Ein junger Anwalt bringt es auf den Punkt: „Es gibt sicherlich Rechtsgebiete, die mehr Vereinbarkeit von Karriere und Familie ermöglichen als Private Equity, M&A oder Restrukturierung.“
Wer im Projektgeschäft namens Unternehmensrettung tätig ist, kann sich tatsächlich am ehesten mit den Transaktionskollegen vergleichen, wie es dieser Teilnehmer der azur-Associate-Umfrage im Sommer 2021 getan hat. Er und die rund 90 weiteren Associates, die „Insolvenz und Restrukturierung“ als ihr Hauptrechtsgebiet angegeben haben, liegen allerdings mit ihren Zufriedenheitsnoten ziemlich genau im Teilnehmerdurchschnitt. Die einzige Ausnahme ist der Vollpartnerstatus: Die Chancen darauf schätzen die aufstrebenden Insolvenzexperten geringer ein. Aber die Stimmungsindikatoren wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Arbeitsklima oder Work-Life-Balance benoten sie kaum besser oder schlechter als der Rest der Anwaltswelt.
Das ist überraschend. Denn Deals und Krisenbewältigung finden gleichermaßen unter großem Zeitdruck statt – es geht um hohe Preise oder hohe Verluste, der erbitterte Kampf dreht sich manchmal nur um kleine Prozentpunkte mit großem Euro-Gegenwert. Die Kampfattitüde hat auch auf dem insolvenzrechtlichen Beratungsgebiet eine Männerwelt hervorgebracht, die sich übrigens bei den flankierenden Interimsmanagern oder M&A-Beratern nahtlos fortgesetzt hat. Wie groß war deshalb die Empörung vor gut einem Jahr, als das Bundesjustizministerium ausgerechnet den Referentenentwurf für ein neues Sanierungsgesetz in einer konsequent weiblichen Version vorlegte: ‚Die Schuldnerin‘ mag ja noch angehen, aber doch nicht ‚die Geschäftsleiterin‘ oder ‚die Restrukturierungsbeauftragte‘! In der zweiten Version des StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz) war die Welt wieder in Ordnung. Die Männerwelt.
Seltener Aufstieg in der Nische
Interessant, dass die meisten großen Kanzleien dabei nicht (mehr) mitmachen, zum Teil angespornt von internationalen Zielvorgaben hinsichtlich ihrer Frauenquote. White & Case, CMS Hasche Sigle, Noerr oder Linklaters aber sind Beispiele für Sozietäten, die schon vor Jahren Restrukturierungspartnerinnen ernannt haben – Frauen, die je nach Spezialisierung entweder in der Sanierungsberatung oder in der Insolvenzverwaltung aktiv sind. Das ist umso bemerkenswerter, weil beide Felder im Großkanzleikontext eher eine Nische darstellen und deutlich seltener Partner- oder Partnerinnen-Ernennungen zulassen. Das gilt noch stärker, wenn man nur die Gruppe der JUVE-Top-50-Kanzleien betrachtet. 2020 entfielen nach JUVE-Berechnungen dort nur 2,8 Prozent aller Ernennungen auf das Insolvenzrecht – ein Platz unter ferner liefen, und dazu noch mit deutlichem Männerüberhang von 90 Prozent. Norton Rose Fulbright immerhin setzt seit dem vergangenen Jahr auf ein Restrukturierungs-Frauenduo mit Regine Rath, die von Simmons & Simmons kam, und Dr. Sylwia-Maria Bea, die zuvor für White & Case beriet – Quereinsteiger wurden in der Statistik nicht berücksichtigt. 2021 verspricht einen höheren Anteil. Zuletzt hob Clifford Chance die seit 2008 in der Kanzlei tätige Dr. Cristina Weidner aufs Equity-Schild.
Versperrte Karrierewege in Verwalterkanzleien
Noch bemerkenswerter allerdings sind Verwalterkanzleien, die Partnerinnen ernennen. Das galt trotz weniger Ausnahmen lange als exotisch. Denn wer per gerichtlicher Bestellung zum Chef großer Unternehmen ernannt wird, ist in der Regel ein Mann. Diese Gerichtspraxis und der hierarchische Aufbau der meisten Insolvenzverwalterbüros haben lange Zeit Karrierewege für Frauen versperrt. Im Gravenbrucher Kreis, einem Zusammenschluss führender Insolvenzverwalter, liegt der Frauenanteil stabil bei Null. Doch auch in diesem Marktsegment gibt es Veränderungen. So überraschte die Insolvenzgroßkanzlei Pluta im August mit der Ansage, dass unter den drei neu ernannten Gesellschaftern zwei Frauen sind: Dr. Ruth Rigol in Köln, die 2020 mit der Vapiano-Insolvenz alle Hände voll zu tun hatte, und Heike Metzger, die von Heilbronn und Mannheim aus in der Insolvenzverwaltung tätig ist. Und die kleinere und im Insolvenzrecht etwas breiter aufgestellte Kanzlei Anchor setzt zur Eroberung des wichtigen Marktes Nordrhein-Westfalen auf eine Partnerin: Sarah Wolf, die im April 2020 von PKF Fasselt Schlage zu Anchor kam.
Einzelne Karriereaufstiege von Frauen markieren natürlich noch keine Trendwende. Hilfe von außen wird auch nicht von allen gern gesehen. „Ich wüsste nicht, warum ich spezielle Förderung bräuchte“, meint eine Restrukturierungsanwältin in der azur-Associate-Umfrage. Zu den neuen Möglichkeiten in Kanzleien haben aber verschiedene Faktoren beigetragen, die nicht mehr weggehen: neben dem gesellschaftlichen Wandel, der mehr Teilzeit und flexibleres Arbeiten zulässt, auch die starke Vernetzung von bald 100 Restrukturiererinnen über ihren Verein ‚Distressed Ladies – Women in Restructuring‘. Die Turnaround Management Association Deutschland, eher ein Restrukturierer-Männerclub, verfolgt mit ihrem ‚Network of Women‘ ähnliche Ziele.
Aber auch der Wandel des Insolvenzrechts spielt eine Rolle, egal, ob Gesetzestexte durchgegendert sind oder nicht. Seit bald zehn Jahren, seitdem die sogenannte ESUG-Reform in Kraft trat, haben Eigenverwaltungsverfahren einen großen Aufschwung genommen. In diesen Verfahren wird die Rolle des Sonnenkönigs nicht mehr besetzt, sprich: sie kommen ohne einen starken Insolvenzverwalter aus. Es wird mehr beraten, mehr verhandelt, mehr kommuniziert. Mit diesen Eigenschaften können sich sowohl Männer als auch Frauen qualifizieren.