JUVE: Taylor Wessing baut gerade ihr Management um, Sie stehen seit wenigen Tagen an der Spitze der Kanzlei in Deutschland. Was wird sich im Management verändern?
Dr. Oliver Bertram: Wir haben ab Juli drei Partner im Management Board und schaffen die Position eines Chief Financial Officer und eines Chief Operations Officer in der Kanzleispitze – mit Stimmrecht. Denn wir wollen unser Kanzleileitung professioneller aufstellen. Dazu braucht es auch Finanz- und Organisationsspezialisten, also keine Juristen, die mitentscheiden.
Wie kam dieser Wandel in Gang?
In der Partnerschaft war der Wunsch groß, schneller und zielstrebiger zukunftsgewandte Entscheidungen zu fällen. Der Prozess begann im Frühjahr 2023 und lief darauf hinaus, die Managementstruktur der Kanzlei umzukrempeln. Unser früherer Managing-Partner Olaf Kranz trieb diesen Prozess mit voran, stellte sich aber im April 2024 nach sechs Jahren nicht zur Wiederwahl als Managing-Partner.
Sind die Management-Positionen schon besetzt?
Unser CFO ist Dennis Ohlsen. Er hat in den letzten zehn Jahren bereits unsere Finanzabteilung geleitet und verfügt über die nötige Expertise. Für die Position der oder des COO sind wir derzeit auf der Suche.
Welche weiteren Schritte geht die Kanzlei?
Wir sind mit 1. Juni in die Gewerblichkeit gewechselt, weil uns das erlaubt, unter anderem unsere Legal-Tech- und KI-Produkte besser mit unserer juristischen Beratung zu verknüpfen. Das war zuvor eher schwierig, weil wir keine Legal-Tech-Tochter als eigene Gesellschaft führen konnten.
Außerdem haben wir durch diese Produkte perspektivisch mehr Mitarbeitende in die mandantenbezogene Arbeit integrieren können, die keine Juristen sind und denen wir spezifische Karrierewege eröffnen wollen. All dies erfordert im Management mehr Know-how als es Juristen gewöhnlich mitbringen. Deshalb der Wunsch, einen CFO und einen COO im Management Board zu etablieren.
Welche KI-gestützten Anwendungen bieten sie derzeit Mandanten an?
Aktuell haben wir drei Tools am Markt: Im Arbeitsrecht eine Anwendung, die es Mandanten erlaubt, selbstständige Tätigkeiten von sozialversicherungspflichtigen zu unterscheiden – also arbeitsrechtlich die Compliance-Anforderungen zu erfüllen. Eine zweite Anwendung geht das datenschutzrechtliche Anforderungsmanagement an, eine dritte erlaubt es, mithilfe von künstlicher Intelligenz Bebauungspläne auszuwerten und daraus Anforderungen bei Immobilienprojekten abzuleiten.
Wie sieht der Einsatz von KI innerhalb Ihrer Kanzlei aus?
Wichtig ist für uns der Einsatz von KI-Anwendungen als Hilfsmittel im Arbeitsalltag. Das hat viel mit ‚Learning by Doing‘ zu tun und einer Kultur, die es ermöglicht, Neues auszuprobieren, auch mal wieder fallen zu lassen, oder weiterzuverfolgen. Daneben geht es natürlich um die Beratung zum Einsatz von KI – das ist aber für uns als Unternehmen zu kurz gesprungen. Denn damit sammeln wir keine Erfahrung im konkreten Einsatz von künstlicher Intelligenz und heben keine zusätzlichen Effizienzen.
Zurück zur Managementstruktur: Gab es für das neue Modell ein Vorbild?
Unsere britischen Kollegen, ja. Dort gehören schon länger drei Nichtjuristen dem Kanzleimanagement an. Natürlich haben wir uns angeschaut, wie das dort gestaltet ist. Schließlich wollen wir in Zukunft enger zusammenarbeiten.
Sie wollen die grenzüberschreitende Mandatsarbeit vorantreiben. Wie soll das konkret passieren?
Wir haben uns die Managementstruktur in Großbritannien auch zum Vorbild genommen, weil wir gesellschaftsrechtlich näher zusammenrücken wollen. Dafür müssen unsere Strukturen kompatibel sein, und es wird die internationale Kooperation vereinfachen.
Abgesehen davon zeichnet sich ab, dass wir innerhalb von Europa, etwa mit unseren Büros in Zentral- und Osteuropa, viel enger zusammenarbeiten werden und uns stärker auf die USA ausrichten. Auch in Asien besteht viel Outbound-Beratungsbedarf im Bereich Private Clients, während sich das Inbound-China-Geschäft eher abschwächt.
Was bedeutet der Fokus auf die USA für die Kooperation mit der US-Kanzlei Wilson Sonsini?
Mit Ende 2023 ist diese ausgelaufen. Wilson Sonsini beschloss, dass sie in London einen eigenen Standort eröffnet, der inzwischen an die 40 Juristen zählt. Damit war klar, dass die Zusammenarbeit endet.
US-Büro stärken
Umgekehrt werden wir unser Büro in San Francisco verstärken. In Kürze wechselt Dajin Lie, Salary-Partnerin derzeit noch an unserem Frankfurter Standort, dorthin. Und wir sind aktiv auf der Suche nach einer Kanzlei, die unseren Schwerpunkten in den Branchen Technologie, Lifesciences und Healthcare, Energieinfrastruktur sowie Private Wealth entspricht.
Weniger als ein Fünftel der Partner bei Taylor Wessing sind Frauen. Was muss sich ändern?
Wir werden zwar besser, sind aber noch nicht gut genug, wenn es darum geht, Frauen eine Karriere in der Kanzlei zu ermöglichen. Ein Ansatz ist, über eine stärkere personelle Unterstützung dafür zu sorgen, dass sich Frauen mit Familienverantwortung, aber vielleicht aber auch Männer, dafür entscheiden, eine Karriere als Equity-Partner(in) zu verfolgen. Ein Coupling, also eine zweite Person auf einer Position, kann ein Ansatz sein, weil es mehr zeitliche Flexibilität schafft.