herangehensweisen und Arbeitsmethoden zu stärken und Know-how zu teilen. Das macht unsere Kanzlei erfolgreich.
Inzwischen entwickeln Sie das Praxismanagementsystem weiter. Was ist geplant?
Wir haben ein Tech-Spin-off gegründet, Crespect, und möchten unser Praxismanagementsystem ab August kommerziell auf den Markt bringen. Dazu müssen wir aktuell den Code komplett neu schreiben lassen. Wir suchen außerdem Kanzleien, die interessiert sind, mit uns auszutesten, ob unsere Prozesse die besten am Markt sind. Denn wir wollen ein universal einsetzbares Produkt anbieten.
In Ihrer Kanzlei verwenden Sie auf Partnerebene 40 verschiedene Performance-Indikatoren. Welche sind die wichtigsten?
Das lässt sich schwer sagen, weil es von der Partnerin oder dem Partner und ihren persönlichen Stärken und Schwächen abhängt. Es handelt sich also nicht um starre Vorgaben, sondern ein flexibles System mit individuellen Fokuspunkten.
Der erzielte Gewinn ist natürlich wichtig, aber er hat als Messgröße eher reinigenden Charakter: Niemand kann jedes Jahr mehr aus dem Unternehmen entnehmen, als er erwirtschaftet. Außerdem kann der Profit sehr stark schwanken. Auf ein exzellentes Jahr kann ein schwaches folgen – wir achten eher auf den langfristigen Beitrag der Partnerinnen und Partner zu unserer Kanzlei.
Diese langfristige Perspektive ist nicht leicht zu erfassen mit ein paar wenigen KPIs. Da geht es mehr um ein umfassendes Bild: Wie entwickelt die Partnerin wichtige Mandantenkontakte weiter? Wie führt sie unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Wie trägt der Partner zum Erfolg der Kanzlei bei, auch über die Grenzen des direkten Teams hinaus? Wie arbeitet sie mit den anderen zusammen? Wie institutionalisiert er Know-how in der Kanzlei? Man versteht nur, was man misst, und inzwischen ist unsere Kanzlei recht routiniert im Umgang mit Daten.
Wie wichtig ist der Umsatz einzelner Partner?
Es ist wichtig, dass ein Partner Umsatz erwirtschaftet. Ansonsten entwickelt er sich nicht zu einem Spezialisten und verliert seinen Zugriff auf das Beratungsgeschäft. Viel wichtiger ist jedoch der Gewinn, den das Team eines Partners erzielt.
Dem Nachhaltigkeitsbericht Ihrer Kanzlei ist zu entnehmen, dass Sie mehr als 7,5 Prozent des Umsatzes in IT, Fortbildung und Wissensmanagement investierte. Warum nehmen Sie dafür so viel Geld in die Hand?
Wir wollen an der Marktspitze bleiben. Das setzt voraus, dass wir die besten Leute, die beste Ausbildung und die besten Prozesse und Systeme haben und diese in der Praxis auch nutzen. Außerdem wollen wir alles skalieren, wenn es sinnvoll und möglich ist.
Auf Investitionen gepolt Sorainen gab 2021/22 mehr als 2 Millionen Euro für IT, Sicherheit und Wissensmanagement aus | |
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Umsatz (im Mio. Euro) | 33,7 |
Investments (in Mio. Euro) | 2,56 |
davon in | |
– IT und Sicherheit | 1,70 |
– Fortbildung | 0,50 |
– Wissensmanagement | 0,36 |
Anteil der Investitionen am Umsatz | 7,6 % |
Diese Investitionen verringern die Entnahmen, die für Partnerinnen und Partner möglich sind. Wie überzeugen Sie sie davon?
Unser Ziel ist es, sehr gute Gehälter zu bezahlen und unseren Partnern sehr gute Auszahlungen zu ermöglichen. Darüber hinaus wollen wir, dass die Kanzlei jederzeit über flüssige Mittel verfügt und investieren kann, wenn wir das für vielversprechend erachten. Ich bin oft überrascht, wie viele Kanzleien ihre Mittel jedes Jahr abfließen lassen. Das beschränkt ihre Möglichkeiten zu investieren.
Es ist auch wichtig, dass wir unseren Partnerinnen und Partnern zeigen können: Unsere Investitionen bringen nachhaltigen Erfolg und erlauben es uns, intelligenter, nicht härter zu arbeiten. Das ist auch für unsere jungen Anwältinnen und Anwälte wichtig. Solche technologischen Entwicklungen binden sie an die Kanzlei und verringern unsere Personalrotation.
Leda Iržikevičienė war bei Sorainen lange COO – ohne juristischen Hintergrund. Wie wichtig ist diese Rolle für die Strategie Ihrer Kanzlei?
Wir haben herausgefunden, dass ein hoch professioneller Manager, ein COO, extrem hilfreich ist. Leda half uns, uns noch besser zu organisieren, brachte unsere Business Services große Schritte voran, weil sie wusste, wie großartige Teams aussehen müssen. Wir Partner haben da als Anwälte oft wenig Ahnung. Eine tolle COO zu haben, half uns außerdem dabei, das Umsetzen unserer Strategie zu beschleunigen und die Zufriedenheit der Anwälte mit Business Services zu erhöhen. Allerdings hat sie uns verlassen, um für eine skandinavische Bankfiliale als CEO zu arbeiten. Sie hinterlässt große Fußstapfen.
Neben den drei baltischen Republiken hat Sorainen auch einen Standort in Belarus. Wie ist dort aktuell die Situation?
Wir sind mit 40 Mitarbeitern eine der größten Kanzleien vor Ort. Die Frage im März für uns war: Gehen oder bleiben? Wir haben uns für letzteres entschieden und konzentrieren uns darauf, den ausländischen und privaten Unternehmen dort zu helfen. Schließlich ist die Situation noch nicht die gleiche wie in Russland, und es liegt im Interesse der EU, Belarus dabei zu helfen, näher an Europa zu bleiben. Allerdings ist Belarus auch nicht teil der Europäischen Union, so dass wir den Zugang zu Daten dort einschränken müssen.
Die Inflation in Estland liegt derzeit bei rund 20 Prozent, in Lettland und Litauen sind die Zahlen ähnlich. Wie gehen Sie als Kanzlei damit um?
Es ist das erste Mal seit den 1990er-Jahren, dass die Länder solche Inflationsraten aufweisen. Damals bestand die Kanzlei schon, die Situation ist also nicht ganz neu: Die Inflation erhöht den Druck auf Löhne, Fees und Produktivität. Die zentrale Frage ist deshalb auch hier, wie wir möglichst effizient arbeiten können.
Das Gespräch führte Raphael Arnold.