Investitionsstreitigkeiten

Hitzige Diskussion um Vorschlag der EU-Kommission

Quo vadis, Investitionsschutz? Die Idee, der EU-Kommission, die einen TTIP-Gerichtshof für Investitionsstreitigkeiten vorgeschlagen hatte, entwickelt eine erstaunliche Dynamik. Dabei hatten viele den Vorschlag zunächst für ein halbherziges Zugeständnis an die Kritiker der üblichen Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) durch Schiedsgerichte gehalten. Inzwischen sehen unter anderem schon Abkommen mit Kanada und Vietnam das EU-Modell vor. Doch dass man sich auch beim transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP darauf einigen wird, glaubt kaum jemand.

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Die EU will einen Systemwechsel: Streitparteien sollen keinen Einfluss mehr auf die Richterwahl haben. Es gibt eine Berufungsinstanz. Und das Recht der Staaten auf Regulierung wird betont. Das wäre das Ende des bisher üblichen ISDS-Systems – das für die USA nach wie vor erste Wahl ist, wie etwa das Abkommen über die Transpazifische Partnerschaft (TPP) zeigt. Nach Ansicht der EU-Kommission läutet der Vorschlag ihrer Handelskommissarin Cecilia Malmström gar „ein neues Zeitalter bei der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ ein.

Furcht vor der Klageindustrie

Die jüngsten TTIP-Leaks deuten indes nicht darauf hin, dass die USA sich bisher für den EU-Vorschlag erwärmen konnten. Dass die EU deshalb doch noch nachgibt, gilt allerdings als ausgeschlossen. Zu groß ist der Druck der Öffentlichkeit, die befürchtet, dass ISDS alter Prägung eine Klageindustrie zulasten von Staaten und Steuerzahlern entstehen lässt. Am Ende sei sogar die Demokratie in Gefahr: Gesetzgeber könnten sich, so die Sorge, aus Furcht vor Klagen für den Investorenschutz und gegen das Allgemeinwohl entscheiden. Die Zahl der ISDS-Fälle nimmt seit den 1990er-Jahren immer weiter zu. Im vergangenen Jahr sind weltweit 70 neue Klagen gegen Staaten hinzugekommen – ein Rekordwert.

Hindelang_Steffen
Hindelang_Steffen

„Nachdem das Malmström-Modell für Kanada und Vietnam verhandelt wurde und bei TTIP auf dem Tisch liegt, kann die Kommission kaum anders, als es künftig allen vorzuschlagen, mit denen sie über Investitionsschutz verhandelt“, sagt Professor Steffen Hindelang von der FU Berlin im JUVE-Gespräch. „Alle, deren Verhandlungsmacht wesentlich schwächer ist als die der Europäischen Union, werden dieses Modell übernehmen müssen.“ Die EU muss das Modell schon deshalb jedem anbieten, weil sie die Vision formuliert hat, dass irgendwann ein internationaler Investitionsgerichtshof sämtliche Einzelabkommen der Mitgliedsstaaten ablösen sollte.

Lange Verfahren drohen

„Die EU hat ein echtes Sendungsbewusstsein entwickelt“, sagt Jan Schäfer, Partner bei King & Spalding, im JUVE-Gespräch. „Und das ist ein ernstes Problem.“ Schäfer steht nicht allein mit dieser Meinung. Zahlreiche Investitionsschiedsrechtler befürchten, dass eine Berufungsinstanz die Verfahren über Gebühr in die Länge ziehen und die Auswahl fester Richter durch Staaten ISDS zu staatenfreundlich machen könnte.

Schäfer_Jan
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Das deutsche Wirtschaftsministerium gibt sich noch betont optimistisch: „Mit privaten Anwälten besetzte Schiedsgerichte sind mit uns nicht machbar“, sagt Staatssekretär Matthias Machnig im JUVE-Interview. Die USA hätten genau wie alle anderen Staaten auf dieser Welt ein Interesse daran, ihr Regulierungsrecht zu wahren. Die Idee eines Berufungsgerichts sei auch in den Musterinvestitionsschutzverträgen der USA bereits angelegt. „Wir sollten also durchaus in der Lage sein, mit den USA beim Thema Investitionsschutz auf einen Nenner zu kommen.“ In den erwähnten Musterverträgen steht aber andererseits nur, dass man über das Thema in Zukunft noch einmal reden könnte.

„Kein Gerichtshof am Horizont“

Dolzer_Rudolf
Dolzer_Rudolf

Professor Rudolf Dolzer, einer der Pioniere im internationalen Investitionsschutz, verfolgt die Debatte über den Malmström-Vorschlag kritisch distanziert: „In den Kernbereichen haben wir mit ICSID ein funktionierendes System. Für einen solchen radikalen Systemwechsel müsste die Politik einleuchtende Gründe aufführen“, findet Dolzer. „Ich vermisse vor allem seitens der Staaten eine offene Diskussion über Vor- und Nachteile. Ist man etwa bereit, längere Verfahren durch eine zweite Instanz zu in Kauf zu nehmen?“

An einen kurzfristigen Kompromiss zur Schiedsgerichtsbarkeit im Rahmen von TTIP glaubt der USA-Kenner nicht. „Die Positionen zur Schiedsgerichtsbarkeit sind weltweit noch sehr weit voneinander entfernt, nicht nur zwischen Europa und den USA, sondern auch im Verhältnis zu vielen Entwicklungsländern. Die Idee eines internationalen Schiedsgerichtshofs der Europäer sehe ich noch nicht am Horizont.“ (Marc Chmielewski, Mathieu Klos)

Mehr über die Diskussion zum Investitionsschutz, ein Streitgespräch zwischen Professor Steffen Hindelang und Anwalt Jan Schäfer sowie Porträts bekannter Schiedsrechtler lesen Sie in der aktuellen Konfliktlösung-Spezialausgabe des JUVE Rechtsmarkts (06/2016).

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