Die Frage, die die Luxemburger Richter zu beantworten hatten: Ist für das Freihandelsabkommen mit Singapur allein die EU zuständig oder müssen auch die Mitgliedsstaaten zustimmen? Ihre Antwort: „Für zwei Teile des Abkommens ist die Union nicht ausschließlich zuständig, nämlich für den Bereich der anderen ausländischen Investitionen als Direktinvestitionen und für die Regelung der Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten.“
Zuvor hatte bereits das Bundesverfassungsgericht Vorbehalte gegen Investitionsschutzabkommen geäußert, wenn diese ausschließlich von der EU geschlossen werden. „Zwar haben die Verfassungsrichter mehrere Eilanträge gegen die Zustimmung der Bundesregierung zum Ceta-Abkommen abgelehnt“, sagt Dr. Sebastian Seelmann-Eggebert, Partner bei Latham & Watkins in Hamburg. „Dabei haben sie aber betont, dass insbesondere die Regelungen zum Investitionsschutz nicht vorläufig anwendbar sind.“
Welche Investitionen sind geschützt?
Vor allem die Streitbeilegung zwischen Investoren und Staaten war es auch, die zu einem Sturm der öffentlichen Entrüstung im Zuge der TTIP-Debatte geführt hatte. Ursprünglich war vorgesehen, dass wie bisher internationale Schiedsgerichte zuständig sind. Unter dem Druck der Öffentlichkeit hat die EU ein neues System vorgeschlagen, das nun Standard in allen Freihandelsabkommen werden soll: Es urteilen staatlich ernannte Richter, die nicht wie bei einem Schiedsverfahren von den Parteien bestimmt werden, und es soll eine Berufungsinstanz geben. Der EuGH sagt nun: Egal wie der Mechanismus aussieht – die Mitgliedsstaaten haben ein Mitspracherecht.
„Andere ausländische Investitionen als Direktinvestitionen“ – darunter versteht der EuGH sogenannte Portfolioinvestitionen. Das sind etwa Fonds, über die Investoren sich an Unternehmen beteiligen, ohne direkt Einfluss zu nehmen oder sie zu kontrollieren. Künftige Abkommen müssen entweder diese Bereiche ausklammern, damit allein die EU sie verhandeln und beschließen kann – oder die nationalen Parlamente müssen dem Abkommen ebenfalls zustimmen.
Zwar könnte erst die EU ein Handelsabkommen schließen und danach ließen sich Investitionsschutzregeln separat und mit mehr Beteiligten verhandeln. Das sei aber nicht sinnvoll, findet Dr. Patricia Nacimiento, Partnerin bei Herbert Smith Freehills in Frankfurt. „Sinn und Zweck der Übertragung der Kompetenzen auf die EU-Ebene durch den Vertrag von Lissabon von 2009 war es ja gerade, die Position der EU für den internationalen Wettbewerb um ausländisches Kapital zu stärken.“ Indem die EU Handels- und Investitionsschutzabkommen in umfassenden Freihandelsabkommen wie Ceta verhandeln darf, bewegt sie sich auf Augenhöhe mit den anderen großen Wirtschaftsblöcken USA und China. Das war die Idee.
Die neuen Maßgaben des EuGH dürften in der Praxis Probleme aufwerfen. „Die Trennung von Direkt- und Portfolioinvestitionen ist künstlich“, sagt etwa Dr. Jan Schäfer. Er ist Partner bei King & Spalding in Frankfurt und vertritt meist Investoren gegen Staaten – etwa im Streit über die Solarförderung in Spanien und Italien. „Es ist deshalb auch nicht sinnvoll, wenn für Direktinvestitionen die EU allein zuständig ist und bei Portfolioinvestitionen alle Mitgliedsstaaten einzeln mitentscheiden dürfen.“ Ob etwa ein ausländischer Investor nun direkt ein Kraftwerk in Deutschland kauft oder sich an einem Fonds beteiligt, der Anteile an diesem Kraftwerk hält: „In beiden Fällen helfen die Investitionen dem Gastland, in beiden Fällen geht der Investor ein Risiko ein, und in beiden Fällen hat er ein Recht darauf, dass seine Investitionen vor staatlicher Willkür geschützt sind.“
Neue EU-Abkommen werden erschwert
Auch Dr. Lars Markert, Assoziierter Partner bei Gleiss Lutz in Stuttgart, ist überzeugt: „Wenn man künftige Abkommen so eng ausgestaltet, dass die Mitgliedsstaaten kein Mitspracherecht haben, entfällt mit Portfolio-Investitionen und dem Streitbeilegungsmechanismus ein wichtiger Teil des Investitionsschutzes.“
Dass die Komplikationen neue EU-Abkommen erst einmal unwahrscheinlich machen, halten Investitionsschutzexperten für ausgemacht. „Denn es ist ja nahezu unmöglich, einen Konsens aller EU-Mitgliedsstaaten herzustellen – zumal man bei Ceta gesehen hat, dass nicht nur jedes der 28 nationalen Parlamente, sondern auch ein Regionalparlament wie das der Wallonie alles blockieren kann“, sagt Schäfer. Ceta hatte die Kommission bereits vor dem Singapur-Gutachten des EuGH freiwillig als gemischtes Abkommen vorgelegt.
Alte Abkommen gelten erst mal weiter
Wie viele seiner Kollegen hält Schäfer die zusätzlichen Hürden durch das EuGH-Gutachten aber nicht für eine Katastrophe: „Dass es so schnell keine neuen Abkommen geben wird, bedeutet auch, dass die EU-Pläne für einen Investitionsgerichtshof erst mal in der Schublade blieben – und das ist eine gute Nachricht. Denn bis auf Weiteres gelten dann die herkömmlichen bilateralen Abkommen, und die bieten wenigstens einen Investitionsschutz, der diesen Namen verdient hat.“ Davon ist auch Latham-Partner Seelmann-Eggebert überzeugt. Ihm bereitet etwas anders Sorge: „Kritischer wird es, wenn Drittstaaten wie Indien ihre BITs systematisch beenden und die EU die Abkommen wegen der komplizierten Kompetenzverteilung mit ihren Mitgliedstaaten nicht zeitnah ersetzen kann.“
Auch deshalb glauben viele, dass die Kommission sich nicht damit zufriedengeben wird, Freihandels- und Investitionsschutzabkommen grundsätzlich zu trennen. Für weitere Investitionsschutzabkommen spricht etwa, dass der Kommission die bestehenden bilateralen Abkommen der Mitgliedstaaten ein Dorn im Auge sind – denn aus ihrer Sicht ist es für den Binnenmarkt problematisch, wenn in den Einzelstaaten unterschiedliche Schutzstandards für Investoren gelten. Zudem kann die Kommission ihre ehrgeizigen Pläne für die Reform des Investitionsschutzes kaum vorantreiben, wenn sie sich damit abfindet, dass auf diesem Gebiet weiter jeder EU-Staat sein eigenes Süppchen kocht. (Marc Chmielewski)