Dass gerade Linklaters sich sehr klar festlegte, hat manche Marktbeobachter überrascht. Die Kanzlei hat vor allem in London besonders enge Verbindungen zu russischen Konzernen und Banken, die sie unter anderem bei großen Börsengängen beriet. 2018 geriet die Kanzlei in die Kritik, weil sie eine Untersuchung des Parlaments zur Rolle Russlands in der Skripal-Affäre nicht unterstützte.
Viele folgen dem Schritt von Linklaters
Umso bemerkenswerter die deutlichen Worte vorige Woche. Linklaters verurteilt in einem Statement die russische Invasion und sagt klipp und klar: Wir schließen unser Moskauer Büro. Zuvor hatten die meisten internationalen Kanzleien sinngemäß gesagt: Wir arbeiten nicht mehr für sanktionierte Unternehmen und beobachten ansonsten die Lage genau.
Doch in den Tagen seit dem Linklaters-Statement überschlagen sich die Ereignisse. Als nächste Kanzleien teilten Norton Rose Fulbright und Cleary offiziell mit, dass sie sich zumindest zeitweise aus Russland zurückziehen. Es geht nicht nur um die Büros, sondern auch um das Geschäft mit russischen Mandanten.
Bei Norton Rose sind 23 Anwälte betroffen, die im Büro der russischen Hauptstadt gearbeitet hatten – darunter 4 Partner. Bei Linklaters sind es sogar 70 Anwälte, von denen 10 Partner sind. Das Cleary-Büro in Moskau verzeichnet 13 Anwälte, davon 3 Partner.
Freshfields und Allen & Overy gehen nach 30 Jahren
Allein gestern und heute sind mehrere Kanzleien hinzugekommen, die bekanntgaben, ihre russischen Büros zu schließen. Das britische Branchenblatt ‚The Lawyer‘ veröffentlicht nahezu stündlich Updates. Zu den Kanzleien, die sich aus Moskau zurückziehen, gehören demnach: Bryan Cave Leighton Paisner, deren Büro 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat; Freshfields, die mit 41 Anwältinnen und Anwälten, darunter sechs Partnern, in Moskau vertreten ist; Latham, Eversheds Sutherland, Herbert Smith Freehills.
Zuletzt hatte Allen & Overy das Aus für ihr Moskauer Büro bekanntgegeben. Ihr Statement gegenüber JUVE: „Wir werden unser 1993 eröffnetes Büro in Moskau unter Wahrung aller rechtlichen, regulatorischen und professionellen Verpflichtungen schließen. Ein genauer Zeitpunkt ist noch nicht bekannt. Wir bedauern diesen Schritt, aber angesichts der völkerrechtswidrigen Invasion Russlands in der Ukraine und der dadurch ausgelösten humanitären Katastrophe war er notwendig. Die Entscheidung ist uns auch deshalb nicht leicht gefallen, weil wir Verantwortung für 55 Mitarbeiter tragen. Wir werden Sorge dafür tragen, unserer Verantwortung unseren Mitarbeitern gegenüber gerecht zu werden und Tätigkeiten in anderen A&O-Büros anbieten.“
Was geschieht mit den russischen Anwältinnen und Anwälten?
Fast alle Kanzleien betonen in ihren Statements, dass sie grundsätzlich keine Mandate mehr annehmen, die mit dem russischen Regime in Verbindung stehen. Linklaters teilte mit: „Bereits bestehende Mandate werden wir in Übereinstimmung mit unseren gesetzlichen und beruflichen Verpflichtungen abwickeln“. Hierunter fällt unter anderem der Gasriese Gazprom.
Auch Cleary teilte mit, Mandate für staatsnahe russische Unternehmen niederzulegen. Zu den Mandanten der Kanzlei gehören etwa die Energiekonzerne Rosneft und Gazprom und die Sberbank.
Zwischen den Zeilen der Statements wird deutlich, wie gewaltig die Aufgabe ist: organisatorisch, finanziell und vor allem menschlich. Es hat nie eine Situation gegeben, in der so schnell so viele Kanzleien so abrupt verabschieden. Was geschieht nun mit den russischen Kolleginnen und Kollegen, mit denen viele seit Jahrzehnten zusammenarbeiten und von denen die meisten nichts für die Politik ihrer Regierung können? Wie schnell und in welcher Form lassen sich Mandate abwickeln? Dass das rein praktisch nicht über Nacht möglich ist, klingt in vielen der Statements durch.
Norton Rose will Gewinne aus Russlandgeschäft spenden
Norton Rose Fulbright zählt, wie einige der großen Kanzleien, Gazprom und Rosneft zu ihren Mandanten. In einer Presseerklärung kündigte die Kanzlei sogar an: Wo sie sich nicht aus aktuellen Mandaten für russische Mandanten zurückziehen könne, würden die Gewinne aus dieser Arbeit für geeignete humanitäre und wohltätige Zwecke gespendet. Zudem will die Kanzlei für Betroffene aus der Ukraine Pro-Bono-Beratung anbieten.
Diese deutliche Stellungnahme steht möglicherweise im Zusammenhang mit der ersten Reaktion von Norton Rose auf den Konflikt. Das englische Branchenmagazin ‘The Lawyer‘ hatte von einem kanzleiweiten Verbot für Anwälte berichtet, die gegen Russland verhängten Sanktionen zu kommentieren. In Sozialen Medien war dies zunächst als fehlende Positionierung interpretiert und heftig kritisiert worden.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Artikel mehrfach aktualisiert. Zuletzt am 16.03. um 10.50 Uhr.