Bis jetzt wurde der Gasbezugspreis bei langfristigen Lieferverträgen an den Ölpreis gekoppelt und monatlich festgelegt. Mit dem Schiedsspruch änderte das Tribunal diese Preisformel und führte eine sogenannte Gasmarktindizierung ein. Der Vergleichsmaßstab für den Preis orientiert sich nun stärker – wenn auch nicht vollständig – an den internationalen Spotmärkten.
RWE setzte damit auf den ersten Blick erfolgreich auf die quasi-gerichtliche Durchsetzung ihrer Ansprüche. Wettbewerber haben sich bislang stets auf dem reinen Verhandlungswege mit Gazprom geeinigt, darunter der größte deutsche Energiekonzern E.on.
Auf den zweiten Blick ist das Ergebnis offenbar mit Schönheitsfehlern versehen. Zwar kann RWE für ihre tschechische Tochter RWE Supply & Trading nun eine Rückerstattung von Zahlungen seit Mai 2010 verlangen, die sich laut Marktinformationen auf mehr als eine Milliarde Euro belaufen. Allerdings hatte RWE ursprünglich den dreifachen Betrag gefordert, wie aus Kreisen von Gazprom zu hören ist. Zudem wäre für RWE finanziell mehr drin gewesen, hätte man eine Verhandlungslösung gewollt.
Gazprom gestand in seiner Presseerklärung ein, dass es das erste Mal sei, dass das Unternehmen einen Schiedsspruch für die Preisrevision habe hinnehmen müssen. RWE haben sich trotz vielseitiger Angebote seitens Gazprom auf keine Verhandlungen eingelassen, dafür aber verschiedene eigene Forderungen gestellt. Diese habe das Schiedsgericht – trotz des Schiedsspruches – weitgehend abgelehnt.
Vertreter RWE
Freshfields Bruckhaus Deringer (Wien): Dr. Günther Horvath (Konfliktlösung), Dr. Bertram Burtscher (Gesellschaftsrecht), Dr. Axel Reidlinger (Kartellrecht); Associates: Courtney Lotfi, Alma Zadic ( beide Konfliktlösung; Rechtanwaltsanwärterin), Dr. Erika Rittenauer, Diana Ionescu (beide Kartellrecht; Rechtanwaltsanwärterin)
Wikborg Rein (Oslo): Dag Mjaaland, Aadne Haga
Cestr & Partner (Prag): Dr. Roman Denes
Inhouse (Essen): Dr. Elmar Schweers (Federführung), Milena Bajajova, Dr. Florian Fischer, Christian Ring
Vertreter Gazprom
Willheim Müller (Wien): Dr. Johannes Willheim (Schiedsverfahren/Wettbewerbs- und Kartellrecht)
Jones Day (Paris): Dr. Michael Bühler, Carroll Dorgan (beide Schiedsrecht)
ICC-Schiedsgericht, Wien
Dr. Bernhard Meyer (Vorsitzende Schiedsrichter; MME Partners; Zürich), Dr. Siegfried Elsing (Orrick Herrington & Sutcliffe; Düsseldorf), Dr. Erhard Böhm (Specht Böhm; Wien)
Hintergrund: Die Vertreter von RWE und Gazprom entsprechen weitgehend denjenigen des Schiedsverfahrens, das RWE und Gazprom im vergangenen Jahr um die Abnahme von Gasmengen führten (mehr…). Allerdings wurde RWE zusätzlich durch die norwegische Kanzlei Wikborg Rein unterstützt, die bereits im vergangenen Jahr für RWE mit Statoil um die Revision von Gaspreisen gerungen hatte. Hinzu kam zudem die tschechische Kanzlei Cestr für die Besonderheiten des dortigen Rechts.
Für Gazprom agierte neben der österreichischen Stammkanzlei Willheim Müller die US-Kanzlei Jones Day. Der in Paris angesiedelte gebürtige Deutsche Michael Bühler gehört zu den europaweit angesehenen Schiedsrechtlern und war lange auch ständiger Vertreter im ICC. Er wurde von Willheim wegen seiner Kompetenz bei ICC-Verfahren hinzugezogen.
Das Schiedsgericht bestand aus Vertretern dreier Länder. Auf den Vorsitzenden einigten sich die Parteien schnell: Der Schweizer Anwalt Bernhard Meyer gehört zu den anerkanntesten Schiedsexperten überhaupt, sein Ruf sei „sensationell“, wie es aus dem Kreis der Parteien hieß. Von RWE benannt wurde der angesehene deutsche Orrick-Senior-Partner Siegfried Elsing, Gazprom schickte den traditionell eng mit russischen Großkonzernen verbundenen Schiedsrechtler und Namenspartner von Specht Böhm, Erhard Böhm, ins Rennen. (Jörn Poppelbaum)