JUVE: Unser Kartellrecht stammt aus einer Zeit, in der es weder Internet noch überhaupt Computer gab. Brauchen wir ein neues Kartellrecht für die Digitalökonomie?
Prof. Dr. Rupprecht Podszun: Vielleicht kein ganz neues Kartellrecht, aber neue Regeln für Daten und für die großen Internet-Infrastrukturanbieter. Google, Amazon, Facebook und Apple haben inzwischen eine solche Machtkonzentration erreicht, dass unsere Wettbewerbsbehörden stärkere Instrumente brauchen, um ihnen beizukommen.
Derzeit feilt der deutsche Gesetzgeber an einer Neufassung des Kartellgesetzes. Bekommt das Kartellamt mit dieser zehnten GWB-Novelle die richtigen Instrumente?
Deutschland ist damit jedenfalls das erste Land, das sich traut, mal einen konkreten Vorschlag zu machen. Es gibt international durchaus viele Experten, die sagen: Finger weg vom Kartellrecht, denn jeder Versuch, Digitalkonzerne zu regulieren, wirft nur neue und größere Probleme auf.
Ganz abwegig ist dieser Gedanke nicht. Wenn man etwa marktbeherrschende Unternehmen zwingen will, bestimmte Daten offenzulegen, würde doch endlos über Details gestritten.
Absolut, und es ist auch schwierig, die „Richtigen“ zu treffen. Die meisten sind sich einig, wenn es gegen Google geht. Aber wie finden wir es denn, wenn zum Beispiel Google plötzlich die Allianz oder einen Mittelständler zwingen kann, Datensätze offenzulegen? Es sind zig Probleme voraussehbar, nur: Das darf ja nicht bedeuten, dass man nicht mal anfängt.
Welche ist die gravierendste der geplanten GWB-Änderungen?
Wirklich neu ist die „kartellrechtsnahe Regulierung“: Das Kartellamt darf feststellen, dass Plattform-Unternehmen marktübergreifend eine überragende Bedeutung haben und ihnen bestimmte Praktiken verbieten. Das ist sehr nah an dem, was wir sonst von der Regulierungsbehörde kennen. Eine andere Vorschrift greift mit ziemlich allgemeinen Worten das „Tipping“ auf: Da darf eingegriffen werden, wenn Märkte kippen könnten, also ein Monopol droht.
Was bedeutet das für die ?
So wichtig diese revolutionären Neuregelungen sind: Abgesehen von einer Handvoll Konzerne und Spitzenkanzleien haben die meisten damit anfangs vielleicht wenig zu tun. In der Breite dürften andere Aspekte der Gesetzesnovelle mehr Beratungsbedarf erzeugen – der erleichterte Zugang zu Daten zum Beispiel oder die Möglichkeit für Unternehmen, beim Amt einen sogenannten Comfort Letter für Kooperationen zu beantragen.
Also eine Art Bescheinigung, dass die Zusammenarbeit kartellrechtskonform ist, wie es sie auf EU-Ebene bis 2004 gegeben hat?
Künftig soll das Amt innerhalb von sechs Monaten erklären, dass es keinen Anlass zum Tätigwerden bei einer geplanten Kooperation sieht. Das schafft etwas mehr Rechtssicherheit in einem Graubereich, der auch für viele Mittelständler heikel ist. Sie müssen im Rahmen der Industrie 4.0 viel intensiver kooperieren als bisher, aber auch Experten sind sich oft unsicher, was geht – und was einem vielleicht später kartellrechtlich um die Ohren fliegen könnte. Das ist ein wachsendes Beratungsfeld – derzeit in der Autobranche, demnächst überall.
Vermissen Sie etwas in der geplanten GWB-Novelle?
Ich finde, das Kartellamt sollte mehr Kompetenzen im Verbraucherschutz erhalten. Die private Rechtsdurchsetzung des UWG, die eigentlich sehr gut funktioniert, stößt gerade im digitalen Bereich an Grenzen. Da könnte eine moderate Ergänzung durch behördliche Befugnisse helfen. Aber ganz ehrlich: Ich bin bei dieser und anderen Fragen oft hin- und hergerissen.
Warum?
Meine Generation ist mit dem ordnungspolitischen Credo groß geworden: Lieber einmal zu wenig intervenieren als einmal zu viel! Jetzt merken wir: Es muss vielleicht doch ein bisschen mehr sein. Diese Spannung löst der Gesetzentwurf ganz gut auf. Was die Anwälte und Unternehmen, das Kartellamt und die Gerichte dann daraus machen, das ist eine ganz andere Frage.
Das Gespräch führte Marc Chmielewski.