Die Mandatsniederlegung teilten Strafverteidiger Alfred Dierlamm und seine Kollegin Elena-Sabella Meier dem Landgericht München vor der Verhandlung am Mittwoch mit. Der Beendigung des Mandats lägen ausschließlich wirtschaftliche Erwägungen zugrunde und keine Gründe in der Sache selbst. Für den weiteren Prozess stellte das Gericht dem ehemaligen CEO umgehend zwei Pflichtverteidigerinnen zur Seite. Zudem arbeitet der bisherige Wahlverteidiger Nico Werning nach JUVE-Informationen vorerst als Pflichtverteidiger weiter. Seine Bestellung erfolgte in Absprache mit dem Mandanten und ist zunächst vorläufig.
Das Verfahren geht weiter
Der zusammen mit Braun und dem ehemaligen Wirecard-Manager Oliver Bellenhaus wegen Bilanzfälschung und Bandenbetrugs angeklagte Chefbuchhalter E. hat am Mittwoch erneut ein Geständnis in Aussicht gestellt. Der Vorsitzende Richter Markus Födisch sagte nach einem Gespräch mit den Verteidigern und der Staatsanwaltschaft, E. könne bei einem zeitnahen und umfassenden Geständnis mit Strafmilderung rechnen. In dem seit Dezember 2022 geführten Prozess hatte E. bisher geschwiegen. Braun wiederum hat alle Vorwürfe bestritten, der geständige Bellenhaus tritt als Kronzeuge auf und beschuldigt die beiden Mitangeklagten.
Das Gericht stellte E. eine Freiheitsstrafe zwischen sechs und acht Jahren in Aussicht, wenn er zeitnah ein qualifiziertes Geständnis auf Grundlage der Anklagevorwürfe ablege. Ein Beitrag zur Aufklärung allein reiche nicht, sagte der Vorsitzende Richter Markus Födisch. E. könne aber einiges zu Vorgängen in der Konzernzentrale in Aschheim bei München aussagen, in die Bellenhaus von seinem Dienstort in Dubai aus keine Einsicht gehabt habe. Als Beispiele nannte der Richter Umbuchungen innerhalb des Konzerns, die Zusammenarbeit mit dem Prüfer EY, Gespräche im Vorfeld und die Haltung des Vorstandschefs Braun.
Dierlamms Ex-Mandant weiterhin in U-Haft
Braun bestreitet kategorisch alle Vorwürfe. Er wünscht auch weiterhin kein Rechtsgespräch über eine mögliche Verständigung, wie das Gericht am Mittwoch mitteilte. Anders als seine beiden Mitangeklagten sitzt der Ex-Vorstandschef und einstige Milliardär weiter in Untersuchungshaft – seit bald vier Jahren.
Seit Prozessbeginn hatte der renommierte Strafverteidiger Dierlamm mehr als 100 Verhandlungstage mit dem Mandanten im unterirdischen Gerichtssaal der JVA Stadelheim bestritten. Die Kernfrage des Prozesses aber ist weiterhin ungeklärt: War Braun ein Betrüger – oder Opfer des seit 2020 abgetauchten früheren Vertriebsvorstands Jan Marsalek und dessen Komplizen? In den vergangenen Wochen wurden vom Gericht dazu auch ehemalige Mitglieder des Aufsichtsrates als Zeugen befragt: Beeinflusste oder behinderte der Wirecard-Vorstand etwa die Arbeit des Kontrollgremiums oder der Wirtschaftsprüfer?
Nach dem Zusammenbruch von Wirecard ließ sich Braun auch arbeitsrechtlich beraten, von dem Führungskräfteberater Prof. Dr. Michael Kliemt. Doch dieser konnte seine Arbeit nach JUVE-Recherchen schon vor längerer Zeit beenden, als die strafrechtliche Vertretung in den Vordergrund rückte.
Auch die zivilrechtlichen Vertreter fehlen Braun
Die zivilrechtliche Vertretung hatte im Juni 2020 die Frankfurter Corporate-Boutique Schmitz & Partner übernommen. Die Rechtsverteidigung durch Dr. Bernd-Wilhem Schmitz und Dr. Mirjam Escher umfasste unter anderen etwa 889 Anlegerklagen, die von dem Insolvenzverwalter der Wirecard AG erhobenen Schadensersatzansprüche und das bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht anhängige KapMuG-Verfahren.
Die Kanzlei sah sich allerdings schon Ende Januar 2024 gezwungen, die Mandate zu beenden, nachdem das Landgericht wie das Oberlandesgericht Frankfurt am Main es abgelehnt hatten, den D&O-Grundversicherer im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Rechtsverteidigung vorläufig weiterhin zu finanzieren (Az 7 U 17/24). Das OLG hatte Braun auf die Möglichkeit eines Hauptsacheverfahrens verwiesen – womit gegebenenfalls erst einmal Jahre ins Land ziehen, in denen andere Verfahren zum Abschluss gebracht werden. „Manager und Unternehmen unterschätzen, wie löchrig die D&O-Versicherungen sind,“ sagt Schmitz gegenüber JUVE.
„Wie der Fall Markus Braun zeigt, bieten die heutigen D&O-Versicherungskonstrukte bei komplexen Auseinandersetzungen keinen angemessenen Verteidigungsschutz für den Einzelnen.“ Häufig sind – wie bei Wirecard – bis zu acht D&O-Versicherungen für eine versicherte Führungsperson zuständig, die auch einzeln zur Deckung in Anspruch genommen werden müssen. Hier müssten die Unternehmen schon bei Vertragsabschluss gegensteuern, so Schmitz. „Erschwert wird die Situation für die Betroffenen und ihre Rechtsvertreter dadurch, dass Gerichte häufig dazu tendieren, den Versicherungen den Rücken zu stärken.“
Offene Rechnungen in Anwaltskreisen
Hinsichtlich der D&O-Versicherungen hatte JUVE schon in den vergangenen Monaten aus Anwaltskreisen gehört, dass es Schwierigkeiten mit der Deckung gibt. Die Hauptlast trug bislang der Versicherer Chubb, doch sowohl gegen ihn als auch weitere Versicherer stehen noch unzählige Honorarforderungen im Raum, um deren Deckung gestritten wird. Ein weitreichender Vergleich – wie er in anderen Großverfahren möglich wurde – steht noch aus.
Im Gegensatz zu den schon tätigen Anwälten werden die frisch bestellten Pflichtverteidigerinnen zunächst aus der Staatskasse bezahlt. Darunter ist die Erfurter Strafrechtlerin Theres Kraußlach, die bereits zu Verfahrensbeginn eingebunden war und nun eine koordinierende Rolle einnehmen wird, heißt es. Ihre Sozietät Kalweit & Kraußlach mit Kanzleipartnerin Katrin Kalweit – die ebenfalls bestellt wurde als Brauns Pflichtverteidigerin – besteht seit Januar 2023. Das Team führt auch die zivilrechtlichen Verfahren für Markus Braun einstweilen weiter.
Der laufende Strafprozess ist auch nicht der einzige Streitkomplex, der unter die Organhaftung und Managerhaftpflichtversicherung fällt. Parallel ist vor drei Monaten auch das zivilrechtliche Verfahren gegen ehemalige Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder wegen möglicher Pflichtverletzungen gestartet, das der Insolvenzverwalter Michael Jaffé mithilfe von Gleiss Lutz angeschoben hat. Auch Jaffé soll noch im Strafprozess in Stadelheim befragt werden – allerdings wohl erst gegen Ende der Beweisaufnahme. (mit Material von dpa)
Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Artikel nach Erscheinen ergänzt.