Warum nehmen die britischen Top-Kanzleien wie Linklaters und Allen & Overy erst jetzt den US-Ausbau richtig ernst? Für viele Marktbeobachter liegt die Antwort auf der Hand: London hat es vermasselt. Die Strategen in den Zentralen des Magic Circle haben schlicht zu lange gewartet. Warum? „Die Briten sind eben Imperialisten“, sagt ein deutscher Partner einer US-Kanzlei. Hinter der Parole „truly global“ steckten Organisationen, die letztlich ihr Machtzentrum in London konservieren wollen. „Aber eine Expansion mit Wagenburgmentalität funktioniert nicht. Ohne das Entscheidungszentrum der Kanzleien zu verschieben, ohne sich in die USA auch organisatorisch zu öffnen, wird die Reise nicht gelingen.“
Furcht vor Kulturverlust
Der konsequente Ausbau in den USA ist riskant und mit hohen Kosten verbunden – nicht nur finanziell, sondern auch kulturell. So lässt sich aus den aktuellen US-Expansionsstrategien eine Furcht vor dem Verlust der eigenen Kultur herauslesen: Die allgemeine Zurückhaltung beim Thema Fusionen hat hier ihre Wurzel. Aus Sicht von Clifford Chance, Freshfields Bruckhaus Deringer und auch Linklaters lautet die simple Theorie: Ein „normaler“ Merger käme aus Londoner Sicht heute sozusagen einer Übernahme durch den amerikanischen Partner gleich.
Denn die Zeit für Zusammenschlüsse à la Lovells mit Hogan & Hartson, als London im Kampf um den US-Markt noch den Ton in den Verhandlungen angeben konnte, sind längst vorbei. Damals, als selbst Latham & Watkins womöglich noch für eine Fusion auf Augenhöhe zu haben gewesen wäre, sind die Profitabilitätsunterschiede deutlich geringer gewesen. Heute weiß jede mittelstarke US-Kanzlei, was sie Wert ist. Fusionswillig sind, wenn überhaupt, Sanierungsfälle wie Shearman & Sterling oder Stroock & Stroock & Lavan, von denen Hogan Lovells 28 Partner in New York und Washington übernommen hat.
London liebt Lockstep
Allen & Overy hat Shearman sozusagen gerettet – und dafür, nach allem, was man hört, viel Geld unter anderem für Pensionsverpflichtungen der Amerikaner bezahlen müssen. Doch für die Kanzlei lohnt sich der Schritt, denn London bleibt das Zentrum der fusionierten Kanzlei. Auch wenn weder im Management noch auf dem Posten des Senior-Partners ein Brite vertreten ist, so besteht die Führungsriege doch vor allem aus altgedienten Allen & Overy-Partnern, die sich London verpflichtet fühlen. Die Vergütungsstruktur bleibt ebenfalls britisch: ein modifiziertes Lockstep-Modell.
Auf ihre Lockstep-Kultur lassen auch die anderen Magic-Circle-Kanzleien nichts kommen. Sie sehen ihre Kultur als Wettbewerbsvorteil gegenüber globalisierten US-Einheiten wie Paul Weiss Rifkind Wharton & Garrison, Kirkland & Ellis sowie Latham & Watkins, mit deren leistungsbasierten Systemen sie konkurrieren. Marktbeobachter attestieren der US-Konkurrenz, schneller zu sein und mit größerem Geschäftssinn ans Werk zu gehen, zu dem auch das Pricing-Know-how gehört. Die Lockstep-Kultur hingegen scheint sich positiv auf die Partner-Retention auszuwirken: Trotz der Abgänge im Londoner Markt schneidet der Magic Circle hier weiterhin deutlich besser ab als die US-Wettbewerber. Die Loyalität der Berufsträger zu ihrer Firma, die positive Wirkung auf die Zusammenarbeit im Team: diese Werte, die mit einer funktionierenden Lockstep-Kultur in Verbindung gebracht werden, wollen die Magic-Circle-Kanzleien nicht aufgeben.
Ausnahmen für Leistungsträger
Dennoch: Ihre Lockstep-Systeme sind Teil des Problems. Die US-Expansion macht die Öffnung der Systeme notwendig, unter anderem um profitablere US-Partner aufzunehmen. Gleichzeitig müssen Wege geebnet werden, vor allem auch, um junge Hochleistungsträger binden zu können. Diese sind in einem System, das die Seniorität besser entlohnt, immer schlechter gestellt.
Zu Partnervergütungsthemen sprechen die britischen Kanzleien offiziell sehr selten. Linklaters-Managing-Partner Paul Lewis gab jüngst in ‚The Lawyer‘ zu verstehen, dass seine Kanzlei kein Lockstep-Thema mehr habe. Man sei nun in den USA und überall sonst deutlich flexibler, was die Partnervergütung angehe. Das gilt auch für die anderen Magic-Circle-Kanzleien. Für die US-Expansion haben auch sie ihre Systeme weiter geöffnet. Um die Profitabilitätserwartungen ihrer US-Rainmaker in die britisch-europäischen Lockstep-Strukturen einzupreisen, wird vor allem die Leiter nach oben geöffnet. Partner berichten, dass die Leiter der US-Kollegen deutlich länger sei, mehr als doppelt so lang, hört man im Fall von Freshfields.
Zehn Millionen im Jahr garantiert
Das ist auch notwendig, bedenkt man, wie massiv die Umsätze sind, die US-Partner etwa im Private-Equity-Geschäft machen. Die schiere Höhe der Umsätze lässt selbst deutsche Partner von US-Kanzleien immer wieder fassungslos zurück. Ihren amerikanischen Quereinsteigern müssen die Magic-Circle-Einheiten neben einem funktionierenden globalen Netzwerk, in dem viele Fachbereiche in hoher Qualität zusammenarbeiten, vor allem auch mehr Geld bieten, als ein europäischer Partner je verlangen könnte.
Denn Rainmaker-Partner wie Ethan Klingsberg oder Damian Zoubek wechseln nicht einfach so ihre Adressen. Für sie werden kostspielige Pakete geschnürt, die mehr an NBA-Saläre als an Bundesliga-Größenordnungen erinnern. Nach allem, was man hört, müssen mindestens drei Jahre fix bezahlt werden, um Partner von amerikanischen Top-Einheiten loszueisen. Die Kosten sind nicht transparent. Nach JUVE-Informationen sind zehn Millionen Dollar und mehr pro Jahr durchaus realistisch.
Amerika wächst, Europa zahlt
Die Expansion bezahlt bei allen Magic-Circle-Kanzleien die heutige Partnergeneration in Europa. Die bestehende Partnerschaft von der Sinnhaftigkeit der teuren US-Expansion zu überzeugen, ist die Schlüsselaufgabe des Londoner Kanzleimanagements. Fehlt es an Überzeugungskraft, dann tritt ein, was als größte Gefahr der Amerikanisierung der Lockstep-Bastionen gesehen wird: Eine Hire-and-Fire-Mentalität und damit die permanente Gefahr, Leistungsträger unkontrolliert zu verlieren, wie es gerade insbesondere Linklaters in London erlebt.
Die kontinentaleuropäischen Praxen und vor allem die großen deutschen Büros können die Londoner Not nutzen, um an Einfluss innerhalb der Kanzleien zu gewinnen. Früher als in London haben Partner in Kontinentaleuropa Zweifel daran überwunden, dass eine US-Expansion nötig ist, um langfristig im Wettbewerb mit der US-Konkurrenz bestehen zu können. Vor allem die deutschen Partner fordern die US-Expansion seit Langem, erwarten weitere Schritte teils mit Ungeduld. Auch, weil sie die deutsche Praxis klar als Treiber der Internationalisierung sehen. Die Achse Deutschland – USA kann vor allem im globalen Corporate-M&A-Private-Equity-Geschäft sehr gut funktionieren.
Das scheinen insbesondere auch US-Partner zu sehen, die zu den britischen Einheiten wechseln. George Casey etwa: Der Shearman & Sterling-Superstar, der im Januar überraschend zu Linklaters wechselte, statt die A&O Shearman-Plattform zu nutzen. Nach JUVE-Informationen sieht er in Linklaters die stärkere europäische Plattform für sein High-End-Industrie-M&A-Geschäft. Unter den vier Magic-Circle-Kanzleien gilt das Angebot von Allen & Overy hier nicht als das stärkste in Europa.
Dies ist der 3.Teil einer Artikel-Serie.
Teil 1: Magic Circle und die US-Konkurrenz: Wem gehört die Welt?
Teil 2: So unterschiedlich geht der Magic Circle den US-Ausbau an