JUVE: Herr Meckert, warum ist Legal Tech für Sie so wichtig?
Matthias Meckert: Alles ändert sich und auch immer schneller: die Welt, unsere Branche, Arbeitswelten. Legal Tech ist für uns eine Möglichkeit, unser Geschäftsmodell als Rechtsabteilung zu verändern und ‚more with less‘ zu erreichen. Wir beschäftigen uns schon lange mit Legal Tech und Legal Operations und haben selbst mehrere Projekte umgesetzt. Vor allem aber verändern wir unsere Denkweise: Ein Vertrag ist für uns nicht nur ein Stück Papier mit Worten, sondern ‚single source of truth‘ mit Datenpunkten und Risikoparametern. Als europäische Rechtsabteilung sind wir mitten in einem eigenmotiviertem Change-Prozess – wir wollen unsere Legal Services anders anbieten. Die ganze Abteilung hat Richard Susskind gelesen und ist hoch motiviert, noch mehr neu zu denken.
Daher haben wir uns gefragt: Was machen denn unsere Kanzleien und der Rechtsmarkt? Wir erwarten von ihnen, dass auch sie effizienter und digitaler arbeiten – und ohne den Einsatz von Legal Tech geht das nicht. Wir haben neulich sechs Kanzleien für ein Asset-Management-Mandat pitchen lassen: Repetitive Arbeit, Mietverträge erstellen und so weiter. In einer Live-Demo sollten die Kanzleien zeigen, welches Legal-Tech-Tool sie dafür nutzen würden. Am Ende konnten uns nur zwei überhaupt ein Tool präsentieren. Das ist mindestens schade, wenn nicht sogar ein wenig enttäuschend. Man muss dazu sagen: Internationale Großkanzleien waren nicht im Pitch, aber auch keine Feld-Wald-und-Wiesen-Kanzleien.
Kanzleien haben also noch nicht verstanden, wie essenziell Legal Tech im Mandatierungsprozess ist?
Doch. Theoretisch wissen nahezu alle, dass sie Legal Tech anbieten müssen. Sehr viele haben mittlerweile eigene Abteilungen – und natürlich auch eine Strategie. Es gibt in Europa sehr viele, sehr innovative Projekte. Doch die sehen wir zu selten im Mandat. Es gibt einen Bruch, die Umsetzung fehlt im letzten Schritt: Die Haltung „Bisher lief immer alles gut, wieso sollen wir es ändern?“ sorgt dafür, dass Legal Tech oft nicht zum Einsatz kommt, obwohl die Kanzlei vielleicht Tools im Angebot hätte. Am Ende entscheidet eben doch der Partner, der das Mandat steuert.
Bricht dieses Denken den Kanzleien irgendwann das Genick?
Für Kanzleien sind die Veränderungen eine OP am offenen Herzen: Sie müssen sich von einem Modell lösen, das Jahrzehnte bestens funktioniert hat, und zudem möglicherweise Millionen investieren, ohne zu wissen, wann und ob es sich auszahlt. Davor habe ich durchaus Respekt. ‚LegalTech‘ ist eigentlich nur das ‚Buzzword‘ für viel tiefgreifendere Veränderungen. Da geht es um Effizienzen, Standardisierung, Plattformen, Workstreams, Low Cost Center und Arbeitsteilung: Für welche (Teil-)Aufgabe benötige ich den spezialisierten Anwalt, für was einen Projektmanager, für was einen Chatbot oder eine AI?
Einige Kanzleien lagern Arbeit bereits in Low Cost Center aus. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Auf jeden Fall ist das eine wichtige Ergänzung. Die Aufgaben müssen dorthin, wo sie am effizientesten erledigt werden können – fachlich und örtlich. Als Vision könnte man etwa über ein voll digitales Deal-Management aus dem Baltikum nachdenken. Wichtig ist, dass Kanzleien Mandate in Workstreams zerlegen und die Teile effizient allokieren, an Anwälte, andere Spezialisten, Tools und an unterschiedliche Standorte.
Was spielt neben Legal Tech in ihrem Mandatierungsprozess noch eine Rolle?
Für uns ist Diversity ein wichtiges Thema. In Deutschland haben wir in einem ersten Schritt über einen längeren Zeitraum hinweg bei unseren Panel-Kanzleien Daten zum Thema Gender Equality erhoben. Die Kanzleien sind engagiert, aber leider ist der Frauenanteil trotz guten Ansätzen und viel gutem Willen nicht signifikant gestiegen. Wir haben gemerkt: So kommen wir nicht weiter, wir brauchen einen konkreten Ansatz, wenn wir gemischte Teams auf unseren Mandaten wollen. Wir müssen selbst aktiv werden.
Wie sieht das konkret aus?
Wir haben das Programm ,Focus-Attorney‘ ins Leben gerufen – eine Art Inhouse-Mentoring-Programm für weibliche Senior Associates. Unser US-Mutterkonzern nutzt das schon einige Jahre, wir in Europa haben vor etwa drei Jahren damit begonnen.
Zusammen mit unseren Kanzleien suchen wir eine weibliche Senior Associate aus, für die demnächst die Partnerschaft anstehen könnte. Ziel ist es, diese Associate aus dem Schatten der Partner zu ziehen: Sie ist in allen Besprechungen dabei, übernimmt oft die Präsentation des Mandats und ist unsere erste Ansprechpartnerin. Auch im E-Mail-Verkehr ist der eigentlich federführende Partner dann oft nur noch im cc. Sie übernimmt die Mandatsverwaltung, aber auch Budgetverwaltung oder Rechnungserstellung. Das soll ihre Wahrnehmung innerhalb der Kanzlei und bei uns als Mandant stärken und den Weg in die Partnerschaft vereinfachen: Die Associate lernt, ein Mandat zu steuern und die Kanzlei sieht, was die Associate kann.
Ist das Programm erfolgreich?
In den USA und UK haben wir so schon einige Associates in die Partnerschaft begleitet. In Deutschland hat sich das Projekt durch die Corona-Krise und ‚Social Distancing‘ verzögert – die Anwaltsarbeit ist ein People’s Business, und darauf baut auch unser Programm auf. Momentan haben wir in Deutschland und Luxemburg jeweils eine Associate im Programm. Und wir haben weitere Rechtsabteilungen und Kanzleien eingeladen, das Modell zu kopieren.