JUVE: Warum hat sich Brüssel zu den nationalen Insolvenzverfahren geäußert?
Daniel Fritz: Die EU-Kommission hat festgestellt, dass es bei den Sanierungsmöglichkeiten deutliche Unterschiede zwischen den EU-Ländern gibt. Das englische Gesellschaftsrecht sieht das Scheme of Arrangement vor, in das lediglich einzelne Gläubigergruppen einbezogen werden und Unternehmen so zügig finanzwirtschaftlich restrukturiert werden können. Frankreich hat unter anderem ein geheimes Vorverfahren namens Conciliation, das vertrauliche Verhandlungen zwischen bestimmten Stakeholdern eines Krisenunternehmens vorsieht, um damit eine Insolvenz abzuwenden. Auch die anderen Mitgliedsländer sollen künftig nach dem als „New Approach“ bezeichneten Vorschlag der Kommission vom März 2014 ein schnelles, außergerichtliches Sanierungsverfahren ermöglichen.
Deutschland hat mit dem ESUG eine große Reform im Insolvenzrecht hinter sich. Reicht das nicht aus?
Der Ansatzpunkt für das ESUG war in der Tat ähnlich: Der Gesetzgeber wollte nicht zuletzt auf das sogenannte Forum Shopping reagieren. Damit konnten insolvenzbedrohte Unternehmen den wirtschaftlichen Interessenmittelpunkt ins Ausland verlegen, um das dortige Insolvenzrecht zu nutzen. Jetzt gibt es in Deutschland eine Alternative zum Regelinsolvenzverfahren, die ebenfalls ein zügiges und sanierungsfreundliches Insolvenzverfahren und den Erhalt des Unternehmensträgers erleichtert. Und den ESUG-Schutzschirm kann man tatsächlich in weiten Teilen mit dem von der Kommission vorgeschlagenen Moratorium vergleichen. Andere deutsche Regelungen entsprechen aber dem EU-Vorschlag nicht.
Welche Regelungen sind das?
In den deutschen Verfahren sollen weiterhin alle Gläubiger einbezogen werden und der Verwalter hat eine starke Rolle, auch wenn er „nur“ als Sachwalter die Eigenverwaltung eines Unternehmens begleitet. Die starke Rolle ist meiner Meinung nach sinnvoll, denn er kann die Sanierung einerseits aktiv gestalten und andererseits als unabhängige Instanz einen verbindlichen Interessenausgleich besser herbeiführen, als das ein zahnloser Moderator außerhalb eines förmlichen Verfahrens schaffen kann.
Hängt der EU-Vorschlag mit dem Neuentwurf der Europäischen Insolvenzverordung (EUInsVO) zusammen?
Die EUInsVO bildet lediglich den Rahmen für die existierenden nationalen Insolvenzverfahren. Der auf dem Tisch liegenden Entwurf der Kommission öffnet die Verordnung noch weiter für moderne Vorverfahen und sogenannte Hybridverfahren, welche die Vermeidung eines Insolvenzverfahrens bezwecken. Damit können auch künftig Vorverfahren, die den Rahmenbedingungen des „New Apporach“ entsprechen, unter die EuInsVO fallen und damit unionsweit anerkannt werden. Allerdings entscheiden die Mitgliedsstaaten selbst, welche ihrer Verfahren sie unter die EUInsVO fassen wollen. Das Vereinigte Königreich wird das Scheme of Arrangement möglicherweise gar nicht nicht in die Reichweite dieser Verordnung kommen lassen, da es sonst nur noch anwendbar sein dürfte, wenn der Schuldner tatsächlich seinen wirtschaftlichen Interessenmittelpunkt in Großbritannien hat.
Die EU hat nur eine Empfehlung ausgesprochen, keine Direktive erlassen. Können die Deutschen den Vorschlag deshalb ignorieren?
Das deutsche Insolvenzsystem ist in vielen Dingen sehr effektiv, etwa bei einer durchgreifenden operativen Sanierung, das sollte man keinesfalls über Bord werfen. Aber es wäre schade, wenn wir uns einer Weiterentwicklung verschließen. Am Ende fehlen bestimmte Werkzeuge, die andere Länder vorhalten, und das wäre nicht gut. Ich finde es begrüßenswert, dass mittlerweile auch die Rechtssysteme im Wettbewerb miteinander stehen. Die Idee eines – zeitweisen – vertraulichen Verfahrens, welches in einen öffentlichen Plan mündet, der nicht notwendigerweise alle Gläubigergruppen umfasst, wäre auch für Deutschland eine passende Ergänzung des Werkzeugkastens für die zielgerichtete Sanierung von Unternehmen.
Das Gespräch führte Markus Lembeck.