Berufseinsteiger sind bereit, einen großen Teil ihrer Zeit in ihren Beruf zu investieren – verlangen dafür aber auch eine Menge Geld. Laut der aktuellen Bewerberumfrage des JUVE-Arbeitgeberrankings azur100, an der sich mehr als 1.500 Studierende beteiligten, können sich die Befragten vorstellen, im Durchschnitt rund 52 Wochenstunden am Schreibtisch zu verbringen. Einen Nine-to-five-Job erwartet also realistischerweise niemand. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Juristen von morgen gehören einer Generation an, die ein hohes Bewusstsein für ihre mentale Gesundheit hat – und empfindlich reagiert, wenn ihre Work-Life-Balance gestört ist.
Und das nicht erst seit gestern: Eine Auswertung der Prioritäten, die Bewerbende in den vergangenen Jahren in der azur-Umfrage angegeben haben, zeigt: Weiche Faktoren wie das Betriebsklima rangieren schon lange und mit Abstand auf den vorderen Plätzen (Grafik 1). Durchschnittlich jeder vierte Befragte gibt an, dass für ihn die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bei der Arbeitgeberwahl entscheidend ist. Das Ausbildungsangebot, an dem viele Arbeitgeber Jahr für Jahr feilen, spielt dagegen nur für maximal zehn Prozent eine entscheidende Rolle.
Perspektivenwechsel
Eine interessante Verschiebung ergibt sich in der Hochphase der Corona-Pandemie, als umfassende Homeoffice-Regelungen auch für Kanzleien Realität wurden. In dieser Zeit haben sich die Prioritäten der Bewerbenden verändert, weil eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben plötzlich gegeben war. Doch werden die Wünsche der angehenden Juristinnen und Juristen nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance erfüllt? Trotz Homeoffice-Regelungen und diverser Mental Health-Programme wird ja bekanntermaßen nicht weniger gearbeitet: Im Durchschnitt geben die Anwältinnen und Anwälte in Kanzleien in der aktuellen azur-Umfrage, an der sich mehr als 3.500 Associates beteiligt haben, rund 53 Wochenstunden an.
Ein Blick auf die Zufriedenheit der Associates in Abhängigkeit zu den Berufsjahren zeigt, dass die jungen Juristinnen und Juristen zumindest sehr zufrieden und leistungsbereit in den Beruf starten (Grafik 2): Sowohl weibliche als auch männliche Associates geben in den ersten Berufsjahren eine „sehr gute“ Zufriedenheit mit ihrer Work-Life-Balance an. Doch bis zum fünften Berufsjahr kommt die Ernüchterung: Gerade in einer Zeit, in der die Weichen für einen möglichen Aufstieg gestellt werden, sinken die Zufriedenheitswerte. Besonders Frauen vermissen in dieser Phase eine angemessene Förderung der Work-Life-Balance. Und das ist nicht trivial, denn: Gerade zwischen dem fünften und siebten Berufsjahr, das zeigt die Umfrage Jahr für Jahr, befinden sich besonders viele Associates auf dem Sprung.
Ein Blick auf die Wechselgründe (Grafik 3) derjenigen, die signalisiert haben, sich nach einem neuen Arbeitgeber umsehen zu wollen, offenbart: Die meisten würden ihren derzeitigen Job für mehr Freizeit aufgeben. Dass diese Zahl innerhalb der Hochphase der Pandemie weiter angestiegen ist, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben jedoch eine weniger wichtige Rolle beim Arbeitgeberwechsel spielt, zeigt: Vereinbaren lassen sich Beruf und Privatleben dank Homeoffice irgendwie, doch die Entgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit wird offenbar immer stärker als Belastung empfunden.
Dass nun auch Wirtschaftskanzleien zunehmend versuchen, den Wünschen ihrer Associates nach Work-Life-Balance nachzukommen, ist offensichtlich. Und doch verhält es sich ein wenig wie mit dem Streben nach mehr Diversität: Programme gibt es viele, die erhoffte Wirkung bleibt jedoch weitgehend aus. Exemplarisch lässt sich das an einer Quote ablesen – die der Teilzeit-Partnerschaft. Diese Karriereoption würde gerade den berufserfahrenen Associates, die sich Karriere auf der einen und Vereinbarkeit auf der anderen Seite wünschen, entgegenkommen. Und das, bevor die Kanzlei sie für immer verliert. Doch die Zahlen sind ernüchternd (Grafik 4): In den vergangenen fünf Jahren, in denen das Thema definitiv auch von Wirtschaftskanzleien entdeckt worden ist, hat sich die Teilzeit-Quote in der Partnerschaft kaum verändert. Egal, ob es internationale, deutsche oder Kanzleien mit einem Mutterhaus in Großbritannien oder den USA betrifft: Die Quote der Teilzeit-Partnerinnen und -Partner liegt weiterhin deutlich unter zehn Prozent. Eine Möglichkeit, dem unzufriedenen Mittelbau in Kanzleien entgegenzukommen, bleibt – wie die Zahlen zeigen – definitiv ungenutzt.
Datenanalyse: Regina Cichon
Der Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe 04/2023 des JUVE Rechtsmarkt.