JUVE: Sie haben – wie viele andere auch –  den Entwurf der Regierungskommission kritisiert. Was sind Ihre größten Bedenken?
 Peter Dehnen: Der Kodex würde alle Vorstände und Aufsichtsräte mit Auflagen gängeln, anstatt sie in der Unternehmensführung zu unterstützen. Würde der Entwurf umgesetzt, wäre der Kodex erst recht keine Selbstverpflichtung mehr, sondern eine Fremdbestimmung der Wirtschaft durch Investoren und andere Interessenvertreter. Hinzu kommt, dass der Entwurf möglicherweise nicht in allen Punkten vereinbar ist mit dem deutschen Aktiengesetz und der neuen Aktionärsrechterichtlinie, die nun parallel umgesetzt werden muss.  
Kann es überhaupt einen passenden Governance-Kodex für alle mehr als 700 börsennotierte Unternehmen geben?
 Wir müssen weg von der ‚One size fits all’-Attitüde. Ein Kodex darf die Unternehmen nicht in ein Regelkorsett zwängen. Er sollte Leitplanken bieten für die individuelle Gestaltung der Unternehmenskultur. Und diese Leitplanken müssen hin und wieder behutsam modernisiert werden, optimalerweise nach internationalen Standards.
Wie sehen Sie die Pflichten, die laut Entwurf auf die Aufsichtsräte zukommen?
 Die Kommission möchte beispielsweise das bisherige „comply or explain“-Prinzip ergänzen um den Ansatz „apply and explain“. Das bedeutet, dass Unternehmen künftig auch erklären müssen, wie sie Kodexempfehlungen umsetzen. Das halte ich prinzipiell für eine gute Idee, weil es Diskussionen über gute Unternehmensführung fördert. „Apply and explain“ ist deshalb auch ein wichtiges Element des zweiseitigen, prägnanten Kodexes, den die VARD im vergangenen Jahr vorgelegt hat. Aber wenn das Prinzip zu „comply or explain“ hinzukommt, ufern die jährlichen Erklärungen aus.
Der Ausschuss Gesellschaftsrecht der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hält das bisherige „comply or explain“ für vollkommen ausreichend…
 Ja, natürlich könnten wir es so beibehalten, aber dann würden wir uns nicht an internationale Standards anpassen. Ausländische Anleger, die regelmäßig in unsere börsennotierten Unternehmen investieren, erwarten inzwischen nicht nur, dass Gremien ihre Arbeitsweise offenlegen und begründen, warum sie gesetzliche Vorschriften und Mindeststandards nicht anwenden wie beispielsweise die Frauenquote im Aufsichtsrat. Sie wollen auch wissen, wie Unternehmen Empfehlungen umsetzen und welche Maßstäbe sie ansetzen – daher „apply and explain”. Wenn die Kodex-Vorgaben sinnvoll und überschaubar wären, ließe sich diese neue Form der Corporate Governance-Berichterstattung auch effektiv erledigen.
Manche erwarten, dass die anstehende Hochsaison der Hauptversammlungen von einer regen Diskussion um Vorstandvergütungen geprägt sein wird. Sie auch?
 Das Thema Vorstandsvergütung wird regelmäßig in der Öffentlichkeit hochgekocht. Aber ich denke, trotz einiger Exzesse haben die meisten Unternehmen ihre Vergütungsregeln und auch Berichte schon angepasst. Das mag vielleicht voreilig gewesen sein, aber in dieser Hinsicht sind die Unternehmen oft schon fortschrittlicher als unsere Regulierer.
Einerseits kritisierten Sie, dass der Kodex-Entwurf zu viele Detailregelungen enthält. Andererseits wünschen Sie sich substantielle Aussagen etwa zur Mitbestimmung und zu Haftungsfragen im Kodex. Wie passt das zusammen?  
 Aus meiner Sicht hat die Bundesjustizministerin Katharina Barley ein paar wesentliche Anliegen vergessen, als sie die Regierungskommission mit der Überarbeitung des Kodex beauftragte. Darunter fallen etwa die Mitbestimmungsrechte der Aktionäre bei öffentlichen Übernahmen oder eine Frauenquote für den Vorstand, für die Frau Barley durchaus hätte eintreten können. Es wäre gut, wir könnten nicht nur über die ohnehin strittigen Themen des Entwurfs einen offenen Dialog führen, sondern auch über einige Punkte, die er nicht berücksichtigt hat.
Wie stellen Sie sich das vor? Der Kodex soll doch schon im April dem Justizministerium in der überarbeiten Version vorgelegt werden und dann zügig in Kraft treten.
 Es besteht noch so viel Gesprächsbedarf auf allen Ebenen, dass jetzt nichts überstürzt werden sollte. Die Unternehmen erwarten einen zukunftsorientierten Kodex, der eine moderne Unternehmensführung ermöglicht und Gremienmitglieder unterstützt, statt zu gängeln. Ich halte es für ganz enstcheidend, dass der Kodex breiten Rückhalt findet bei denen, die für seine Umsetzung sorgen müssen.
Sie hatten das Bundesjustizministerium schon gebeten zu prüfen, ob der Entwurf der Regierungskommission auch einem Gericht vorgelegt werden könne. Würde die Vereinigung der Aufsichtsräte notfalls den Gang zum Bundesverfassungsgericht antreten?
 Ich möchte nichts ausschließen im Moment. Aber ich fände es viel sinnvoller, wir würden im direkten Dialog mit Unternehmern, Vorständen und Aufsichtsräten an der Neufassung des Kodex arbeiten. Daher habe ich auch den Vorsitzenden der Regierungskommission mit seinem Team eingeladen, über den Kodex und das dazugehörige Konsultationsverfahren beim Deutschen Aufsichtsratstag Ende Juni ergebnisoffen zu diskutieren.
Das Gespräch führte Sonja Behrens.