Kanzleien und Unternehmen stehen vor der Herausforderung, komplexe Datenlandschaften schnell, präzise und rechtskonform auszuwerten – ein Unterfangen, das ohne spezialisierte eDiscovery-Technologien und fundierte Expertise kaum mehr möglich ist.
In diesem Kontext gewinnen elektronisch gespeicherte Informationen (Electronic Stored Information, ESI) zunehmend an Bedeutung. Diese Informationen sind heute der Dreh- und Angelpunkt nahezu aller internen wie auch externen Ermittlungen. Menge und Vielfalt der Daten wachsen rasant, während gleichzeitig die Kommunikationswege zunehmend fragmentiert und heterogen werden.
Diese Entwicklungen sind Teil der umfassenden digitalen Transformation, die die Rechtsberatung und insbesondere die Durchführung interner Untersuchungen, Kartellverfahren und Compliance-Prüfungen grundlegend verändert hat.
Im Folgenden beleuchten wir die aktuellen Möglichkeiten der eDiscovery, insbesondere den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), die forensische Analyse von Endgeräten und die Auswertung von Chat-Kommunikation. Anhand praxisnaher Use Cases zeigen wir auf, wie diese Technologien in der realen Fallbearbeitung Mehrwert schaffen. Abschließend geben wir einen Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen und Trends, die die eDiscovery-Landschaft weiter prägen werden.
Die Herausforderung fragmentierter digitaler Kommunikation
Neben klassischen E-Mails nutzen Mitarbeitende heute eine Vielzahl von Messaging-Plattformen wie beispielsweise Microsoft Teams, Slack, WhatsApp oder Signal. Mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablets erweitern die Kanäle zusätzlich, während Cloud-Dienste die Speicherung und den Austausch von Dokumenten ermöglichen.
In der Praxis führt dies häufig dazu, dass relevante Informationen über mehrere Systeme verteilt sind – so beginnt eine Compliance-relevante Kommunikation beispielsweise per E-Mail, wird dann in Chat-Gruppen fortgeführt und endet in verschlüsselten Messenger-Nachrichten auf Mobilgeräten.
Diese Fragmentierung stellt die eDiscovery vor erhebliche Herausforderungen. Für eine vollständige Fallrekonstruktion müssen Datensilos überwunden und Informationen aus heterogenen Quellen kanalübergreifend zusammengeführt werden. Dabei gilt es, Datenformate und Speicherorte ebenso zu berücksichtigen wie datenschutzrechtliche Vorgaben. Nur so kann sichergestellt werden, dass die gewonnenen Erkenntnisse belastbar, nachvollziehbar und vor Gericht verwertbar sind.
Effiziente Datenanalyse dank moderner Technologien
Die stetig wachsende Menge digitaler Informationen macht die manuelle Sichtung zunehmend ineffizient oder gar unmöglich. Daher liegt der Fokus jetzt auf dem Einsatz von KI, um relevante Informationen gezielt herauszufiltern und miteinander zu verknüpfen.
Folgende Funktionen moderner eDiscovery-Plattformen bieten besonders wirksame Unterstützung:
- KI-basierte Relevanzbewertung: Mithilfe von Algorithmen bewertet die KI automatisiert die Relevanz von Dokumenten für konkrete Fälle. So erhält man priorisierte Übersichten und kann die Aufmerksamkeit direkt auf entscheidende Inhalte richten.
- Pattern Recognition und Netzwerkanalysen: KI erkennt auffällige Kommunikationsmuster sowie Netzwerke verdächtiger Personen, was insbesondere bei komplexen Sachverhalten wie Kartellfällen oder Compliance-Untersuchungen wertvolle Hinweise liefert.
- Themenbasierte Klassifikation (Clustering): Dokumente werden automatisch nach inhaltlicher Ähnlichkeit gruppiert. Dies ermöglicht es beim Review, relevante Themenfelder schnell zu identifizieren, und spart erheblich Zeit in der Sichtung großer Datenmengen.
- Visuelle Datenaufbereitung: Intuitive Dashboards und interaktive Visualisierungen sorgen für eine schnelle Erfassung komplexer Datenstrukturen und Kommunikationsverläufe, was eine effiziente und präzise Analyse erheblich erleichtert.
- KI-unterstütztes Reporting: Die KI ist nicht nur in der Lage, den Review zeitlich zu beschleunigen und effizienter zu gestalten, sondern kann auch das Reporting in Teilen übernehmen. Basierend auf Prompts kann eine sofortige Zusammenfassung der Findings erfolgen, um so einen ersten Überblick über den Sachverhalt zu erlangen.
Weiterhin bewährt und oft ergänzend eingesetzt werden traditionelle Methoden:
- Automatisierte Indexierung und Duplikaterkennung: Dokumente werden erfasst, indiziert und Dubletten automatisch identifiziert, um unnötige Arbeitsprozesse wie auch die Datenmengen zu reduzieren.
- Suchoperatoren und Filtertechniken: Durch logische Operatoren (wie AND, OR, NOT) und zeitliche Filter lassen sich große Datenbestände gezielt eingrenzen, beispielsweise bei der Suche nach spezifischen Schlüsselbegriffen („Kartell“ AND „Preisabsprache“) innerhalb definierter Zeiträume.
Praxisfall 1: Kartellverfahren mit kanalübergreifender Analyse
In einem aktuellen europäischen Kartellverfahren standen mehrere Marktteilnehmer unter dem Verdacht illegaler Preisabsprachen. Die Ermittlungen umfassten Millionen E-Mails, Dokumente aus Cloud-Speichern sowie Chat-Protokolle aus MS Teams und WhatsApp-Nachrichten von Diensthandys. Die Komplexität lag nicht nur im Volumen, sondern vor allem in der fragmentierten Kommunikationsstruktur.
Zur Auswertung der Daten kam eine eDiscovery-Plattform mit KI-gestützten Analysefunktionen zum Einsatz. Die Datenaufbereitung – also das Zusammenführen, Strukturieren und Indexieren der verschiedenen Formate und Quellen – erfolgte dabei wie üblich durch technische Vorverarbeitung und manuelle Qualitätssicherung.
Die eigentliche Stärke der KI zeigte sich bei der inhaltlichen Suche und Priorisierung: Mithilfe gezielter Suchoperatoren und Prompts wurden relevante Dokumente identifiziert. Zudem erkannte die Analyse verdächtige Kommunikationsmuster – insbesondere den Wechsel von formellen E-Mails hin zu informelleren Kanälen wie Chats und schließlich WhatsApp-Nachrichten.
Dieses kanalübergreifende Verhalten war ein wichtiger Indikator für verdeckte Absprachen. Durch die Auswertung dieser Muster konnte das Untersuchungsteam Kommunikationsnetzwerke rekonstruieren, zentrale Akteure identifizieren und deren Verbindungen sichtbar machen – ein wesentlicher Beitrag zur schnellen juristischen Aufarbeitung des Falls.
Die Bedeutung der Analyse von Chat-Kommunikation
In der heutigen Arbeitswelt nimmt die Chat-Kommunikation einen immer höheren Stellenwert ein. Informelle Absprachen, spontane Absprachen oder auch vertrauliche Informationen werden häufig über Plattformen wie Microsoft Teams, Slack oder WhatsApp ausgetauscht – häufig sogar parallel zu anderen Kommunikationswegen.
Dies birgt Risiken, eröffnet aber zugleich neue Handlungsfelder für die Aufklärung und Bewertung potenziellen Fehlverhaltens – über alle relevanten Systeme hinweg.
Die Herausforderung besteht darin, die Chat-Daten aus ihren nativen Formaten zu extrahieren, zu indexieren und im Kontext zu analysieren. Moderne eDiscovery-Tools ermöglichen dies, indem sie die Nachrichten nicht nur auf Schlagwörter durchsuchen, sondern auch Kontextinformationen, zeitliche Abfolgen und Gesprächsbeteiligte berücksichtigen. So lassen sich versteckte Muster und Verbindungen erkennen, die auf herkömmlichem Weg kaum zu identifizieren wären.
Praxisfall 2 Compliance-Prüfung bei Finanzdienstleistern
Ein führender Finanzdienstleister wurde verdächtigt, Insiderinformationen unrechtmäßig gehandelt zu haben. Die interne Compliance-Abteilung initiierte eine umfassende Analyse der Kommunikationsdaten. Dabei zeigte sich, dass kritische Informationen zunächst per E-Mail kursierten, anschließend aber auf Microsoft Teams gewechselt wurde, um den Informationsaustausch zu verschleiern.
Die eDiscovery-Fachleute verknüpften die Daten aus E-Mails und Chatprotokollen, wobei sie zeitliche und inhaltliche Zusammenhänge mittels KI-basierter Algorithmen analysierten. Durch den gezielten Einsatz von Suchbegriffen, Prompts und komplexen Filtermechanismen konnte die Compliance-Abteilung belastbare Hinweise auf verbotene Kommunikationen identifizieren. Die Verknüpfung unterschiedlicher Datenquellen war hier entscheidend für den Erfolg der Untersuchung.
Zukunftstrends: KI und neue Technologien als Motor der eDiscovery
KI wird in der eDiscovery künftig eine noch größere Rolle spielen. Durch Fortschritte im maschinellen Lernen und der natürlichen Sprachverarbeitung (Natural Language Processing, NLP) gewinnen KI-Systeme zunehmend die Fähigkeit, komplexe, kontextabhängige Sachverhalte zu erkennen und zu bewerten.
Zukünftige Systeme werden nicht nur Dokumente klassifizieren, sondern auch automatische Fallzusammenfassungen erstellen, Prognosen über Prozessverläufe abgeben und Risiken frühzeitig erkennen. Die Integration von Self-Service-Plattformen ermöglicht es zudem juristischen Fachleuten ohne technische Vorkenntnisse, komplexe Analysen eigenständig durchzuführen.
Darüber hinaus eröffnen neue Technologien wie Blockchain-Analysen die Möglichkeit, Transaktionen nachvollziehbar zu machen und Betrugsfälle transparent aufzudecken. Die Einbeziehung von IoT-Daten (Internet of Things) wird künftig weitere Einblicke in Gerätekommunikation und Nutzerverhalten ermöglichen, was die eDiscovery-Landschaft weiter revolutionieren wird.
Fazit
Die eDiscovery und die IT-Forensik sind heute unverzichtbare strategische Werkzeuge für Kanzleien und Unternehmen, die interne Ermittlungen, Kartellverfahren und Compliance-Prüfungen effizient und sicher durchführen wollen. Die Kombination aus modernster Technologie, insbesondere KI-gestützter Analyse, forensischer Expertise und kanalübergreifender Datenverknüpfung erlaubt es, auch komplexe und umfangreiche Datenbestände schnell zu durchdringen und relevante Beweismittel zu identifizieren.
Kanzleien, die diese Potenziale nutzen, bieten ihren Mandanten nicht nur entscheidende Wettbewerbsvorteile, sondern gewährleisten auch eine fundierte und rechtssichere Verteidigung bzw. Durchsetzung von Ansprüchen.
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