Im April feiert Paul Weiss Rifkind Wharton & Garrison ihren 150. Geburtstag – 1875 wurde die Kanzlei in New York gegründet. Sie ist eine Ikone des amerikanischen Rechtsmarktes, eine der profitabelsten Kanzleien der Welt, spezialisiert auf Transaktionen und Litigation, mit einem jährlichen Pro-bono-Budget von über 130 Millionen Dollar. Der Chef dieser amerikanischen Exzellenzschmiede mit demokratischer ‚Legacy‘, Brad Karp, hat mit der Trump-Administration letzte Woche eine aus rechtsstaatlicher Sicht unmoralische Vereinbarung getroffen. Anstatt mit den seiner Organisation zweifellos zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln gegen das Dekret von Präsident Trump vorzugehen, das den Entzug der sogenannten Security Clearance anordnete, entschied sich Karp für einen Deal. Die Kommentare vieler deutscher Anwältinnen und Anwälte sind eindeutig: Der Deal komme einer Kapitulation des Rechts vor der Politik gleich.
In einem öffentlich gewordenen Brief an seine Mitarbeiter vom vergangenen Sonntag schrieb Karp, dass nicht weniger auf dem Spiel stand als die „Existenz der Kanzlei“. Der Entzug der Security Clearance per Dekret hätte den Ausschluss der Paul Weiss-Anwältinnen und -Anwälte von öffentlichen Informationen und Gebäuden einschließlich den in den USA zahlreichen unabhängigen Regulierungsbehörden sowie den Gerichten aller Bundesstaaten bedeutet. Das präsidiale Dekret vor Gericht zu bekämpfen, hätte die bedrohliche Situation für die Firma nicht verändert, erklärte er den Schritt.
Keine kollektive Aktion von Big Law
Was die Vereinbarung allerdings insgesamt bedeutet, außer dass Paul Weiss für den Moment wieder wettbewerbsfähig ist, ist noch nicht ausgemacht. Sagen kann man allerdings, was dieser Deal nicht bedeutet: Die Kanzleibranche insgesamt aus der Schusslinie zu nehmen. Denn Covington & Burling oder gar Perkins Coie, die in den Wochen zuvor Ziel ähnlich lautender präsidialer Anordnungen waren, sind nicht wieder wettbewerbsfähig geworden. Karps’ Deal hält Präsident Trump auch nicht davon ab, weiter gegen seine Feinde im Rechtsmarkt vorzugehen.
Im Gegenteil: Gestern erst folgte ein Dekret gegen Jenner & Block, eine US-Kanzlei mit über 500 Berufsträgern, die auf Litigation, Transaktionen und Public-Sektor-Arbeit spezialisiert ist. Als Begründung liefert das Weiße Haus unter anderem die „unethische“ Wiedereinstellung von Andrew Weissmann, der an der Seite von Special Counsel Robert Mueller gegen Trump ermittelt hatte. In einer weiteren Verordnung ließ die Administration am Wochenende zudem alle Anwältinnen und Anwälte wissen, dass sie unter Beobachtung stehen und ebenfalls jederzeit ihre Geschäftsgrundlage verlieren können, wenn sie nicht den Präsidenten als ihren einzig legitimen Taktgeber anerkennen. Den Zeitraum von acht Jahren rückwirkend legt der Präsident in seinem Dekret an, um Kanzleien zu bewerten und gegebenenfalls auch zu sanktionieren. Damit ist klar: Der Grad der Unsicherheit, dem die Branche sich ausgesetzt sieht, ist und bleibt auch nach Karps Deal hoch.
Big-Law-Konkurrenten versuchten, aus dem Paul-Weiss-Dilemma Kapital zu schlagen.
Es gibt aber auch Gewissheiten, die mit dem Paul Weiss-Deal einhergehen. Allen Kanzleien dürfte deutlich geworden sein: Mit der US-Regierung lässt sich verhandeln, um das Strafmaß zu mildern, das die Trump-Administration für die Anwältinnen und Anwälte und ihre Kanzleien vorsieht, die nicht auf ihrer Seite stehen. Und sie wissen, dass es eine gemeinsame Stellungnahme, eine konzertierte Aktion von Big Law gegen den Kurs der Trump-Administration wohl vorerst nicht geben wird.
Denn Karp erklärt in seiner Mail an die Paul Weiss-Angestellten auch, dass sie es versucht hätten, Big Law zu einer Verurteilung des Regierungshandelns zu bewegen. Und das zu einem Zeitpunkt, als Paul Weiss selbst noch gar nicht am Präsidenten-Pranger stand, sondern allein Covington & Burling sowie Perkins Coie für ihre Arbeit als Risiko für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gebrandmarkt waren. Nicht nur sei er mit dem Vorhaben einer gemeinsamen Verurteilung der Vorgänge an der Zurückhaltung der Wettbewerber gescheitert, sondern hätten Wettbewerber versucht, die prekäre Situation seiner Kanzlei auszunutzen, um Partner abzuwerben.
Unabhängigkeit vom Staat ist verloren
In dem Schreiben erklärt Karp auch den Deal mit Trump: Paul Weiss habe ihre Diversity-Politik verteidigt und lediglich zugestimmt, bei der Einstellung neuer Mitarbeiter den Diversity-Regeln der Trump-Administration zu folgen. Zusätzlich biete die Kanzlei zu den über 130 Millionen Dollar, die sie bereits in Pro-bono-Mandate investiere, weitere ehrenamtliche Leistungen im Gegenwert von 40 Millionen Dollar verteilt auf vier Jahre an, also 10 Millionen Dollar extra Pro-bono-Arbeit pro Jahr in Bereichen, in denen sie bereits ehrenamtliche Arbeit erledigten, also bei der Unterstützung von Veteranen, im Kampf gegen Antisemitismus und bei der Förderung einer fairen Justiz.
Das klingt aus der Perspektive eines Unternehmenschefs, der seine Angestellten und sein Unternehmen schützen will, keineswegs unvernünftig. Rechtskulturell ist das Vorgehen aber riskant: Damit werden Anwältinnen und Anwälte sowie Kanzleien in den USA letztlich zu Staatsdienern oder Staatsfeinden. Gerade aber die Unabhängigkeit von der Staatsgewalt ist das zentrale Gut einer funktionierenden Anwaltschaft und ein Grund für die Bedeutung des amerikanischen Rechtsmarkts in der Welt – und mutmaßlich auch seiner Profitabilität. Die Gefahr des Deals ist aber die: Spätestens, wenn sich die Trump-Regierung erneut „unfair“ behandelt fühlt, könnte die existenzielle Krise auch für Paul Weiss weitergehen und in den nächsten Zahltag münden.
US-Kanzleien werden amerikanischer
Für US-Kanzleien stellt sich deshalb schon jetzt die Frage, sich zu positionieren. Um sich vor dem Zorn des Präsidenten zu schützen, sind sie nun gezwungen im Sinne des Präsidenten „amerikanischer“ zu werden. Belege dafür liefert das Dekret, das die Trump-Regierung vor gut zwei Wochen herausgab: Darin droht sie rund 20 Kanzleien damit, ihnen die Security Clearance zu entziehen, wenn sie weiter an ihrer Diversity-Politik festhalten.
Interessant ist aber nicht nur, welche Kanzleien auf dieser Liste stehen, sondern auch, wer nicht. Paul Hastings zum Beispiel. Die Kanzlei beriet zuletzt Blackrock in einem 22,8-Milliarden-Dollar-Hafen-Portfolio-Deal, zu dem auch zwei Häfen im Panama-Kanal gehören – ein Deal, der nach Trumps Geschmack sein dürfte. Ebenfalls nicht auf der Liste stehen Jones Day, die Präsident Trump in seinen beiden früheren Präsidentschaftskampagnen beraten hatte, sowie Sullivan & Cromwell, die seit Januar an der Seite von Trump in seinem New Yorker Schweigegeldskandal steht.
Die Frage, auf welcher Seite sie stehen, beantworteten die europäischen Partner der US-Kanzleien bislang einfach so: Als Akteure einer globalisierten Welt berate man seine Mandanten weltweit in allen Lagen. Einige US-Kanzleien haben in Deutschland sowie insbesondere auch in London eigenständige, profitable Praxen aufgebaut – mit Mandanten, die weniger auf die politisch-geographische Herkunft der Einheiten, denn auf ihr grenzüberschreitendes Angebot schauten. Latham & Watkins zum Beispiel sowie White & Case oder Hogan Lovells gehören zu den größten, auch in Deutschland tätigen Sozietäten mit großem Fußabdruck in den USA.
Im geo- und wertepolitischen Strudel
Inwieweit die geopolitische Neuausrichtung der USA die deutschen Praxen künftig davon ausschließt, eigene deutsche oder auch asiatische Mandanten zu betreuen, ist bislang unklar. Bekannt ist der Fall eines Brüsseler Partners einer US-Kanzlei, der bereits Mitte 2023 aufgefordert worden war, die Partnerschaft zu verlassen. Der Grund: Seine deutschen und asiatischen Mandanten konkurrierten mit US-Kunden der Kanzlei. Das war unter dem Eindruck einer wachsenden geopolitischen Ost-West-Polarisierung der Fall. Wobei die Grenze im Osten zuletzt eher in China und Russland verlief.
Was bedeutet das nun für Europa? Partnerinnen und Partner globaler und auch deutscher Kanzleien bewerten die Bedeutung der Vorgänge in den USA für ihre Einheiten höchst unterschiedlich: Die einen sehen große Chancen für das Geschäft, etwa mit Blick auf die gerade erst vollzogene Entkoppelung der europäischen Unternehmen vom russischen Markt, die sich in den Verträgen dazu alle Türen offengehalten hätten, um zurückzukehren. Andere wiederum reagieren besorgt oder gar entsetzt. Sie sehen die Strategie globaler Kanzleien vor einer notwendigen Neubewertung. Nicht nur, weil Kanzleiplattformen nur schwerlich uneinheitliche Werte repräsentieren könnten, ohne ihre Reputation zu verlieren. Sondern vor allem, weil viele Mandanten die Ereignisse in den USA als epochale Wende wahrnehmen, die auch in Europa zur Rückbesinnung auf den Kontinent anregt.
Freshfields und A&O Shearman – alle teuren Pläne dahin?
Relativ offen reden einige Partner internationaler Kanzleien wie Dentons und DLA Piper über mögliche Folgen. Sie sehen sich zum Beispiel unter dem Dach ihrer Schweizer Vereinsstruktur besser gewappnet. Auch, weil in dieser Struktur die Abspaltung als europäische Law Firm mit einem einheitlichen Wertekanon einfacher zu bekommen ist als in einer bereits vollintegrierten Einheit.
Verliert das Recht seinen Wert?
Schwieriger ist die Welt für die britischen Kanzleien wie Freshfields und A&O Shearman geworden, die gerade auf unterschiedliche Weise versuchen, den lukrativen US-Markt zu erobern. Freshfields hatte zuletzt in Washington gleich mehrere ehemalige Anwälte der Securities Exchange Commission (SEC) aufgenommen. Sie will längst nicht mehr als Magic-Circle-, sondern als globale Kanzlei mit starken transatlantischen Verbindungen wahrgenommen werden.
Für Freshfields genauso wie für A&O Shearman ist die aktuelle Situation sehr gefährlich. Nicht nur die Frage ist relevant, ob auch sie wie Paul Weiss vor Trump kapitulieren könnten, sollte dieser ihnen die Security Clearance entziehen. In London, aber auch bei Partnern in Deutschland und in Gesamteuropa käme ein Deal dieser Art sicherlich nicht gut an. Bedenklicher allerdings ist, dass die immensen Investitionen in den US-Markt der simplen Logik folgten, dass die USA ein Markt bleiben, in dem das Recht seinen Wert behält. Das lässt sich nun nicht mehr eindeutig sagen.
Foto: MarketingShotz / stock.adobe.com