Viele Aspekte noch ungeklärt
Aus urheberrechtlicher Sicht sind im Zusammenhang mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz eine Reihe gänzlich neuer Fragestellungen zu klären, wie z. B.
- Sind die durch KI-generierten Inhalte urheberrechtlich geschützt?
- Welche Auswirkungen hat es, wenn KI-generierte Inhalte nur als erster Entwurf verwendet und von einem Menschen weiterbearbeitet werden?
- Wie sind diese Erzeugnisse zu kennzeichnen?
- Wer haftet, wenn die Erzeugnisse einer KI die Rechte Dritter verletzen?
- Ist die Zusammenstellung der so genannten „Prompts“, d.h. der Vorgaben für die KI, durch Exklusivrechte geschützt?
- Wird der “Prompter” zum CO-Autor?
- Welche Bilder oder Texte kann ein KI-Anbieter für das KI-Training verwenden?
- Wie kann ich meine eigenen Werke vor dem Zugriff durch KI-Crawler Dritter schützen?
- Und wie kann ich meine eigenen oder lizenzierte Werke für das KI-Training nutzen?
Dies ist nur ein Auszug aus der Vielzahl von Problemen, die seit Beginn des Jahres diskutiert werden.
Erste Rechtsstreitigkeiten
In den USA und im Vereinigten Königreich wurden bereits Ende 2022/Anfang 2023 erste Klagen bekannt.
Die eingereichten Klagen zielen unter anderem auf die Klärung der Frage ab, ob die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in Zusammenhang mit generativer KI eine Verletzung des Urheberrechts oder der ausschließlichen Lizenzrechte der Rechteinhaber darstellt.
Mittlerweile gibt es auch eine erste Klage in Deutschland: ein Fotograf hat Klage gegen einen gemeinnützigen Verein eingereicht, der Datensets für KI-Trainings zusammenstellt, in dem sich auch die Fotografien des Klägers befinden.
Wir wollen vorliegend die Frage vertiefen, wie die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für ein KI-Training aus europäischer und hier insbesondere aus deutscher Sicht zu bewerten ist.
Bei der Frage nach möglichen Urheberrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken für ein KI-Training stellt sich zunächst die wohl schwierigste Frage, welche urheberrechtlich relevanten Nutzungen solcher Werke beim KI-Training stattfinden. Dies hängt vor allem vom genauen Ablauf der technischen Prozesse ab.
Zunächst einmal ist davon auszugehen, dass bei der Analyse von urheberrechtlich geschützten Werken, seien es Bilder, Musik oder Softwareprogramme, in jedem Fall (zumindest temporäre) Vervielfältigungen zur Analyse des Werkes und der zugehörigen Metadaten erfolgen müssen. Eine Vervielfältigung eines Werkes wäre jedoch nur mit Zustimmung des Urhebers möglich (§ 16 UrhG) oder bei Vorliegen einer urheberrechtlichen Schranke möglich.
Vorübergehende Kopien
Soweit es sich bei Werkkopien tatsächlich um rein vorübergehende Vervielfältigungshandlungen ohne eigenständige wirtschaftliche Bedeutung handelt, könnte die Vervielfältigung bereits nach § 44a UrhG, der Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG („Info-Soc-Richtlinie“) umsetzt, zulässig sein. Da KI-Anwendungen aber in der Regel in einem System eingesetzt werden, das den Nutzern Inhalte (zumindest auch) gegen Entgelt zur Verfügung stellt, wird man sich auf diese Schranke wohl schon deswegen nicht berufen können.
Text- und Data-Mining
Erfolgt die Vervielfältigung ausschließlich zum Zwecke des sogenannten Text- und Data-Mining, könnte sie unter die gesetzliche Schranke des § 44b UrhG (Text- und Data-Mining) oder des § 60d UrhG (Text- und Data-Mining zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung) fallen. „Text- und Data-Mining“ ist nach § 44b Abs. 1 UrhG „die automatisierte Analyse von einzelnen oder mehreren digitalen oder digitalisierten Werken, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen.“ Beschränkt sich der Zweck der Vervielfältigung allein auf diese Art der Analyse zur Informationsgewinnung, so kann die Vervielfältigung ohne Zustimmung des Rechteinhabers erfolgen. Erfolgt das Text- und Data-Mining zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung im Sinne des § 60d UrhG, müssen keine weiteren Voraussetzungen erfüllt sein und die Vervielfältigungen dürfen auch zur gemeinsamen Forschung oder Qualitätskontrolle innerhalb begrenzter Forschungsgruppen öffentlich zugänglich gemacht werden.
Anders verhält es sich beim Text- und Data-Mining, das kommerzielle Zwecke verfolgt. Vervielfältigungen sind dann nur zulässig, wenn sich der Rechteinhaber die Rechte an Text- und Data-Mining-Vervielfältigungen nicht ausdrücklich vorbehalten hat (§ 44b Abs. 3 UrhG). Nach dem Wortlaut des Urheberrechtsgesetzes ist ein Nutzungsvorbehalt bei online verfügbaren Werken nur dann wirksam, wenn er in maschinenlesbarer Form erfolgt ist. Zweck der maschinenlesbaren Form ist es, automatisierten Crawlern ein Opt-Out zuverlässig anzeigen zu können und damit den Marktgegebenheiten Rechnung zu tragen.
Wie bereits erwähnt, wurde die Text- und Data-Mining-Schranke des § 44b durch das Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse der DSM-Richtlinie vom 31. März 2021 neu in das deutsche Urheberrechtsgesetz eingefügt, was bedeutet, dass Betreiber von kommerziellen KI-Systemen erst seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes am 7. Juni 2021 ohne Zustimmung der Rechteinhaber Vervielfältigungen für ein Text- und Data-Mining erstellen dürfen.
Bei der Beurteilung einer konkreten Situation stellt sich daher immer die Frage, in welchem Zeitraum Vervielfältigungen zum Zwecke des Text- und Data-Mining stattgefunden haben und ob die betroffenen Rechteinhaber in diesem Zeitraum bereits ein wirksames Opt-Out in Bezug auf Text- und Data-Mining erklärt haben bzw. überhaupt erklären konnten. Ungeklärt ist bislang die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Ausnahme auch bei einem Training für sog. generative KI-Anwendung gelten kann.
Drei-Stufen-Test
Eine weitere Einschränkung bei der Anwendung von Ausnahmen und Beschränkungen kann durch den so genannten Drei-Stufen-Test, Artikel 5 (5) der InfoSoc-Richtlinie, erfolgen. Nach dieser europarechtlichen Vorgabe dürfen „Ausnahmen und Beschränkungen (1) nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen (2) die normale Verwertung des Werks […] nicht beeinträchtigt wird und (3) die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“ Soweit die Vervielfältigungen nach § 44b UrhG dazu führen, dass die normale Verwertung des betreffenden Werkes beeinträchtigt wird und die Interessen des Rechtsinhabers ungebührlich verletzt werden, könnte die Ausnahme demnach nicht greifen.
KI-generierte Bilder können Bearbeitungen sein
Das technische Verfahren des KI-Trainings und die Anwendung der trainierten KI müssen weiter untersucht werden, um festzustellen, ob für weitere Schritte die Zustimmung des Rechteinhabers erforderlich sein könnte. Spezifische Nutzungen könnten insbesondere das Recht auf Bearbeitungen betreffen. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG dürfen Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werkes nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden. Das bedeutet, dass die bloße Herstellung einer Bearbeitung grundsätzlich frei ist, nur die Veröffentlichung oder Verwertung einer Bearbeitung ist zustimmungspflichtig. Soll beispielsweise eine KI-Bearbeitung eines Werkes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ist die Zustimmung des Rechtsinhabers erforderlich. Eine zustimmungspflichtige Bearbeitung liegt jedoch nicht vor, wenn das neu geschaffene Werk einen „hinreichenden Abstand“ zum benutzten Werk wahrt, § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG. Ein solcher Abstand ist anzunehmen, wenn der individuelle Charakter, der sich aus einem bestehenden Werk ableitet, im Vergleich zum individuellen Charakter des neuen Werkes so weit verblasst, dass das bestehende Werk nicht mehr oder nur noch ansatzweise erkennbar ist. Bei KI-Schöpfungen mag dieser Abstand sehr oft, aber wohl nicht verlässlich immer, ausreichend sein. Insbesondere dann, wenn ein Nutzer in einem Prompt stark auf ein bestimmtes Motiv eines bestimmten Künstlers Bezug nimmt, können Bilder entstehen, die unter den Begriff der Bearbeitung fallen können. Darüber hinaus ist offen, wie es sich auf die Anwendung von § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG auswirkt, dass das Arbeitsergebnis der KI mangels persönlicher, geistiger Schöpfung (eines Menschen) gerade kein urheberrechtlich geschütztes Werk ist.
Musterfälle und Rechtsvorschriften
Es bleibt abzuwarten, ob das geltende Urheberrecht den neuen Methoden und Technologien, die sich im Zusammenhang mit Künstlichen Intelligenz entwickelt haben, gerecht wird. Die Gerichte werden sich mit den widerstreitenden Interessen von Rechtsinhabern, Technologieanbietern und Nutzern auseinandersetzen müssen. Dieses Spannungsfeld ist jedoch nicht neu, und wie bei anderen neuen Entwicklungen, wie der Digitalisierung von Werken, der Bereitstellung von Werken über das Internet, dem technisch komplexen Teilen von Werken in Filesharing-Netzwerken, dem Hosten von Werken auf Sharehostern oder der Nutzung von Werken in vermeintlich privaten Netzwerken, werden die Gerichte und ggf. auch der Gesetzgeber versuchen, hier angemessene Lösungen zu erarbeiten.
Ein erster Schritt in diese Richtung könnte der für Anfang 2024 angekündigte europäische AI Act sein.
Kernaussagen
- Die neue Technologie generativer KI-Systeme stellt das geltende Urheberrecht vor große neue Herausforderungen.
- Eine der Hauptfragen ist, ob die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in Zusammenhang mit generativer KI eine Verletzung des Urheberrechts oder der ausschließlichen Lizenzrechte der Rechteinhaber darstellt.
- Dies wird vor allem auch davon abhängen, wie die Schranke des Text- and Data Mining durch den EuGH ausgelegt werden wird, bzw. ob es hier gesetzliche Klarstellungen geben wird.