Einleitung
Neben den wachsenden regulatorischen Anforderungen im Rahmen der „ESG“-Compliance stellt insbesondere die Zunahme sogenannter ESG bzw. Climate Litigation Verfahren eine der auffälligsten Entwicklungen dar. Diese umfassen eine heterogene Bandbreite zivilprozessualer Instrumente mittels derer private Akteure, Nichtregierungsorganisationen oder auch institutionelle Investoren versuchen, politisches ebenso wie unternehmerisches Verhalten im Hinblick auf klimapolitische Zielvorgaben justiziabel zu machen. Die Verfahren tangieren gleichermaßen haftungsrechtliche wie auch strategisch konzipierte Formen der gesellschaftsrechtlichen Einflussnahme (z. B. Shareholder Activism) – teilweise mit beachtlicher medialer und öffentlicher Wirkung und oft nachteiligen Folgen für die Reputation der Unternehmen.
Klassische Klima(-haftungs-)klagen am Beispiel „Lliuya gegen RWE“
Besondere Relevanz für die rechtswissenschaftliche Diskussion, aber auch die Unternehmenspraxis, entfaltet das Verfahren Lliuya gegen RWE, das exemplarisch für den Versuch der zivilrechtlichen Bewältigung transnationaler Klimafolgeschäden steht. Ein Landwirt und Bergführer aus Huaraz, Peru, nahm den deutschen Energieerzeuger und -versorger auf anteilige Beteiligung an Präventionsmaßnahmen für eine durch Gletscherschmelze bedingte Überschwemmungsgefahr seines Grundstücks in Anspruch. Unter Verweis auf den historischen Anteil der globalen CO2-Emissionen von RWE in Höhe von (vermeintlich) 0,38 % begehrte der Kläger die anteilige Kostenübernahme in ebendieser Höhe. Schon deshalb, weil die Richter des OLG Hamm zum Zwecke der Beweisaufnahme über die geologischen und klimatischen Bedingungen nach Peru reisten, beschäftigte der medienwirksame Prozess die deutsche Gerichtsbarkeit über zehn Jahre.
Mit Urteil vom 28. Mai 2025 hat das OLG Hamm die Berufung schließlich zurückgewiesen – dabei aber zumindest dem Grunde nach eine umfassende Haftung für klimaschädigendes Verhalten großer CO2-Emittenten anerkannt. So erfolgte die Zurückweisung nur, weil der Kläger die hinreichend große Wahrscheinlichkeit einer Überflutung in den kommenden 30 Jahren nicht nachzuweisen vermochte. Gleichwohl markiert die rechtliche Neubewertung der Haftung für ein transnational verursachtes, multikausales Wirkungsgefüge eine Zäsur in der bisherigen deliktsrechtlichen Dogmatik – wenngleich die Ausführungen des Gerichts im Zusammenhang mit der Störereigenschaft der Beklagten und der Kausalität insbesondere im Hinblick auf die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung in ähnlichen Verfahren durchaus Anlass zur Kritik geben, da die Zurechnung eines globalen Schadens zu einem Einzel-Emittenten die traditionellen Kausalitätsmaßstäbe überdehnt.
Klimaschutz im Völkerrecht
Von erheblicher systemischer Bedeutung ist ferner das jüngst veröffentlichte Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH), dem höchsten Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen, welches im Auftrag der UN-Generalversammlung erstellt wurde und die völkerrechtliche Verantwortung von Staaten im Umgang mit den Folgen des Klimawandels beleuchtet. In seinem Gutachten erkennt der IGH erstmals eine sich aus dem Völkerrecht ergebende Pflicht der Staaten an, klimaschädliche Emissionen effektiv zu regulieren und Beeinträchtigungen Dritter durch angemessene Maßnahmen zu verhindern. Der Schutz des Klimas und einer nachhaltigen Umwelt für jetzige wie für künftige Generationen sei ein fundamentales Menschenrecht. Unterlassen es Regierungen, hinreichende Maßnahmen zum Schutz dieses Menschenrechts zu treffen, könne dies als völkerrechtswidrig eingestuft werden – mit der Folge einer konkreten rechtlichen Verantwortlichkeit einzelner Staaten.
Zwar entfaltet das Gutachten keine unmittelbare Bindungswirkung für Privatakteure, jedoch steht zu erwarten, dass sich Gerichte wie Kläger künftig auf die im Gutachten vorgebrachten Leitlinien berufen und diese somit zumindest mittelbar zum Verfahrensgegenstand machen. Im nationalen Kontext könnte das Gutachten etwa zur Auslegung von Verkehrssicherungspflichten, Prognoseentscheidungen oder Legalitätsanforderungen herangezogen werden. Es bietet darüber hinaus eine argumentative Grundlage für die Einbeziehung globaler Klimaverpflichtungen in die nationalen Haftungssysteme. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang vor allem auch der Argumentationsgang des IGH in Bezug auf die Bejahung des kausalen Zusammenhangs zwischen Emission und dem langfristig nachgelagerten Klimaschaden; ähnelt dieser doch stark den Ausführungen im bereits erwähnten Urteil des OLG Hamm. Für die unternehmerische Praxis empfiehlt sich daher eine fortlaufende Beobachtung und Evaluation internationaler Rechtsentwicklungen und Rechtsprechung als Teil der strategischen Compliance.
Zunahme auch im Bereich der Greenwashing-Klagen
Ein von diesen „klassischen“ Klimaklagen losgelöstes, sich aber gleichsam rasant entwickelndes Feld sind die sogenannten Greenwashing-Klagen. Diese richten sich gegen (vermeintlich) irreführende Ökoversprechen in der unternehmerischen Außenkommunikation, insbesondere in der Werbung und im Consumer-Marketing. Auch Nachhaltigkeitsversprechen bei Finanzprodukten stehen dabei vermehrt im Fokus. Angestrengt werden die Klagen zunehmend von Verbraucherverbänden oder auch Wettbewerbern. Ein Beispiel ist das erfolgreiche Verfahren der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen einen großen Touristikkonzern, dem vorgeworfen wurde, Reisen als „klimaneutral“ beworben zu haben, ohne diese Behauptung durch substantielle CO2-Reduktionsstrategien oder transparente Kompensationsmechanismen zu . Damit steht die Entscheidung in einer Linie mit der vielbeachteten Entscheidung des BGH vom 27. Juni 2024 (Az.: I ZR 98/23). Dort hat der BGH die Werbung eines Süßwarenunternehmens mit dem Begriff „klimaneutral“ als irreführend untersagt. Entscheidend war, dass die Werbung offenließ, ob die beworbene Klimaneutralität durch echte CO2-Einsparungen im Herstellungsprozess oder nur durch den Zukauf von CO2-Zertifikaten erreicht wird. So seien an die zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen aufklärenden Hinweise strenge Anforderungen zu stellen. Diese Anforderungen würden bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff verwendet, regelmäßig nur dann erfüllt, wenn bereits in der Werbung selbst eindeutig und klar erläutert wird, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist.
Gegenstand der rechtlichen Bewertung sind hier insbesondere die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), namentlich §§ 5 ff. UWG sowie die sich entwickelnde sekundärrechtliche EU-Gesetzgebung. Die sog. EmpCo-Richtlinie („Empowering Consumers for the Green Transition“), in Kraft getreten am 26. März 2024 und anwendbar ab dem 27. September 2026, sowie die sich noch im Gesetzgebungsverfahren und derzeit „on hold“ befindliche Green Claims Directive (GCD) setzen klare Maßstäbe für die Zulässigkeit ökologischer Werbeaussagen. Danach sind allgemeine Umweltaussagen wie „klimaneutral“ nur noch dann zulässig, wenn sie auf Basis objektiver Nachweise über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg dokumentiert und durch unabhängige Zertifizierungssysteme abgesichert sind. Die Gerichte stellen zunehmend hohe Anforderungen an diese Substantiierungspflichten der werbenden Unternehmen, was nicht selten zu Unterlassungsverfügungen und Schadensersatzforderungen führt.
Im Lichte dieser Entwicklungen wird das Thema Greenwashing auch zum konkreten haftungsrechtlichen Risiko für Unternehmensleitungen. Der Übergang von freiwilliger „Corporate Social Responsibility“-Kommunikation zu rechtlich durchsetzbaren Green Claims verengt den Spielraum marketingmotivierter Aussagen und Kampagnen. Unternehmen sind daher gut beraten, Compliance-Systeme zur Kontrolle ökologischer Werbeaussagen zu etablieren und entsprechende Schulungen für ihre Marketing- und Communication-Teams vorzusehen.
Shareholder Activism und Aktionärsklimaklagen
Ein weiteres brisantes Segment im Rahmen der Climate und ESG Litigation stellt der Shareholder Activism dar. Dabei nutzen zivilgesellschaftlich orientierte Anleger, seien es NGOs, institutionelle Investoren oder Privatpersonen, gesellschafts- und aktienrechtliche Instrumente zur Einflussnahme auf die strategische Ausrichtung von Unternehmen. Der vorgeschaltete Erwerb von Aktien dient hierbei primär dem Zweck, sich die Aktionärsrechte nutzbar machen zu können, um etwa in der Hauptversammlung Anträge auf Tagesordnungserweiterungen sowie Sonderprüfungen einzubringen oder – mit entsprechender Mehrheit – sogar Satzungsänderungen durchzuführen. Auch Anfechtungsklagen gegen Entlastungsbeschlüsse werden vermehrt als Mittel der Durchsetzung ESG-sensibler Ziele genutzt.
Zwar bleibt nach dem im deutschen Recht angelegten, dualistischen System die Entscheidungsautonomie des Vorstands grundsätzlich gewahrt, doch kann eine strategische Einflussnahme mittelbar über den Aufsichtsrat oder die soeben erwähnten Minderheitsrechte erfolgen und die weitere geschäftliche Entwicklung nachhaltig hemmen oder zeitweise ganz blockieren. Ferner kann der Einsatz aktienrechtlicher Instrumente erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen binden und bereitet nicht selten den Boden für eine nachgelagerte Haftungsklage gegen die Leitungsorgane. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen in der „Klima-Rechtsprechung“ und des IGH-Gutachtens zur Anerkennung des Klimaschutzes als Menschenrecht, das in derartigen Verfahren fruchtbar gemacht werden könnte, birgt der Shareholder Activism nicht nur das Risiko von Reputationsschäden, sondern auch ein gesteigertes Prozessrisiko für Unternehmen.
Für die Praxis empfiehlt sich insoweit eine frühzeitige und transparente Kommunikation mit ESG-sensiblen Investoren sowie die Absicherung gegen die bestehende rechtliche Risikoexposition durch klar definierte Governance-Prozesse.
Zunehmende Risikoexposition im Rahmen der Organhaftung
In diesem Zusammenhang ist auch die Frage der Organhaftung zentral für die Bewertung klimaschutzbezogener ESG-Pflichten. Mit dem Inkrafttreten europarechtlicher Vorgaben wie der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D) sowie des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) hat sich die ESG-Compliance von „bloßem“ soft law zu einem immer stärker normativ verdichteten Pflichtenkreis entwickelt.
Dieser Trend wurde jüngst durch die sog. Omnibus-Initiative der europäischen Kommission zwar erstmals pausiert. Ziel dieser Maßnahme ist es, die insbesondere durch die CSRD und CS3D erzeugten Umsetzungslasten durch Fristenverschiebungen, die Anhebung von Schwellenwerten sowie die Vereinfachung von Standards zu entschärfen und hierdurch KMUs wie auch kapitalmarktorientierte Unternehmen vorerst zu entlasten. Trotz dieser Verschiebungen ändert sich am materiellen Gehalt der regulatorischen ESG-Verpflichtungen nichts. Denn gerade in dieser aktuell laufenden Interimsphase dürften verfehlte Weichenstellungen, Versäumnisse bei der Risikoerfassung oder fehlerhafte Berichtssysteme haftungsrechtlich besonders kritisch bewertet werden. Damit verschiebt sich der Fokus der ESG-Compliance zunehmend weg von deklaratorischen Absichtserklärungen hin zu justiziablen Verpflichtungen mit unmittelbarem Haftungsrisiko für Leitungsorgane. Wer es versäumt, interne Prozesse, Kontrollsysteme und Verantwortlichkeitsstrukturen frühzeitig auf die neuen regulatorischen Anforderungen und die aktuelle Rechtsprechungspraxis auszurichten, setzt sich einem erheblichen unternehmens- und organspezifischen Haftungsrisiko aus.
Nicht nur nehmen damit die herausfordernden Pflichten der Geschäftsleiter, ESG-Pflichten und ¬Ziele im Rahmen der ihnen obliegenden Legalitätspflicht angemessen umzusetzen und einzuhalten stetig zu. Vielmehr wird der Ermessensspielraum, den die Business-Judgment-Rule den Geschäftsleitern bei unternehmerischen Entscheidungen im Rahmen der allgemeinen Leitungspflicht einräumt, durch die Ausdehnung der ESG-Pflichten immer weiter eingeschränkt. Andererseits werden ESG-Kriterien in der Abwägung, ob eine unternehmerische Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft getroffen wird, künftig auch zu Exkulpationszwecken (vgl. stakeholder value-Ansatz) zunehmend Berücksichtigung finden.
Letztlich ist zu beachten, dass ESG-bezogene Pflichtverstöße regelmäßig auch Auswirkungen auf bestehende D&O-Versicherungen haben. Inwieweit Versicherungsschutz für ESG-Haftungsrisiken besteht, hängt von der konkreten Ausgestaltung der Police ab. Die Versicherbarkeit etwaiger Bußgelder oder persönlicher Regressansprüche steht derzeit im Fokus intensiver versicherungsrechtlicher Diskussion.
Schlussbetrachtung
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich ESG und Climate Litigation als eigenständiges juristisches Feld etabliert hat. Es operiert an der Schnittstelle zwischen Umwelt-, allgemeinem Zivil-, Gesellschafts- und Prozessrecht und verlagert klimapolitische Konflikte zunehmend in den justiziellen Raum. Unternehmen sind gefordert, ihre Klimastrategien nicht nur wirtschaftlich tragfähig, sondern auch rechtlich belastbar zu gestalten.
Dabei stellt sich die Frage, ob es angesichts der gesamtgesellschaftlichen und transnationalen Bedeutung des Klimaschutzes angemessen ist, wegweisende Entscheidungen in die Hände der Rechtsprechung zu legen, und – wie derzeit – divergierende Urteile verschiedener Oberlandesgerichte in Kauf zu nehmen. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit für betroffene Akteure birgt unübersehbare Haftungsrisiken. Vielmehr liegen derartige Wertentscheidungen bereits allein aus demokratietheoretischen Aspekten in der Hand der Legislative. Bis dahin vermögen insbesondere die (divergierenden) Erwägungen der Justiz jedoch einen wertvollen Beitrag zur rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskussion zu leisten.
Gleichzeitig signalisiert das Omnibus-Paket eine mögliche politische Neubewertung der Haftungsrisiken; auch durch den Vorschlag, die direkte zivilrechtliche Haftung aus der CS3D zu streichen und durch ein System der Folgehaftung (nur) nach behördlichen Maßnahmen zu ersetzen. Die Entlastungen der Omnibus-Initiative zielen laut Kommission vornehmlich darauf ab, durch eine Entschärfung der unternehmerischen Klimaschutzverantwortung Investitionen freizusetzen und die Attraktivität der EU als Unternehmensstandort zu bewahren. Aus der gleichen Regung wurde bereits das LkSG im Gesetzgebungsverfahren deutlich von seinen ersten Entwürfen unternehmensfreundlicher abgeändert. Zuletzt hat die Kommission darüber hinaus signalisiert, die kurz vor ihrem Abschluss stehende Green Claims Directive zurückzuziehen. Damit scheint auch auf politischer Ebene – im Einklang mit dem nahezu einstimmigen Ton aus der Wirtschaft – erkannt zu werden, dass Klimaschutz nicht ohne Wirtschaftsschutz gedacht werden kann. Diese reformatorischen Vorstöße zur Deregulierung könnten auch Signalwirkung für weitere nationale Ansätze zur Klima(de)regulierung haben.
Bis dahin liegt die Hauptverantwortung, allein schon aus Gründen des Risikomanagements, in den Händen der Privatwirtschaft: Eine ESG-konforme Corporate Governance setzt zum Nachweis geeignete Dokumentationsprozesse und eine sensible Risikokommunikation voraus. Die rechtsberatende Praxis wiederum steht vor der Aufgabe, diese Herausforderungen mit einer holistischen, strategisch fundierten Beratung zu begleiten. Climate Litigation ist längst kein temporärer Trend mehr, sondern Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels hin zu konkret justiziablen umwelt-, klima- und nachhaltigkeitsbezogenen Pflichten.
Unser ESG Litigation Guide sowie unser ESG Global Vision Guide können Unternehmen dabei unterstützen, ESG-relevante Rechtsprechung und aktuelle regulatorische Entwicklungen im Bereich ESG besser im Blick zu behalten.